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Ausnahmezustand als politisches Ablenkungsmanöver

Foto: MSWiA

Die kurzfristige Verhängung des Ausnahmezustands an der Ostgrenze hatten Staatspräsident Andrzej Duda und die PiS-Regierung mit der akuten Bedrohungslage an der Grenze zu Belarus begründet. Doch ist die Situation an der Grenze tatsächlich so bedrohlich und sind die von der Verfassung vorgegebenen Gründe für die Einführung eines solchen drastischen Mittels wie den Ausnahmezustand überhaupt gegeben, fragt jetzt die Opposition. Sie wirft den nationalkonservativen Regierungspartei PiS vor, den Ausnahmezustand nur als politisches Instrument zu nutzen, um ihren Machterhalt zu sichern.

Der Ausnahmezustand ist zunächst auf 30 Tage befristet und gilt für die an der Grenze zu Belarus gelegenen Wojewodschaften Podlaskie und Lubelskie. Flächenmäßig sind die größer als die beiden Bundesländer Hessen und Thüringen zusammen. Direkt betroffen vom Ausnahmezustand sind 183 im Grenzstreifen gelegene Ortschaften. Zu den Beschränkung der Bürgerrechte gelten dort u.a. ein Versammlungsverbot und die Beschränkung des Zugangs zu öffentlichen Informationen. Ortsfremde dürfen das Gebiet nicht betreten, Medienvertreter werden ausgesperrt.
Staatspräsident Duda und die PiS-Regierung werfen den Machthaber Lukaschenko in Belarus vor, im Rahmen eines ,,Hybrid-Krieges” bewusst die Ausreise von Flüchtlingen nach Polen als Revanche für die gegen das Land eingeleiteten EU-Sanktionen zu organisieren. Tatsächlich gibt es begründete Hinweise darauf, dass das Lukaschenko Regime in den vergangenen Monaten Flüchtlinge aus den Irak, Afghanistan und Afrika ins Land geholt hat, um sie dann an die Grenze zu den EU-Nachbarländern Litauen, Lettland und Polen zu bringen. Lukaschenko selbst hatte schon im Mai davon gesprochen, dass dies die Rache für die gegen sein Regime von der EU verhängten Sanktionen sei. So hatte auch die polnische Grenzschutzbehörde in den vergangenen Wochen einen verstärkten Andrang von Flüchtlingen festgestellt. Nach ihren Angaben wurden im August knapp 1000 illegale Grenzgänger an der rund 400 Kilometer langen Grenze zu Belarus festgenommen. Weitere 2500 seien abgewehrt worden.
Wir werden keine Wiederholung des Flüchtlings-Welle von 2015 zulassen, heißt es aus Warschau. Aus polnischem Munde klingt dies befremdlich, gehörte Polen doch seinerzeit zu den Ländern, die sich vehement der europäischen Solidarität und der Aufnahme von Flüchtlingen verschlossen haben. Doch diesmal sieht man sich in seltener Einigkeit mit der EU und ihrer Kommission in Brüssel, die den sicheren Schutz der polnischen Grenze als EU-Außengrenze beipflichtet. So hat Polen in den vergangenen zwei Wochen zusätzlich 2000 Soldaten und Polizei zur Unterstützung des Grenzschutzes an die Ostgrenze abkommandiert. Zusätzlich wurde eine Stacheldraht-Verhau an der Grenze errichtet, das gegenwärtig mit dem Bau eines zweiten Zaunes ergänzt wird.

Flüchtlings-Drama an der Ostgrenze

Die EU-Kommission, die sonst keine Gelegenheit auslässt, Polen wegen der Verletzung der rechtsstaatlichen EU-Normen anzuzählen, hat auch das die Medien-Berichterstattung beherrschende Flüchtlings-Drama bei Usnarz Górny stillschweigend in Kauf genommen. Dabei geht es nicht um Zahntausende oder Tausende Flüchtlinge. Seit drei Wochen vegetiert dort eine Gruppe von etwa 30 mutmaßlich afghanischen Flüchtlingen im Wald-Untergrund unter freiem Himmel unmittelbar an dem Grenzstreifen zwischen beiden Ländern. Hinter ihnen stehen Soldaten aus Belarus. Unmittelbar vor ihnen hat sich eine Postenreihe von polnischen Soldaten und Polizisten mit Karabinern aufgereiht. Soldaten und Grenzschützer hindern Hilfsorganisationen, den Flüchtlingen Lebensmittel, Wasser, Hygiene-Artikel und Medikamente zu bringen. Auch zwei Geistlichen mit Hilfsgütern wird der Zugang verwehrt. Selbst ein Abgeordneter des polnischen Parlaments, der den Flüchtlingen einen Beutel mit Nahrungsmitteln zuwerfen will, wird in einer wilden Hetzjagd (Siehe Video) abgedrängt.

 

Die Regierung könne ,,keinerlei Präzedenzfälle schaffen“, rechtfertigte Innenminister Kamiński die Blockadehaltung. Würden die Afghanen nach Polen gelassen, „dann haben wir an unserer Grenze nicht ein, sondern viele solcher Usnarz“. Diese Einstellung wird laut den Umfragen von der Mehrheit der Polen geteilt. Doch die verstörenden Bilder von polnischen Soldaten mit der Waffe in der Hand, die kategorisch Hilfeleistungen für Bedürftige zurückweisen, haben selbst manche PiS-Anhänger ins Herz getroffen.

,,Unglücksfall“ Pilzvergiftung

In das Blickfeld der Öffentlichkeit sind auch die von den Medien aufgedeckten Vorgänge in einer Ausländerunterkunft am Rande von Warschau mit vergifteten afghanischen Kindern geraten, die von den Behörden als ,,Unglücksfall“ eingestuft wurden. Dort hielt sich eine afghanische Familie auf. Allerdings handelte es sich nicht um Flüchtlinge, sondern um afghanische Ortskräfte, die als Dolmetscher für die britische Armee in Afghanistan gearbeitet hatten. Nach Berichten des Nachrichten-Portals okopress waren die Afghanen auf Wunsch der britischen Regierung von Polen in der letzten August-Woche aus Kabul ausgeflogen worden. Weil sie Hunger hatten und nicht ausreichend zu Essen bekamen, sollen sie laut den Medienberichten in dem Waldgrundstück der polnischen Ausländer-Unterkunft Pilze gesammelt haben, um sich eine Pilzsuppe zu kochen. In Unkenntnis der hiesigen Pilz-Sorten verarbeiteten sie dafür Grüne Knollenblätterpilze. Die Pilzvergiftung traf insbesondere die Kinder. Zwei von drei Kindern starben diese Woche in einem Warschauer Krankenhaus. Medienberichte, wonach die Kinder nur deshalb die Pilze aßen, weil sie in der Unterkunft nicht genügend zu essen bekamen, dementierte die polnische Ausländerbehörde .
Mit der Einführung des Ausnahmezustand sind jetzt Usnarz und die Flüchtlings-Berichte aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit genommen. Medienvertreter dürfen das Gebiet nicht mehr betreten. Am ersten Tag nach Inkrafttreten gab es bereits zwei Verhaftungen von Journalisten. Das Ausnahmerecht schließt auch die Möglichkeit einer Presse-Zensur ein.
Die Opposition bewegt vor allem die Frage, ob die Situation an der Grenze überhaupt die Einführung einer solch drastischen Maßnahme wie den Ausnahmezustand rechtfertigt. Dabei hat sich der Ausnahmezustand vor 40 Jahren, mit dem seinerzeit die mit der Gründung der Solidarność entstandene Demokratiebewegung ausgeschalten werden sollte, fest in das historische Gedächtnis Polens eingeprägt. In dem nach der politischen Wende 1989 erarbeiteten polnischen Grundgesetz wurde daher genau definiert, welche Gründe die Einführung eines Ausnahmezustands rechtfertigen. Dazu heißt es im Art. 230 des polnischen Grundgesetzes ,,bei einer besonderen Bedrohung der verfassungsgemäßen Grundordnung des polnischen Staates, der Sicherheit der Bürger und der öffentlichen Ordnung, darunter hervorgerufen durch Handlungen mit terroristischen Charakter und Handlungen im Cyber-Raum, die nicht durch die Anwendung regulärer verfassungsgemäßer Mittel gelöst werden können“.

Ausnahmezustand ohne Konsultation mit dem Nationalen Sicherheitsrat

Über Wochen hatte die PiS-Regierung ständig wiederholt, dass sie die Situation an der Grenze unter Kontrolle habe und die Einschaltung der europäischen Grenzagentur Frontex überhaupt nicht notwendig sei. Was hat sich denn nun innerhalb von weniger Stunden Dramatisches an der Grenze zu Belarus geändert, dass die PiS-Regierung und ihr Staats-Präsident den Ausnahmezustand verhängen mussten? Wenn tatsächlich die Nation von außen bedroht sei, hätte dann die PiS-Regierung nicht alle demokratischen Kräfte vorher in den Entscheidungs-Prozess zum Ausnahmezustand einbeziehen müssen, fragte der Chef der Bauernpartei PSL, Władisław Kosiniak–Kamysz. Auch der Nationale Sicherheitsrat wurde von Staatspräsident Andrzej Duda überhaupt nicht einberufen.
Für Kosiniak-Kamysz wie für die gesamte Opposition steht fest, dass der jetzt eingeführte Ausnahmezustand überhaupt keine außerordentliche patriotische Maßnahme zur Abwehr einer Gefahr von außen ist, sondern von der PiS-Regierungspartei als politisches Mittel nach innen missbraucht wird, um von ihren Problemen abzulenken und ihren Machterhalt zu sichern.
Mit dem Austritt des kleinen Koalitionspartners Porozumienie aus der Regierungskoalition besitzt die PiS-Fraktion seit Anfang August nicht mehr die absolute Mehrheit im Parlament. Ihr als ,,Polnischer Deal” bezeichneten Konjunktur-Programm hat bisher nicht die erhoffte Wirkung erzielt. Dazu sollen auch die EU-Milliardenbeiträge eingesetzt werden. Die werden gegenwärtig aber noch von Brüssel blockiert. Mit ihren Mediengesetz, das sich gegen den privaten Fernsehsender TVN24 richtet, hat sich Kaczyńskis Partei zudem noch mit den Bündnispartner USA angelegt, denn TVN24 gehört zum US-Medienkonzern Discovery. Zudem hat die Jahre vor sich her dümpelnde Oppositionspartei PO mit der Rückkehr ihres ehemaligen Vorsitzenden und Ex-Regierungschef Donald Tusk Aufwind bekommen.
Die Situation für die Nationalkonservativen erinnert an die des Jahre 2007. Zu der Zeit war Parteichef Kaczyński Ministerpräsident. Mit dem Verlust ihrer beiden Koalitionspartner verlor die PiS-Partei auch seinerzeit die Parlaments-Mehrheit. Die Möglichkeit von vorgezogenen Neuwahlen in diesem Herbst wird daher von politischen Beobachtern seit Monaten prognostiziert. Mit dem Ausnahmezustand wird dies unmöglich gemacht Im polnischen Grundgesetz ist dazu festgelegt, dass 90 Tage nach Beendigung eines Ausnahmezustands keine Wahlen stattfinden dürfen. Dies gibt Kaczyńskis PiS-Partei Zeit, sich politisch zu konsolidieren. Dafür setzt sie auf die national-patriotische Karte. Dies funktioniert in Polen immer. Die Regierungs-Propaganda verbindet das Flüchtlings-Thema jetzt auch noch mit dem beginnenden russisch-weißrussischen Militär-Manöver Sapad. Im Auftrag Putins könnten Diversanten auf polnisches Territorium gelangen, um den polnischen Grenzschutz zu testen, spekulieren PiS-Politiker.
Die Angst und das Bedrohungs-Gefühl sind Faktoren, die bewirken, dass die Menschen aufhören darauf zu schauen, was ihnen an der Politik der Regierung nicht gefällt, schreibt dazu der Chef-Kommentator der Zeitung ,,Rzeczpospolita“. Und da setzt Kaczyńskis vielfach praktiziertes .Politik-Konzept der Teilung der Gesellschaft an: Wer Polen liebt, der unterstützt blind die Regierung ohne Zweifel an den verhängten Ausnahmezustand. Wer dagegen Fragen stellt und Zweifel hat, der steht auf der Seite von Lukaszenko und Putin.

© André  Jański / infopol.PRESS