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Gelder für Polen wegen Rechts-Reformen gestoppt

Die Vergabe von EU-Fördermitteln an Mitglieds-Länder von deren Einhaltung der Grundprinzipien der Europäischen Gemeinschaft abhängig zu machen ist schon seit geraumer Zeit ein Diskussionsthema in Brüssel und Strasbourg. In Fokus stand dabei neben Ungarn immer Polen wegen seinen umstrittenen Justiz-Reformen. Bei der Diskussion ist es immer geblieben. Bis jetzt. Erstmals hat jetzt ein Entscheidungs-Gremium Handlungsfähigkeit demonstriert und Polen Geldmittel gestrichen. Nein, nicht die EU, sondern Norwegen.

Das norwegische Außenministerium hat bekanntgegeben, aus Protest gegen die polnischen Justizreformen von der Zahlung von rund 700 Mio. Norwegische Kronen (knapp 70 Mio. Euro) an Polen im Rahmen des mit Mitteln des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) finanzierten Justizprogramms Abstand zu nehmen.

Norwegen ist zwar nicht Mitglied der Europäischen Union, gehört aber dem eng mit der EU verbundenen Europäischen Wirtschaftsraum an. Wie in der EU, so ist Polen auch hier der größte finanzielle Nutznießer des EWR-Fonds. Neben Island und Lichtenstein zahlt Norwegen als größter Geldgeber für die Teilnahme am EU-Wirtschaftsraum hier Gelder für Entwicklungshilfe ein. Von den 2,8 Mrd. Euro für den Planungszeitraum 2014 bis 2021 entfallen rund ein Viertel der Gelder auf Polen (3,35 Mrd. Zloty / knapp 800 Mio. Euro) .

Die Zuschüsse aus Norwegen und der EWR sind in mehrere Programme aufgeteilt. Eines dieser Programme ist das Justizprogramm, für das Norwegen eine Unterzeichnung mit Polen und die entsprechende Bereitstellung der finanziellen Mitteln eben ablehnt.

Wegen der jüngsten Entwicklungen zu den Änderungen der Rechtsvorschriften und der Unabhängigkeit der Gerichte werde Norwegen ein entsprechendes Abkommen mit Warschau nicht unterzeichnen, erklärte das norwegische Außenministerium. ,,Wir können nicht mehr Partner eines Justizministeriums sein, dass aktiv die Funktion der Gerichte untergräbt“, teilte dazu der Direktor der norwegischen Gerichtsverwaltung (Domstols-administrasjonen) Sven Marius Urke , der Zeitung Aftenposten mit. Die Regierenden in Warschau wollen die Gerichte in ein politisches Instrument verwandeln. Es gebe kein Land in Europa, in dem die rechtsstaatlichen Grundsätze so unterminiert werden wie in Polen.

Die norwegische Regierung erklärte gleichzeitig, dass die Aussetzung des Justiz-Programms mit Polen und dessen Finanzierung sich nicht auf andere EWR-finanzierte Kooperationen mit Polen auswirken werde. Im Moment noch nicht!

Bereits in der Vergangenheit hatte es Kontroversen zwischen Norwegen und Polen um die Zuteilung der Gelder für das EWR finanzierte Bürger-Programm gegeben.. Kultur-Minister Piotr Gliński (PiS) hatte versucht, die Kontrolle über die dazu von der Norwegern bereitgestellten 53 Mio. Euro zu bekommen. Gliński wollte eine Verteilung der Gelder über das ,,Nationale Freiheits-Institut” durchsetzen. Dieses Institut eine staatliche Einrichtung, über die er selbst die Aufsicht führt. Damit war die norwegische Regierung überhaupt nicht einverstanden. Wir können nicht zulassen, dass die polnische Regierung Kontrolle über Gelder bekommt, die für gesellschaftliche und soziale Zwecke bestimmt sind, hieß es aus Oslo. Warschau legte dagegen sein Veto ein. Norwegen hielt jedoch an dem Grundsatz fest, dass die Gelder von regierungsunabhängigen Organisationen verwaltet werden.

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Foto: KPRP/Szymczuk

Staatspräsident macht Chaos im Rechtssystem komplett

Polens Staatspräsident Andrzej Duda hat jetzt offiziell seine Kandidatur für die anstehenden Präsidentschaftswahlen am 10. Mai bekanntgegeben. Diese Bekanntmachung fiel nahezu zeitgleich mit seiner Unterschrift unter das umstrittene ,,Maulkorb-Gesetz“ zusammen. Und das könnte wie ein Klotz am Bein seinen Wahlkampf für eine erfolgreiche Wiederwahl belasten. Dieses Gesetz sieht einen von Geldstrafen bis zur Entlassung umfassenden Straf-Katalog für Richter vor, die die Kompetenzen anderer Richter oder Gerichte in Frage stellen. Dieses Gesetz ist aber mehr als nur ein weiterer Akt in dem von der nationalkonservativen PiS-Partei seit 2015 vollzogenen und seit Jahren von den EU-Gremien kritisierten Umbau des polnischen Rechts-Systems. In seinen rechtlichen Konsequenzen stellt das Gesetz das Überschreiten einer Roten Linie dar, die die PiS-Regierung bisher– wenn auch mit taktischen Manövern, Verzögerungen – immer noch eingehalten hatte.

Im vergangenen November hatte der Europäische Gerichtshof EuGH entschieden, dass Polens Oberstes Gericht auf der Grundlage klar definierter Grundsätze darüber zu befinden hat, ob der von der PiS-Partei initiierte und weitgehend bestallte Landes-Justizrat und die Disziplinar-Kammer beim Obersten Gericht rechtmäßig seien. Und Polens Oberstes Gericht entschied darauf, dass diese Institutionen nicht dem EU-Recht entsprechen. Die Regierungs-Koalition mit den harten rechten Kern der von Justizminister Zbigniew Ziobro geführten Partei Solidarna Polska reagierte darauf sofort eben mit jenem Gesetz zur Disziplinierung der Richter. In seiner juristischen Konsequenz stellt es das Urteil des EuGH in Frage, in dem es den von der regierungskritischen Präsidentin geführten Obersten Gerichtshof entmachtet.

Chaos – Richter erkennen die Legitimität von anderen Richtern nicht an

Die Regierung hatte immer vorgegeben, mit ihrer Justiz-Reform ein transparenteres und effizienteres System schaffen zu wollen. Schon die Vorgänger-Regierung unter Donald Tusk hatte erste Versuche zur Beschleunigung der Arbeit der Gerichte unternommen. Auch in den dazu geführten öffentlichen Umfragen spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung für Änderungen im Gerichtswesen aus. In den fünf Jahren ihrer Reformen hat sich die PiS-Partei aber ausschließlich nur mit der Änderung der Fundamental-Prinzipien des polnischen Rechtssystems darauf konzentriert, den Justiz-Apparat unter ihre parteipolitische Kontrolle zu bringen. Für jede Kritik an den Reform-Änderungen wird den Richtern mit dem Gesetz die moralische Erpessungs-Keule angedroht.

De facto hat dies zu zwei gleichzeitig parallel existierenden Rechtssystemen in Polen geführt, bei denen die einen Richter die Legitimität der anderen Richter und ihre Urteile nicht anerkennen. Das damit entstandene Chaos zeigt sich markant in den Vorgängen am Bezirksgericht von Olsztyn. Dort hat die im Rahmen der Justizreform neu geschaffene und mit der Regierung ergebenen Richtern besetzte Disziplinarkammer einen Richter des Bezirksgerichts suspendiert und sein Gehalt gekürzt, weil er in einem Gerichtsverfahren die Kompetenzen eines Richters in Frage gestellt hatte, der von dem neuen Landesjustizrat gewählt wurde. Die Richter des Bezirksgerichts verfassten daraufhin eine Petition mit der Forderung nach Rücknahme der Sanktionen gegen den Richter. Diese Petition wurde vom Präsidenten des Bezirksgerichts zerrissen.

Das jetzt unterschriebene Gesetz demoliert das Rechtssystem komplett. Es stellt die Richter vor das moralische Dilemma, sich entweder den Urteilen des Obersten Gerichts, das für sie die oberste Autorität ist, unterzuordnen oder sich den Diszplinar-Sanktionen des neuen Gesetzes auszusetzen, die bis zum Berufs-Ausschluß reichen. Nicht nur die juristischen Berufsverbände, die Opposition, die EU-Kommission und die Venedig-Kommission des Europarates hatten in ihrer Kritik vor den Konsequenzen gewarnt. Selbst das Episkopat der Katholischen Kirche hatte, was in Polen noch viel maßgeblicher ist, empfohlen, den Regelungen nochmal eine genauere Prüfung zu unterziehen. Staatspräsident Duda, der mit seinem Veto-Recht das Gesetz hätte verhindern können, hat sich mit seiner Unterschrift darüber hinweggesetzt.
Die Opposition, die Duda schon in seiner gesamten Amtszeit unselbständiges Handeln und die Wahrnehmung der politischen Interessen der PiS-Parteiführung vorwirft, wertet Dudas Entscheidung als weiteren großen Schritt, Polen vom europäischen Rechtssystem zu entfernen. Polen habe „einen großen Schritt hin zu einem rechtlichen Polexit gemacht“, schrieb dazu der Beauftragte für Bürgerrechte, Adam Bodnar.

Fortgang der PiS-Politik von Dudas Wiederwahl abhängig

Unabhängig davon, wie real das beschworene Gespenst eines solchen ,,Polexit“ ist, für die Opposition ist es eine Vorlage im jetzt anstehenden Wahlkampf gegen Duda und dem hinter ihm stehenden PiS-Parteilager. In dem Bewußtsein, dass die Zustimmung der Bevölkerung zur EU-Mitgliedschaft Polens hoch ist, ist für Opposition die beschworene Gefahr eines Polexits eine gewichtiges Argument im Wahlkampf gegen Duda. Bereits vor einem Jahr hatte sie in der Kampagne zu den Europa-Wahlen ihre Strategie auf einen drohenden Polexit ausgerichtet. Die PiS-Partei hatte seinerzeit diesen Angriff den Wind aus den Segeln genommen, in dem sie ihren Wahlkampf unter das Motto stellte ,,Polen- das Herz Europas”. Mit Erfolg: Die PiS ging als Wahlsieger aus den Europawahlen hervor.

Diesmal dürfte der PiS-Partei kaum ein ähnlicher Schachzug gelingen. Dazu sind die Fakten zu eindeutig. Nun ist die Präsidentenwahl anders als Parlamentswahlen keine Parteiwahl, sondern eine Personen-Wahl. Für die PiS-Partei hat diese Wahl jedoch herausragende Bedeutung, weil von deren Ausgang abhängig ist, ob sie ihre bisherige Regierungs-Politik so weiterführen kann oder nicht. Einige polnische Politologen sprechen sogar davon, dass es am 10. Mai für die PiS-Partei um ,,Sein oder Nichtsein“ geht.

Trotz ihres Wahlsieges im vergangenen Oktober ist die PiS-Partei bereits mit einem Bremsblock aus den Parlamentswahlen hervorgegangen. Erstmals in der Geschichte der Republik hatte sie als Regierungspartei nicht die Mehrheit im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, erringen können. Die Mehrheit, wenn auch nur dünn, liegt bei der Opposition. Der Senat als ,,Kammer der Reflexion” im polnischen Parlaments-System kann zwar nicht die Gesetze verhindern, die der von der absoluten Mehrheit der Regierungspartei dominierte Sejm beschlossenen hat. Der Senat kann den legislativen Prozeß jedoch verzögern. Damit kann das Regierungslager schon mal nicht mehr – wie in der Vergangenheit – Gesetze innerhalb von 24 Stunden durch das Parlament durchpeitschen.

Ganz anders sieht es dagegen mit den Befugnissen des polnischen Staatspräsidenten aus, die über die repräsentative Funktion eines Staatsoberhaupts wie z.B. in Deutschland oder Österreich, hinausgehen. Der polnische Staatspräsident hat ein Veto-Recht. Damit kann er jedes Gesetz blockieren und damit die Regierungsarbeit paralysieren. Wie dies funktioniert, hat Aleksander Kwaśniewski in der Vergangenheit demonstriert. In seiner Amtszeit (1995 bis 2005) hat er zahlreiche Gesetze der damaligen AWS-Regierung (mit dem Justizminister Kaczynski), aber auch der Regierung des ihm politisch nahestehenden SLD-Linksbündnisses blockiert. Wohl auch deshalb ist er bis heute in den Meinungs-Umfragen der populärste Präsident und auch der einzige in der Geschichte der Dritten Polnischen Republik, der für eine zweite Amts-Periode wiedergewählt wurde. Sowohl den Führungsspitzen des Regierungslager als auch den Oppositions-Parteien ist klar, wenn Staats-Präsident Andrzej Duda , der in den entscheidenden Fragen sein Amt immer nur als Vollzugs-Organ der PiS-Partei einsetzte, nicht wiedergewählt wird und eine Oppositionspolitiker die Spitze des Staates übernimmt, dann ist das der Anfang vom Ende der von PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński propagierten Politik des ,,guten Wechsels”.

©  André Janski  / infopol.PRESS