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Warschau speist antideutsche Phobien mit Billionen-Forderung

Foto: PL-Agentur

Aus Milliarden sind nun Billionen geworden. Zum 83.Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen und Beginn des Zweiten Weltkriegs präsentierte die Regierungspartei in Warschau den Bericht zu den erlittenen Verlusten und Schäden. Die Chancen, von Deutschland als Entschädigung dafür Reparationszahlungen zu erhalten, liegen bei Null. Deutsche Regierungen lehnen seit Jahrzehnten Reparationsforderungen mit dem Verweis auf den polnischen Reparationsverzicht aus dem Jahre 1953 kategorisch ab. Das weiß auch Polens Politiker Nr. 1 Jarosław Kaczyński. Für ihn sind die Reparationsforderung ein erstrangiges parteipolitisches Instrument, um mit dem Schüren antideutscher Phobien das eigene Wähler-Klientel im kommenden Wahljahr zu mobilisieren.

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung hat kein anderes Land soviel Leid und Schäden durch die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg erlitten wie Polen. Über 5,2 Millionen Polen kamen ums Leben. Auch die materiellen Schäden waren enormh. So wurde ab dem August 1944 die polnische Hauptstadt systematisch zerstört.

Polen will 1300 Milliarden Euro Reparationen von Berlin einfordern

In dem jetzt zum 83.Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen öffentlich gemachten Bericht werden die Schäden beziffert. Sie sollen zur Grundlage für Reparationsforderungen an Deutschland gemacht werden. Die Veröffentlichung des Berichts, der seit 2017 in Arbeit war, wurde immer wieder verschoben. Im Vergleich zu bereits früher genannten Beträgen von über 800 Milliarden Euro sind jetzt die Schäden und damit die Reparationsforderungen an Deutschland auf 6,22 Billionen Złoty angestiegen. Das sind mehr als 1300 Milliarden Euro. Diese gewaltige Summe macht über das Vierfache der gegenwärtigen öffentlichen Schulden Polens aus oder etwa ein Drittel der aktuellen deutschen Wirtschaftsleistung..

In dem Bericht werden als Hauptbestandteil der astronomischen Summe die ausgebliebenen Einkommen der während der deutschen Besatzung umgekommenen Polen auf 919 Milliarden Euro geschätzt. Die materiellen Schäden werden mit umgerechnet rund 170 Milliarden Euro beziffert. Dazu kommen zerstörte und geplünderte Kulturgüter und Finanzwerte. In die Berechnungen sind auch die rund zwei Millionen polnischen Zwangsarbeiter eingeflossen.

Die Berechnungs-Methode, für die eine Bestandsaufnahme des ministerialen Büros für Kriegsentschäden aus dem Jahre 1947 zur Grundlage genommen wurde, ist durchaus diskutabel. Seinerzeit wurde der Wert der Schäden und Verluste mit 258,4 Mrd. Złoty zum Bezugs-Jahr 1939 geschätzt. Dies entsprach – auch mit dem Bezugsjahr 1939 – 48,8 Mrd. US-Dollar.

Polnische Wirtschaftswissenschaftler haben auf Grundlage von makroökonomischen Daten aus dieser Zeit ein gravierendes Ungleichgewicht bei diesen Verlust-Schätzungen in Beziehung von Nationaleinkommen zum Nationalvermögen festgestellt. So hatte die polnische Statistik-Behörde für das Jahr 1938 Polens Nationaleinkommen mit 15 Mrd. Złoty angegeben. Der Wert der 1947 geschätzten Kriegsverluste betrug dagegen über 1500 Prozent des vor dem deutschen Überfalls bezifferten Nationaleinkommens. Nach Einschätzung des Ökonomen Marcin Wroński sind die Schätzungen völlig überhöht. Würde man sie zur Grundlage nehmen, dann müsste Polen vor Kriegsbeginn das reichste Land der Welt gewesen sein.
Unbeschadet der moralisch berechtigten Entschädigungsansprüche Polens sind die Schätzungen auch noch aus anderer Sicht problematisch. Mit der Westverschiebung der polnischen Grenzen im Ergebnis des Potsdamer Abkommens gehörten nur 53 Prozent des heutigen polnischen Staatsterritoriums zur Zweiten Polnischen Republik vor 1939. Im Potsdamer Abkommen der Siegermächte wurde unter den Druck von Stalin festgelegt, dass Polen die ,,Kresy“ an die Sowjetunion abgibt und als Ausgleich die deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße erhält.
Mit den ,,Kresy“ werden die Gebiete östlich des Bugs bezeichnet, die bis 1939 unter polnischen Verwaltung standen. Dabei handelt es sich um einen großen Teil der Westukraine, dem heutigen Weißrussland (Belarus) und Litauen. Nach der Wiederbegründung des polnischen Staates im Ergebnis des Ersten Weltkrieges 2018 hatten die Siegermächte Großbritannien und Frankreich die nach dem britischen Außenminister benannte Curzon-Linie als vorläufige Demarkationslinie zwischen Polen und Sowjetrussland verkündet. Sie war eine unter Bezug auf die Muttersprache der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung eine ethnografische Linie. In den Gebieten östlich des Bugs war abgesehen von einigen Städten wie Lemberg (Lwów/Lwiw) die polnischstämmige Bevölkerung jedoch in der Minderheit. In den ländlichen Regionen bildeten dagegen Menschen, die ukrainisch, litauisch, russisch oder jiddisch sprachen, die Bevölkerungs-Mehrheit. Auch die Nachfahren deutscher Einwanderer spielten lokal eine Rolle. Für die polnische Politik unter Führung von Piłsudski spielte die Sprache und die Ethnien-Mehrheit keine Rolle. Anknüpfend an das Großreich der Polnisch-Litauischen Union aus dem Mittelalter, das bis zum 18.Jahrhundert weite Teile der Ukraine und Russlands beherrschte, wurden weit über die Curzon-Linie hinaus die Gebiete östlich des Bugs annektiert.

Reparationen nicht direkt von Deutschland, sondern über UdSSR

Die bis 1939 unter polnischen Verwaltung stehenden Gebiete gehörten nach einer Erhebung des Völkerbunds von 1936 zu den ärmsten Regionen Europas. Die deutschen Gebiete, die Polen 1945 zum Ausgleich für die von Stalin vereinnahmten ,,Kresy“ zugesprochen worden, waren dagegen in der Infrastruktur und dem wirtschaftlichen Ausrüstungspotenzial vielfach höher entwickelt. In den Schätzungen und Berechnungen über die von den Deutschen angerichteten Schäden und Verlusten ist dieser Zugewinn nicht berücksichtigt.
Im Potsdamer Abkommen haben die USA. die Sowjetunion , Großbritannien und Frankreich die Gebietsverschiebung auch nicht als Reparationsleistung bewertet. Auch wurden aus den Fehlern des Ersten Weltkrieges lernend keine Geldsummen festgelegt, die Deutschland als Entschädigung zu zahlen hat. Reparationen sollten als materielle Leistungen eingezogen werden. Polen sollten dabei einen Teil der Reparationen erhalten, die von der Sowjetunion eingezogen wurden. Praktisch bedeutete dies, dass Polen Kriegs-Reparationen nicht direkt von Deutschland ,sondern in Vermittlung durch die UdSSR erhielt. Nach Darstellung der polnischen Seite, musste sich Polen in einen 1945 abgeschlossenen gesonderten Vertrag mit der Sowjetunion verpflichten, für die Reparationen Kohle in das Nachbarland zu liefern.

Reparations-Verzicht auch in der UNO bestätigt

Als in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, infolge des massiven Abbaus von Infrastruktur, Fabriken, Maschinen und Anlagen durch die Sowjets der wirtschaftliche Kollaps drohte, immer mehr DDR-Bürger in den Westen flohen und der im Juni 1953 der sogenannte Volksaufstand ausbrach, gab die damalige kommunistische Regierung der Volksrepublik Polen unter dem Druck von Moskau am 23. August 1953 bekannt, dass sie auf weitere Reparationen aus Deutschland verzichtet. Im Unterschied zur Sowjetunion, die sie nur zeitweise aussetzte! Dieser Beschluss wurde auch im September 1953 in einer in der Plenarsitzung der UNO abgegebenen eindeutigen Erklärung bestätigt. International manifestiert, hatte er damit einen definitiven Charakter. Aus deutscher Sicht ist mit dem Verzicht von 1953 und den Zwei-Plus-Verhandlungen im Jahre 1990 die Frage der Reparationen somit endgültig abgeschlossen.

Appell an das deutsche Gewissen

Auch die bei der Vorstellung des Schadensberichtes abgegebene Behauptung, Polen habe im Unterschied zu anderen Ländern keine Entschädigung von Deutschland erhalten, ist nicht richtig. Seit 1972 hat Polen Schätzungen zufolge 1,25 bis 2,5 Mrd. Euro erhalten. Allerdings nicht in Form einer Zahlung von Staat zu Staat sondern als humanitäre Hilfe u.a. für die Opfer in den Konzentrationslagern und Zwangsarbeiter. ,,Dieser Betrag ist wirklich erbärmlich niedrig, wenn man unsere riesigen Kriegsverluste betrachtet», meint der Historiker Stanisław Żerko in einem Interview mit der Zeitung ,,Rzeczpospolita“. Seiner Meinung nach, die auch von den meisten Juristen und Völkerrechtler sowie Oppositionspolitikern geteilt wird, hat Polen jedoch keine Chance auf Reparationszahlungen. Unter dem rechtlichen Aspekt ist die Sache abgeschlossen. Man müsse sie aber auf eine moralische und politische Ebene heben, insbesondere weil deutsche Politiker gerne andere Staaten und Regierungen mit Werteorientierten Argumenten belehren. In diesem Zusammenhang erinnerte er an die wohlfeilen Erklärungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinen Besuch am 1.September 2019 in Wieluń und Warschau, wo er von der deutschen Schuld, den deutschen Verbrachen und der deutschen Schande sprach. Wenige Tage später habe der gleiche Bundespräsident dann schon in einem Interview mit dem italienischen Corriere della sera eine Rückkehr zu Reparationen ausgeschlossen. An dieser deutschen Haltung werde sich nichts wesentlich ändern.

Kaczynskis ,,große Aktion“

Dessen ist sich auch die nationalkonservative Regierung in Warschau bewusst. Es ist kein Zufall, dass die Publizierung des seit längerer Zeit vorliegenden Berichtes gerade jetzt erfolgt, da in Polen der Wahlkampf begonnen hat. Und es ist auch kein Zufall, dass nicht Staatspräsident Duda oder Regierungschef Morawiecki, sondern PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński bei der Vorstellung des Berichtes über die Opfer und Schäden der von den Deutschen verübten Gräuel-Verbrachen das Wort führt.
Eine drohende Wahl-Niederlage vor Augen hatte Kaczyński bereits im Juli in einem Interview mit der Nachrichtenagentur PAP eine ,,große Aktion“ angekündigt, mit der das ,,härteste Wählerklientel“ der PiS-Partei wieder aktiviert werden soll. Die jetzt erfolgte Veröffentlichung wird die Spannungen mit Deutschland noch weiter verschärfen. Die Schürung antideutscher Phobien ist für die Nationalkonservativen ein erstrangiges politisches Instrument, um vor dem Hintergrund der extrem hohen Inflation in Polen und den im Widerspruch zu der tatsächlichen Situation abgegebenen Energie-Versprechen verlorengegangenes Vertrauen des eigenen Wählerklientels zurückzugewinnen. Immerhin sprachen sich Ende August in einer Umfrage 51.1 Prozent der Polen für Reparationsforderungen gegenüber Deutschland aus.

© André Jański / infopol.PRESS