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Polen: Wahlen ohne Stimm-Abgabe am 10.Mai

Kann man Wahlen für ungültig erklären, die überhaupt nicht stattgefunden haben? Was wie eine Anfrage an den ,,Sender Jerewan“ klingt, wird in Polen Realität. Am Sonntag (10. Mai) finden die Präsidentschaftswahlen statt, doch kein Wähler gibt eine Stimme ab. Am nachfolgende Tag werden dann die Wahlen für ungültig erklärt.
Mit dieser Lösung meinen PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński und sein Juniorpartner in der Regierungs-Koalition der ,,Vereinigten Rechten“ Jarosław Gowin, Vorsitzender der Partei Porozumienie (Verständigung) Polens größte politische Krise der vergangenen 30 Jahre unter Kontrolle gebracht zu haben.
Ihren Anfang nahm die Krise am 6.April. Zu diesem Zeitpunkt war das öffentliche Leben bereits durch die Corona-Schutzbestimmungen weitgehend lahmgelegt. Dessen ungeachtet brachte die nationalkonservative PiS-Partei den Vorschlag ihres Vorsitzenden Jarosław Kaczyński als Beschluss-Vorlage durch den Sejm (Parlament), das Wahlrecht abzuändern und die Präsidentschafts-Wahl am 10. Mai als reine Brief-Wahl abzuhalten. Die Opposition legte daraufhin heftigen Protest ein. Unter den Bedingungen der Corona-Krise, die auch das Versammlungsrecht ausschließt, seien kein fairer Wahlkampf und allgemeine Wahlen möglich. Die Führung der PiS-Partei verwies dagegen unter Hinweis auf die Kommunal-Wahlen in Bayern, die vor einigen Wochen unter den Vorzeichen der Corona-Krise als Briefwahl abgehalten wurden, darauf, dass man mit der Briefwahl das Gesundheits-Risiko und die Befürchtungen der Wähler vor der Ansteckungs-Gefahr im Wahlbüro minimieren könne. Eine Verschiebung des Wahl-Termins schloss die PiS-Parteiführung kategorisch aus, obwohl die polnische Verfassung eine solche Möglichkeit, z.B. durch Ausrufung des Naturkatastrophen-Falls, vorsieht.

Präsidentschaftswahl für PiS von existenzieller Bedeutung

Das kategorische Festhalten am 10. Mai als Wahltermin hatte sein Gründe. Dem Vordenker der PiS-Partei und ausgebufften Parteistrategen Jarosław Kaczyński ist völlig klar, dass nach Ende der Corona-Krise das großen Schlachten beginnt . Dann wird die Frage nach den politischen Verantwortlichen für die Tausenden von Firmen-Pleiten, der danieder liegenden Wirtschaft, den Anstieg der Arbeitslosigkeit, den sinkenden Einkommen, der ausufenden Staatsverschuldung usw. gestellt.

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Zu einem solchen Zeitpunkt, den Kandidaten der Regierungspartei, den bisherigen Staats-Präsidenten Andrzej Duda bei seiner Wiederwahl durchzubringen, wäre dann kaum noch möglich.
Dabei hat die Wiederwahl von Andrzej Duda für die PiS-Partei existenzielle Bedeutung. Denn der polnische Staatspräsident hat ein Veto-Recht. Wenn bei den Wahlen nicht Andrzej Duda gewinnt, sondern der Kandidat einer Oppositionspartei das Amt des Staats-Präsidenten übernimmt, dann könnte der jedes vom Parlament mit der Mehrheit der PiS-Partei beschlossenes Gesetz blockieren. Das wäre der Anfang vom Ende der PiS-Regierung.
Krisenzeiten sind dagegen Zeiten, in denen sich Amtsträger profilieren können. Für Kaczyński war und ist die Corona-Krise dagegen die ideale Gelegenheit, den Kandidaten der PiS-Partei, den amtierenden Staatspräsidenten Duda mit Leichtigkeit zu einer zweiten Amtszeit zu verhelfen. Entsprechend wurde Duda in dem von der PiS-Partei kontrollierten staatlichen TVP-Fernsehen täglich als Staatsmann und Krisen-Manager präsentiert, während die Opposition zu Hause sitzen mußte.

Kaczyński von Junior-Partner unter Druck gesetzt

Das bedingungslose Festhalten an dem Wahltermin, mit dem die PiS-Partei ihr skrupellose Machtpolitik in der Krisenzeit über das Gemeinwohl stellt, hatte jedoch nicht nur bei der Opposition entschiedenen Widerstand ausgelöst. auch im Regierungslager Widerstand ausgelöst. Auch  Jarosław Gowin, Vorsitzender der Partei Porozumienie, einer der beiden Juniorpartner in der von der PiS-Partei geführten Regierungskoalition sprach sich für eine VerschiebungWahlen aus. Gowin, ohne dessen Stimmen seiner Partei die PiS die absolute Mehrheit im Parlament verlieren würde, drohte sogar damit, mit seiner Fraktion die Regierungs-Koalition zu verlassen, wenn nicht der Wahltermin verschoben wird. Dabei war schon absehbar, dass die Brief-Wahlen zu dem von der PiS-Regierung festgelegten Termin im Chaos versinken werden, denn das vom Sejm beschlossene abgeänderte Wahlrechts-Gesetz zur Briefwahl mußte erst noch vom Senat, der zweiten Kammer des Parlaments begutachtet werden. Entsprechend dem legislativen Prozeß-Verfahren wird dem Senat dafür eine Frist von 30 Tagen eingeräumt. Der Senat wird aber nicht von der PiS-Partei, sondern von der Opposition dominiert. Damit war vorhersehbar, dass der Senat die Frist voll ausschöpfen wird. Am Dienstag dem 5.Mai, also fünf Tage vor dem Wahltermin legte der Senat in der Abendstunden seinen ablehnenden Beschluß zur Änderung des Wahlrechts vor. Zu dem Zeitpunkt hatte der Regierungs-Beauftragte für die Wahlen Jacek Sasin, ein engster Vertrauter von Kaczyński, bereits einen Druck der Wahl-Unterlagen veranlasst, obwohl dafür überhaupt noch keine gültige Rechts-Grundlage vorlag, nämlich ein verabschiedetes Wahländerungs-Gesetz.
Nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus organisatorischer Sicht war das Chaos vorprogrammiert. Für die Wahl-Kommissionen fanden sich wegen der Corona-Krise nicht genügend Wahlhelfer. Die Auszählung der Wahlstimmen würde Woche dauern. Auch die Polonia, die Organisation der Auslandspolen hatte bereits im Vorfeld gewarnt, dass rund 2,5 Mio. im Ausland lebende Polen aufgrund der kurzen Fristen und der in vielen Ländern geltenden Corona-Schutzbestimmungen von der Wahl praktisch ausgeschlossen werden.

Kompromiß aus dem Hinterzimmer

Die Ablehnung des Senats zur Abänderung des Wahlgesetzes hat allerdings keinen bindenden, sondern nur einen Empfehlungs-Charakter. Sie kann vom Sejm, der ersten Kammer des Parlaments, wieder überstimmt werden. Hier hat die PiS-Partei die Mehrheit, wenn denn ihr Junior-Partner, Gowins Partei Porozumienie, mitzieht. Und das war nach der ablehnenden Haltung von Gowin offen. In den Abendstunden vom Mittwoch, den 6.Mai, fand dann das Tauziehen um den Termin der Präsidentschafts-Wahlen (vorerst) ein Ende. Um 22.03 Uhr gaben Kaczyński und sein Widersacher Gowin eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sich für eine Brief-Wahl aussprechen, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt. Danach wird die Wahl am 10.Mai stattfinden, jedoch nur theoretisch, ohne Stimm-Abgabe, damit sie am nachfolgenden Tag vom Obersten Gericht für ungültig erklärt werden kann. Damit wird der Weg freigemacht, dass die Parlaments-Präsidentin einen neuen Termin für die Briefwahl festlegen kann. Voraussichtlich wird die Wahl dann im Juli stattfinden.
Es spricht für den Zustand des politischen Systems in Polen, dass zwei Herren von der Regierungs-Koalition im Hinterzimmer einen Entscheidungs-Prozeß zu den Wahlen herbeiführen, während zur gleichen Zeit ohne Beteiligung oder Kenntnis von dem die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im TVP-Fernsehen eine Wahlkampf-Debatte führen. Die Demontage des polnischen Staates und seiner Institutionen schreitet damit weiter voran. Weltweit ein einmaliger Vorgang: nach Festlegung des Wahltermins wird im Nachhinein Wochen später unter Protest der Opposition  plötzlich das Wahlrecht geändert. Und drei Tage vor dem drohenden Wahl-Chaos können unter kompletter Ausschaltung des Souveräns ,,der kleine und der große Jarosław“ mit einer ,,Vereinbarung im Hinterzimmer“ praktisch darüber entscheiden, dass die tatsächlich nicht stattgefundene Wahl für ungültig zu erklären ist.

© André Janski / infopol.PRESS