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Warschauer Urteil: Dem drohenden Polexit ein Stück näher



Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das dem polnischen Recht den Vorrang über EU-Recht einräumt, versetzt den jahrelangen Konflikt zwischen Brüssel und Warschau auf eine neue Eskalationsstufe. Dabei geht es nicht nur um die Rechtsstaatlichkeit. Das polnische Urteil berührt die Grundfeste der EU. Polnische Oppositionspolitiken bewerten das Urteil des Verfassungsgerichts als Einleitung des juristischen Polexits und Warnsignal, dass Polen in den Beziehungen zur EU am Scheideweg steht.

28 April, 13.Mai, 15.Juni, 15.Juli, 3.August, 31.August, 22.September, 30. September. Das waren die angesetzten und immer wieder verschobenen Termine, an denen das polnische Verfassungsgericht die Frage klären sollte, ob polnisches Recht über nationalen Recht steht. Warschau zögerte den grundlegenden Gerichtsbescheid in der Abwägung seiner Konsequenzen und Risiken im innenpolitischen wie im Kräftemessen mit Brüssel immer wieder hinaus. Mit dem jetzt ergangenen Urteil des politisch instrumentalisierten Verfassungsgerichts, das Wesensbestandteile des EU-Rechts für unvereinbar mit der polnischen Verfassung erklärt, hat die von der PiS-Partei geführte Koalitions-Regierung der EU die offene Kampfansage gemacht.
Schließlich ist das Urteil die Konsequenz aus den von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im Frühjahr in das Verfassungsgericht eingebrachten Antrag auf Überprüfung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. März 2021 auf seine Verfassungsmäßigkeit. In dem Urteil hatte der EuGH dem EU-Recht Vorrang gegenüber einzelnen Vorschriften im nationalen Recht gegeben, selbst dann, wenn es sich um Verfassungsrecht handelt. In dessen Konsequenz könnte der Europäische Gerichtshof gemäß seinem Urteil Polen dazu zwingen, Bestandteile der von der unter Führung der nationalkonservativen PiS-Partei eingeführten umstrittenen Justiz-Reform wieder aufzuheben. Die Abschaffung der unabhängigen Justiz, die Institutionalisierung der Disziplinierung der Richter und die Demontage des Verfassungsgerichts stehen seit Jahren im Blickpunkt der EU-Kommission und sind Kern von Vertragsverletzungsverfahren, die gegen Polen eröffnet wurden, und Klagen, die beim EUGH eingereicht wurden.

Gericht: Art. 1,4 und 18 des EU-Vertrags verfassungswidrig

Das polnische Verfassungsgericht hat nun in seiner Grundsatz-Entscheidung Artikel 1,4 und 18 des Vertrags über die Europäische Union für verfassungswidrig erklärt. ,,Der Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen, verstößt gegen… die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Regel, dass die Souveränität im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibt“, urteilte Polens oberstes Tribunal, dessen Unabhängigkeit Brüssel seit langem anzweifelt und dessen Zusammensetzung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für illegal erklärte. Von der polnischen Opposition und der juristischen Fachwelt werden deren Mitglieder als ,,Dublerzy“ bezeichnet, also als Doppelgänger oder der gezielten Kopie von Richtern, deren Urteile in allen wichtigen Verfahren nur noch im Sinne der Regierenden ausfielen.
Präsidentin des Verfassungsgerichts ist Julia Przyłębska, in unabhängigen Medien und von der Opposition als ,,Kaczyńskis Köchin“ tituliert, bezugnehmend auf private Treffen im engsten Führungskreis, bei denen der Chef der nationalkonservativen Partei deren Kochkünste lobte. ,,Die Organe der europäischen Union handeln außerhalb der Grenzen der Kompetenz, die ihnen die Republik Polen in den EU-Verträgen übertragen hat“, erklärte die oberste Richterin des Verfassungsgerichts. Sie führte in dem Verfahren an, dass ja auch Verfassungsgerichte anderer Länder bereits Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs in Frage gestellt hätten.

Urteil zur Legitimierung des polnischen -Rechtssystems

Tatsächlich hat es in der Vergangenheit auch Streitfälle in Tschechien, Dänemark, Frankreich oder Rumänien gegeben, wo es um den Vorrang von europäischen oder nationalen Recht ging. Zuletzt in Deutschland, wo das Bundesverfassungsgericht den Kauf von Anleihen durch die Europäische Zentralbank für illegitim erklärte und damit dem EuGH widersprach. In Reaktion darauf leitete Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Allerdings – und das ist der große Unterschied– haben das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der anderen EU-Länder nie den grundsätzlichen Vorrang von EU-Recht infrage gestellt. Anders in Polen. Mit dem Urteil des politisch instrumentalisierten Verfassungsgericht wird nicht nur das im Widerspruch zum europäischen Rechtssystem stehende polnische Rechtssystem legitimiert, sondern auch die Grundlagen der EU in Frage gestellt, deren Einhaltung Polen 2004 beim Eintritt in die EU akzeptiert hatte.
Wie sehr das Urteil des Verfassungsgerichts ein politisches Urteil ist, zeigt sich auch in der Betonung von Art. 8 der polnischen Verfassung, dass polnisches Verfassungsrecht oberstes Recht der Republik Polen ist. Das Verfassungsgericht habe nur das bestätigt, was sich aus der Verfassung ergebe, nämlich das polnisches Verfassungsrecht anderen Rechtsquellen überlegen sei, erklärte Ministerpräsident Morawiecki. Dem stehen allerdings Art. 90 und 91. der gleichen polnischen Verfassung gegenüber, auf die das Verfassungsgericht überhaupt nicht eingegangen ist. Darin ist die Übertragung von Kompetenzen an internationale Organisationen geregelt. Abs.2 und 3 von Artikel 91 der polnischen Verfassung legen eindeutig fest, dass ein ratifizierter internationaler Vertrag in der Anwendung das Primat über polnischen Gesetzen hat, selbst dann, wenn sie diesem widersprechen. Und die Verträge mit der EU gehören zu der von der polnischen Verfassung festgelegten Kategorie von Verträgen.

Morawiecki in der Rolle von David Cameron

Politisch markiert das Urteil des Verfassungsgerichts bereits den juristischen Polexit, den Austritt Polens aus der europäischen Rechtsordnung. Das Auftreten von Regierungschef Morawiecki ist dabei mit dem vom damaligen britischen Regierungschef David Cameron 2015 beim Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU vergleichbar. Wie Cameron hat Morawiecki nur deshalb im Frühjahr das Verfassungsgericht zur Überprüfung des Primats des polnischen Rechts über das EU-Recht eingeschalten, um die Kritiker aus dem rechten Lager der Regierungskoalition um Justizminister Ziobro, seinen ärgsten Rivalen im Kampf um die Kaczyński-Nachfolge, zu Ruhe zu bringen, er sei kein ,,richtiger rechter Politiker“ und betreibe einen zu weichen Kurs gegenüber Brüssel, heißt es dazu in einem Kommentar der Zeitung Rzeczpospolita.
Morawiecki beeilte sich nach dem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts sofort öffentlich zu erklären, ,,Polens Platz ist und bleibt in der europäischen Völkerfamilie“. In den Augen der EU-Politiker dürfte er jetzt jedoch völlig seine Glaubwürdigkeit verspielt haben. Dies umso mehr, da es in der Regierungskoalition nicht nur die Hardliner um Justizminister Ziobro gibt, die die Anti-EU-Stimmungen anheizen und den Konflikt mit Brüssel eskalieren lassen. Dazu gehören Kaczyńskis engste Vertraute Marek Suski und der Fraktionschef Ryszard Terlecki mit Äußerungen wie dem ,,Brüsseler Okkupantentum“ und die Ankündigung von drastischen Lösungen, einschließlich des Polexits.
Das Warschauer Urteil wird entschiedene Konsequenzen in Brüssel nach sich ziehen müssen. Andernfalls zerlegt sich die Europäische Union selbst, wenn jedes EU-Land nach eigenem Gutdünken EU-Recht anwendet, auslegt oder ablehnt. Die Reaktionen aus Brüssel und von EU-Parlamentariern zeigen bereits an, wohin die Richtung gehen könnte. Die Rede ist von finanziellen Sanktionen wie die Einfrierung der von Polen beantragten Gelder aus dem Corona-Rettungsfonds. 24 Mrd. Euro an Zuwendungen und weitere 12 Mrd. Euro an Krediten stehen dabei zur Disposition. Auch die Anwendung des Rechtsstaat- Mechanismus des EU-Haushalts, der den Entzug von Fördergeldern ermöglicht, gegen Polen wäre eine Option, die die EU-Kommission anwenden könnte.

Regierungs-Propaganda: Wir kommen auch ohne EU-Gelder klar

In Warschau ist man darauf offensichtlich bereits vorbereitet. Zumindest propagandistisch. Es ist kein Zufall, dass Marek Suski und der Präsident der Polnischen Nationalbank NBP Adam Glapiński sich im Umfeld des Verfassungsgerichts-Urteil weit aus dem Fenster mit Erklärungen herausgebeugt haben, dass Polen auch ohne die EU-Mittel gut zurecht käme. So sagte Suski gegenüber dem Sender Polsat: ,,Wenn wir die Höhe der Gelder nehmen, die Polen in die EU einzahlt, und die Mittel, die wir von der Union bekommen, dann ist der Unterschied nicht sehr groß. Wir können uns also ohne die Mittel aus Brüssel selbst sehr gut behelfen“. In die gleiche PiS-Propaganda-Tonart stimmt auch Nationalbank-Präsident Glapiński auf dem Kongreß 590 ein: ,,Unser gesamtes Entwicklungsprogramm können wir auch ohne diese Mittel realisieren“.

Tausende protestierten in Warschau und anderen Großstädten gegen einen EU-Austritt Foto:strajkkobiet / Twitter

Diese Erklärungen korrespondieren mit einer Studie, die vor einigen Tagen von Vertretern der Solidarna Polska, Koalitionspartner der PiS-Partei in der Regierung vorgelegt wurde. Darin wird mit einer Betrachtung einzelner, aus dem gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang herausgerissenen Aspekten, die zudem mit Berechnungsfehlern gespickt sind, die Behauptung aufgestellt, dass Polen seit dem Beitritt 2004 zur EU insgesamt 535 Mrd. Złoty (rund 120 Mrd. Euro) finanzielle Verluste erlitten habe. Politische Beobachter werten den Bericht als ,,Polexit-Lüge”. In seiner Machart erinnert er an die seinerzeit von Nigel Farage geführte Kampagne Vote Leave zum Austritt Großbritanniens aus der EU.

Zwar bewerten laut Umfragen über 80 Prozent der polnischen Bevölkerung die Mitgliedschaft in der EU als positiv. Allerdings sind solche Umfragen, abhängig vom Auftraggeber und wegen ihrer Ungenauigkeit immer mit kritischen Abstand zu bewerten. Auch sind Zehntausende am Sonntagabend dem Aufruf des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk zu Protestaktionen in den polnischen Großstädten gegen einen Austritt Polens aus der EU gefolgt, was von der PiS-Parteiführung bestritten wird. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die durch das Urteil des Verfassungsgerichts ausgelöste Eskalations-Verschärfung des Konflikts mit Brüssel schnell eine Dynamik erreichen kann, die in ihrer Konsequenz genau in diese Richtung führt.

© André Jański / infopol.PRESS

Auflösung der Disziplinarkammer – Einlenken oder Salami-Taktik?

Die EU-Kommission hatte Polen ein Ultimatum bis zum 16. August gesetzt. Sollte das Land nicht bis dahin das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu der 2018 in Polen eingeführten Disziplinarkammer umsetzen, werden finanzielle Sanktionen beantragt. PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński hat jetzt darauf reagiert und die Auflösung der Disziplinarkammer zur Disziplinierung der Richter angekündigt. In ihrer jetzigen Form! Was wie ein Einlenken im jahrelangen Streit mit der EU um die umstrittene Justizreform in Polen aussieht, ist jedoch nichts anderes als ein taktisches Manöver zur Absicherung der EU-Milliarden. Kaczyńskis Partei benötigt diese Gelder zur Kofinanzierung ihres als ,,Polnischer Deal“ bezeichneten Programms, der der PiS den nächsten Wahlsieg sichern soll.

Die Disziplinarkammer war 2018 von der Koalitions-Regierung unter Führung der nationalkonservativen PiS-Partei als Teil einer umstrittenen Justizreform eingeführt worden. Durch die von ihr eingeleiteten Disziplinarverfahren konnte jeder Richter oder
Staatsanwalt bestraft oder entlassen werden. Die EU-Kommission befand in dem Dauer-Streit mit Warschau, dass mit der Kammer die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung untergraben wird. So waren die Mitglieder der Kammer mit Personen aus dem Umfeld von Justizminister Zbigniew Ziobro besetzt, der als Vorsitzender der Schwesterpartei Solidarna Polska und als Rechtsaußen in der Koalitionsregierung maßgeblich die Justizreform durchgesetzt hat.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nun erst am 15. Juli geurteilt, dass die Disziplinarkammer gegen EU-Recht verstoße, weil sie „nicht alle Garantien für Unparteilichkeit und Unabhängigkeit“ biete. Ein Tag nach dem Urteil des EuGH erklärte Polens Oberstes Gericht die Vorgaben der europäischen Richter für verfassungswidrig.
Das nachfolgend von der EU-Kommission an Polen gestellte Ultimatum mit der Androhung von finanziellen Sanktionen hatte die PiS-Parteiführung nun in ein Dilemma versetzt. Die von der EU angedrohten finanziellen Sanktionen birgen das Risiko, dass die EU-Kommission aufgrund von Zweifeln an der rechtsstaatlichen Kontrolle die Verwendung die Polen zugesprochenen Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zeitweilig blockieren oder sogar beschränken könnte. Bisher hat die EU-Kommission die Gelder für die Wiederaufbau-Programme von 18 EU-Ländern bestätigt. Polen gehört bisher nicht dazu.

Auf großflächigen Plakaten verspricht die Regierung ,,770 Milliarden Złoty für Polen – für die polnischen Städte und Dörfer”. Die Geldsumme entspricht genau den Milliarden-Beträgen, die Polen beim EU-Gipfel im Dezember 2020 aus dem 5-Jahreshaushalt und den Corona-Wiederaufbauhilfen zugesprochen wurden. Auf den von der Regierung in Auftrag gegebenen Plakaten fehlt darauf allerdings ein eindeutiger Hinweis.. Stattdessen suggerieren die Plakate untergründig, es würde sich um eine Geschenk-Gabe der Regierung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) an das Volk handeln. Foto: KPRM

Neben den 107,9 Mrd. Euro aus dem 5-Jahreshaushalt der EU geht es dabei für Polen um 28,6 Mrd. Euro aus den Instrumenten des Wieder-Aufbaufonds der EU und weiteren 34,2 Mrd. Euro bei Aufnahme von Darlehen. Die PiS-Partei benötigt diese Gelder zur Kofinanzierung ihres im Mai als ,,Polnischer Deal“ beschlossenen Regierungs-Programms, das für Kaczyński die existenzielle Grundlage für das Fortbestehen der angeschlagenen Regierungskoalition und die Sicherung von künftigen Wahlsiegen darstellt.

Offiziell ist das Programm ein Plan zur wirtschaftlichen Erholung nach Corona. Tatsächlich ist es jedoch ein mit ideologischen Vorgaben gespicktes soziales Umverteilungs-Projekt mit sozialen Wohltaten a la Stimmenkauf-Projekt 2.0, das die bisherige Sozialpolitik der PiS bei weiterer Belastungen der öffentlichen Finanzen toppt.
Bei den vielen harten Worten wegen der sogenannten Justizreform in Richtung EU scheint PiS-Parteichef Kaczyński nun eine Lösung gefunden zu haben, wie man aus dem Dilemma herauskommt, ohne das Gesicht zu verlieren. Zeitlich genau abgestimmt, ließ er von der polnischen Nachrichtenagentur PAP ein Gespräch mit ihm veröffentlichen, in dem er die Auflösung der Disziplinarkammer ankündigte. Dabei liegt die Betonung der Ankündigung allerdings auf die Formulierung ,,die Auflösung der Disziplinarkammer in der Gestalt, wie sie gegenwärtig funktioniert“. Man habe sowieso schon lange von dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes seit Monaten eine Reform des Disziplinarsystems geplant, da die Kammer nicht gut ihre Aufgaben erfüllt habe, so Kaczyński. Erste Änderungsvorschläge zu einer erneuten Justizreform werden im September vorgelegt.
Angesprochen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes betonte Kaczyński: ,,Ich erkenne solche Urteile nicht an, weil sie entschieden den EU-Grundlagenvertrag überschreiten“. Kaczyński benutzte dabei aus der Para-Psychologie den Begriff der ,,Fernwahrnehmung“, der den Urteilen des EuGH zugrunde liege. Unzweifelhaft sei jedoch der Gegenstand des Streites mit der EU, der Disziplinarkammer.

Ungarisches Vorbild steht Pate

Mit seiner Ankündigung zur Auflösung der Kammer in ihrer jetzigen Form, würde jetzt jedoch dieses Streitthema verschwinden. Kaczyński ließ allerdings auch durchblicken, dass im Zuge der geplanten Änderungen im Justizsystem anstelle der Kammer andere Instrumente der Disziplinierung der Richter treten könnten. Damit scheint er offensichtlich auf die bewährte ungarische Salami-Taktik seines Verbündeten Viktor Orban zurückzugreifen, mit dem er sich erst kürzlich in Warschau zu vertrauten Konsultationen getroffen hat: Der EU ein Einlenken mit der Auflösung der Disziplinarkammer signalisieren, um die Auszahlung der EU-Gelder in voller Höhe freizubekommen und gleichzeitig auf Zeit spielen. Schließlich müssten die vage für September – wahrscheinlich viel später -angekündigten ersten Änderungen der Gesetzgebung zum Justiz-Apparat erst einmal wieder von der EU-Kommission begutachtet werden. Das entsprechend der EU-Ordnung möglichweise vor dem Europäischen Gerichtshofs eingeleitete Verfahren würde sich dann wieder wie im Fall der Disziplinarkammer mindestens über zwei Jahre hinziehen. In dem Zeitraum hätte sich Polen dann schon alle dem Land zustehenden Milliarden-Beträge gesichert.

Koalitionspartner droht mit Austritt aus der Regierung

Doch kaum scheint das EU-Ultimatum mit dem vorgegebenen Einlenken abgewehrt, da droht Polens mächtigsten Mann vier Stunden nach Abgabe seiner Erklärung schon das nächste Ultimatum. Diesmal aus dem eigenen Lager. Der Vorstand der Partei ,,Porozumienie“ (Verständigung) als kleiner Koalitionspartner der PiS-Partei droht mit den Austritt aus der Regierungskoalition der ,,Vereinigten Rechten“, wenn die PiS-Partei nicht auf deren Forderungen eingeht. Die innerhalb der Regierungskoalition als gemäßigt geltende Koalitionspartei will von Kaczyński, dass u.a. die im Programm ,,Polnischer Deal“ vorgesehenen steuerlichen Belastungen und Abgaben für den besser verdienenden Mittelstand zurückgenommen werden. Eine weitere wesentliche Forderung in dem Ultimatum ist die Rücknahme der Attacken auf den privaten Fernsehsender TVN, den die PiS seit Jahren versucht unter ihre Kontrolle zu bekommen. Der Fernsehsender ist mit seiner unabhängigen kritischen Berichterstattung, die auch Oppositionspolitikern Platz einräumt, ein Dorn im Auge der PiS-Führung und insbesondere ihres Parteichefs Kaczyński. Die PiS-Partei hatte einen Gesetzentwurf zur Änderung des Medien-Gesetzes eingereicht, der Polens Rundfunkbehörde nur noch die Erteilung von Sende-Lizenzen an Sender erlaubt, die sich im Besitz von polnischen Eigentümern oder von Eigentümern mit Sitz im europäischen Wirtschaftsraum EWR befinden. Dies trifft den Sender TVN, der sich im Besitz des US-Medienriesen Discovery befindet und sich seit über einem Jahr ergebnislos um eine Verlängerung seiner im September auslaufenden Lizenz bemüht.
Für viele politische Beobachter ist das Ultimatum der kleinen Koalitionspartei bereits der Anfang vom Ende der gegenwärtigen Regierungskoalition. Ohne die Parlamentarier der ,,Porozumienie“ wäre die PiS nicht mehr in der Lage weiter zu regieren.

© André Jański / infopol.PRESS