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Auflösung der Disziplinarkammer – Einlenken oder Salami-Taktik?

Die EU-Kommission hatte Polen ein Ultimatum bis zum 16. August gesetzt. Sollte das Land nicht bis dahin das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu der 2018 in Polen eingeführten Disziplinarkammer umsetzen, werden finanzielle Sanktionen beantragt. PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński hat jetzt darauf reagiert und die Auflösung der Disziplinarkammer zur Disziplinierung der Richter angekündigt. In ihrer jetzigen Form! Was wie ein Einlenken im jahrelangen Streit mit der EU um die umstrittene Justizreform in Polen aussieht, ist jedoch nichts anderes als ein taktisches Manöver zur Absicherung der EU-Milliarden. Kaczyńskis Partei benötigt diese Gelder zur Kofinanzierung ihres als ,,Polnischer Deal“ bezeichneten Programms, der der PiS den nächsten Wahlsieg sichern soll.

Die Disziplinarkammer war 2018 von der Koalitions-Regierung unter Führung der nationalkonservativen PiS-Partei als Teil einer umstrittenen Justizreform eingeführt worden. Durch die von ihr eingeleiteten Disziplinarverfahren konnte jeder Richter oder
Staatsanwalt bestraft oder entlassen werden. Die EU-Kommission befand in dem Dauer-Streit mit Warschau, dass mit der Kammer die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung untergraben wird. So waren die Mitglieder der Kammer mit Personen aus dem Umfeld von Justizminister Zbigniew Ziobro besetzt, der als Vorsitzender der Schwesterpartei Solidarna Polska und als Rechtsaußen in der Koalitionsregierung maßgeblich die Justizreform durchgesetzt hat.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nun erst am 15. Juli geurteilt, dass die Disziplinarkammer gegen EU-Recht verstoße, weil sie „nicht alle Garantien für Unparteilichkeit und Unabhängigkeit“ biete. Ein Tag nach dem Urteil des EuGH erklärte Polens Oberstes Gericht die Vorgaben der europäischen Richter für verfassungswidrig.
Das nachfolgend von der EU-Kommission an Polen gestellte Ultimatum mit der Androhung von finanziellen Sanktionen hatte die PiS-Parteiführung nun in ein Dilemma versetzt. Die von der EU angedrohten finanziellen Sanktionen birgen das Risiko, dass die EU-Kommission aufgrund von Zweifeln an der rechtsstaatlichen Kontrolle die Verwendung die Polen zugesprochenen Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zeitweilig blockieren oder sogar beschränken könnte. Bisher hat die EU-Kommission die Gelder für die Wiederaufbau-Programme von 18 EU-Ländern bestätigt. Polen gehört bisher nicht dazu.

Auf großflächigen Plakaten verspricht die Regierung ,,770 Milliarden Złoty für Polen – für die polnischen Städte und Dörfer”. Die Geldsumme entspricht genau den Milliarden-Beträgen, die Polen beim EU-Gipfel im Dezember 2020 aus dem 5-Jahreshaushalt und den Corona-Wiederaufbauhilfen zugesprochen wurden. Auf den von der Regierung in Auftrag gegebenen Plakaten fehlt darauf allerdings ein eindeutiger Hinweis.. Stattdessen suggerieren die Plakate untergründig, es würde sich um eine Geschenk-Gabe der Regierung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) an das Volk handeln. Foto: KPRM

Neben den 107,9 Mrd. Euro aus dem 5-Jahreshaushalt der EU geht es dabei für Polen um 28,6 Mrd. Euro aus den Instrumenten des Wieder-Aufbaufonds der EU und weiteren 34,2 Mrd. Euro bei Aufnahme von Darlehen. Die PiS-Partei benötigt diese Gelder zur Kofinanzierung ihres im Mai als ,,Polnischer Deal“ beschlossenen Regierungs-Programms, das für Kaczyński die existenzielle Grundlage für das Fortbestehen der angeschlagenen Regierungskoalition und die Sicherung von künftigen Wahlsiegen darstellt.

Offiziell ist das Programm ein Plan zur wirtschaftlichen Erholung nach Corona. Tatsächlich ist es jedoch ein mit ideologischen Vorgaben gespicktes soziales Umverteilungs-Projekt mit sozialen Wohltaten a la Stimmenkauf-Projekt 2.0, das die bisherige Sozialpolitik der PiS bei weiterer Belastungen der öffentlichen Finanzen toppt.
Bei den vielen harten Worten wegen der sogenannten Justizreform in Richtung EU scheint PiS-Parteichef Kaczyński nun eine Lösung gefunden zu haben, wie man aus dem Dilemma herauskommt, ohne das Gesicht zu verlieren. Zeitlich genau abgestimmt, ließ er von der polnischen Nachrichtenagentur PAP ein Gespräch mit ihm veröffentlichen, in dem er die Auflösung der Disziplinarkammer ankündigte. Dabei liegt die Betonung der Ankündigung allerdings auf die Formulierung ,,die Auflösung der Disziplinarkammer in der Gestalt, wie sie gegenwärtig funktioniert“. Man habe sowieso schon lange von dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes seit Monaten eine Reform des Disziplinarsystems geplant, da die Kammer nicht gut ihre Aufgaben erfüllt habe, so Kaczyński. Erste Änderungsvorschläge zu einer erneuten Justizreform werden im September vorgelegt.
Angesprochen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes betonte Kaczyński: ,,Ich erkenne solche Urteile nicht an, weil sie entschieden den EU-Grundlagenvertrag überschreiten“. Kaczyński benutzte dabei aus der Para-Psychologie den Begriff der ,,Fernwahrnehmung“, der den Urteilen des EuGH zugrunde liege. Unzweifelhaft sei jedoch der Gegenstand des Streites mit der EU, der Disziplinarkammer.

Ungarisches Vorbild steht Pate

Mit seiner Ankündigung zur Auflösung der Kammer in ihrer jetzigen Form, würde jetzt jedoch dieses Streitthema verschwinden. Kaczyński ließ allerdings auch durchblicken, dass im Zuge der geplanten Änderungen im Justizsystem anstelle der Kammer andere Instrumente der Disziplinierung der Richter treten könnten. Damit scheint er offensichtlich auf die bewährte ungarische Salami-Taktik seines Verbündeten Viktor Orban zurückzugreifen, mit dem er sich erst kürzlich in Warschau zu vertrauten Konsultationen getroffen hat: Der EU ein Einlenken mit der Auflösung der Disziplinarkammer signalisieren, um die Auszahlung der EU-Gelder in voller Höhe freizubekommen und gleichzeitig auf Zeit spielen. Schließlich müssten die vage für September – wahrscheinlich viel später -angekündigten ersten Änderungen der Gesetzgebung zum Justiz-Apparat erst einmal wieder von der EU-Kommission begutachtet werden. Das entsprechend der EU-Ordnung möglichweise vor dem Europäischen Gerichtshofs eingeleitete Verfahren würde sich dann wieder wie im Fall der Disziplinarkammer mindestens über zwei Jahre hinziehen. In dem Zeitraum hätte sich Polen dann schon alle dem Land zustehenden Milliarden-Beträge gesichert.

Koalitionspartner droht mit Austritt aus der Regierung

Doch kaum scheint das EU-Ultimatum mit dem vorgegebenen Einlenken abgewehrt, da droht Polens mächtigsten Mann vier Stunden nach Abgabe seiner Erklärung schon das nächste Ultimatum. Diesmal aus dem eigenen Lager. Der Vorstand der Partei ,,Porozumienie“ (Verständigung) als kleiner Koalitionspartner der PiS-Partei droht mit den Austritt aus der Regierungskoalition der ,,Vereinigten Rechten“, wenn die PiS-Partei nicht auf deren Forderungen eingeht. Die innerhalb der Regierungskoalition als gemäßigt geltende Koalitionspartei will von Kaczyński, dass u.a. die im Programm ,,Polnischer Deal“ vorgesehenen steuerlichen Belastungen und Abgaben für den besser verdienenden Mittelstand zurückgenommen werden. Eine weitere wesentliche Forderung in dem Ultimatum ist die Rücknahme der Attacken auf den privaten Fernsehsender TVN, den die PiS seit Jahren versucht unter ihre Kontrolle zu bekommen. Der Fernsehsender ist mit seiner unabhängigen kritischen Berichterstattung, die auch Oppositionspolitikern Platz einräumt, ein Dorn im Auge der PiS-Führung und insbesondere ihres Parteichefs Kaczyński. Die PiS-Partei hatte einen Gesetzentwurf zur Änderung des Medien-Gesetzes eingereicht, der Polens Rundfunkbehörde nur noch die Erteilung von Sende-Lizenzen an Sender erlaubt, die sich im Besitz von polnischen Eigentümern oder von Eigentümern mit Sitz im europäischen Wirtschaftsraum EWR befinden. Dies trifft den Sender TVN, der sich im Besitz des US-Medienriesen Discovery befindet und sich seit über einem Jahr ergebnislos um eine Verlängerung seiner im September auslaufenden Lizenz bemüht.
Für viele politische Beobachter ist das Ultimatum der kleinen Koalitionspartei bereits der Anfang vom Ende der gegenwärtigen Regierungskoalition. Ohne die Parlamentarier der ,,Porozumienie“ wäre die PiS nicht mehr in der Lage weiter zu regieren.

© André Jański / infopol.PRESS

Kaczyńskis Goldener Reiter mit schmutziger Weste

,,Er ist die Hoffnung. Nicht nur unseres politischen Lagers, sondern die Hoffnung von ganz Polen und aller Polen, die das Wohl unseres Volkes wollen. Er hat hervorragende Möglichkeiten, eine ungewöhnliche Entschlossenheit und etwas, was Gott gibt und schwer zu definieren ist, eine Aura, die ihm gestattet, Menschen zu mobilisieren und um ein Ziel zu vereinen“.

Mit diesen Worten lobpreiste PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński noch vor einigen Wochen in einem Fernseh-Interview Daniel Obajtek, nachdem dieser als Vorstandschef von PKN Orlen einen großen Traum von Kaczyński erfüllt hatte. Mit staatlichem Geld wurde von der bayrischen Verlagsgruppe Passau deren in Polen geschaffenes Medien-Konglomerat PolskaPress mit 20 Regionalzeitungen gekauft.

Kaczyński ist nun alles andere als ein Politiker unbedachter Äußerungen. Jede seiner Aussagen sind als politische Botschaft zu werten. Sein Loblied auf Obajtek wurde daher noch vor einigen Wochen in der Öffentlichkeit als Signal verstanden, dass der große Steuermann des nationalkonservativen Lagers auf Daniel Obajtek als neuen Ministerpräsidenten setzt, der künftig Regierungschef Morawiecki ersetzen soll. Im Unterschied zum politischen Überläufer Morawiecki (war früher Berater von Ex-Ministerpräsident Donald Tusk) ist Obajtek ein langjähriger treuer Partei-Soldat der PiS-Partei.

Aufstieg vom Dorf-Bürgermeister zum Konzern-Chef

Noch vor einigen Jahren war der 45jährige Gemeinde-Vorsteher einer kleinen Gebirgs-Gemeinde mit knapp 5000 Einwohnern. Als Vorzeige-Figur in den Wahlkämpfen der PiS-Partei bewährt, wurde er von der PiS-Führung nach deren Wahlsieg 2015 sofort auf den Chefposten der staatlichen Landwirtschaft-Agentur gehievt. Die Agentur ist für die Auszahlung der EU-Direktsubventionen für die Bauern zuständig, beschäftigt 11 000 Mitarbeiter und verwaltet einen Haushalt von 27 000 Mrd. Złoty (ca 6 Mrd. Euro).
Den Posten übte Obajtek nur für kurze Zeit aus, er erfüllte jedoch konsequent die Aufgabe, die ihm von PiS-Parteichef Kaczynski als ,,politischer Kommissar” zugedacht war: die personelle Säuberung der Agentur. 1600 Beamte mussten gehen.
Unmittelbar danach wurde er mit der Führungs-Position beim nordpolnischen Stromversorger Energa betraut. In dieser Zeit erwarb er sich in Branchenkreisen den Ruf als ,,Totengräber der Windenergie” in Polen. 150 Verträge zum Kauf von Grünen Zertifikaten, die Energa im Zeitraum von 2007 bis 2013 mit den Betreibern von Windkraft- Anlagen abgeschlossen hatte, wurden in seiner Amtszeit für ungültig erklärt.
2018 wurde schließlich der ehemalige Ortsvorsteher mit einem abgebrochenen Studium an einer kleinen privaten Provinz-Hochschule in Radom als ,,geschätzten Manager und Unternehmer“ auf den Posten des Vorstands-Vorsitzenden von Polens größten Unternehmens gesetzt.
PKN Orlen ist mit Erdöl-Raffinerien in Polen, Litauen und Tschechien und Tankstellen-Ketten in Polen und im Ausland das größtes polnische Unternehmen mit 22 000 Beschäftigten und einem Umsatz von 111 Mrd. Złoty (2019). Der Konzern ist an der Börse notiert. Das entscheidende Stimmrecht liegt beim Mehrheits-Aktionär, dem Staat und damit unter den gegebenen politischen Verhältnissen bei der PiS-Partei und ihrer Regierung, die den Konzern politisch steuern. Zu dem Konzern gehören 2500 Tankstellen, darunter 600 in Deutschland. Damit wird der Konzern quasi auch von deutschen Autofahrern mitfinanziert, die an den Tankstellen von PKN Orlen (,,Star“ und ,,Orlen“-Tankstellen) zwischen Hamburg und München tanken.

Mit Polens Beitritt zur EU 2004 übernahm PKN Orlen rund 500 Tankstellen in Deutschland. Da anfänglich die Umsätze nicht den Erwartungen entsprachen, entschieden die damaliger Manager ein umfassendes Neu-Branding. Nach 2006 wurden die Orlen-Tankstellen umbenannt und unter die Marke ,,Star“ gestellt, was dem Geschäft dienlich war. Auf Anweisung von Obajtek werden seit dem vergangenen Jahr die Tankstellen nun wieder als nationale Symbolstätten in Orlen-Tankstellen umbenannt. Orlen heißt zu deutsch Adler. Der weiße Adler auf rotem Hintergrund ist das polnische Nationalsymbol. Fotos: PL-Agentur / PKN Orlen

Als der Ex-Ortsvorsteher Obajtek auf den Vorstands-Posten von PKN Orlen gesetzt wurde, machte er sich sofort an die ihm zugedachte Aufgabe, den ebenfalls vom Staat kontrollierte Mineralölkonzern Lotos mit PKN Orlen zu einem staatlichen Quasi-Monopol zusammenzuführen.
Nun ist die Geschichte von dem rasanten Aufstieg des Daniel Obajtek nicht neu. Zahlreiche Medien haben darüber in den vergangenen Jahren berichtet. Sie hat jetzt jedoch neue Brisanz gewonnen. Seit Ende Februar veröffentlicht die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza in nahezu täglicher Abfolge Berichte aus der Zeit vor dem Karriere-Aufstieg Obajteks, die das Persönlichkeits-Profils des ,,politischen Saubermanns“ von Recht und Gerechtigkeit (in polnisch Prawo i Sprawiedliwość – Name der PiS-Partei) in einem anderen Licht darstellen.
Nach seinem hingeschmissenen Studium wurde Obajtek (Jahrgang 1976) von seinen beiden Onkeln in ihren auf die Herstellung von Elektroinstallations-Materialien spezialisierte Familien-Unternehmen ,,Elektroplast“ aufgenommen. Nicht ungewöhnlich und nachvollziehbar – Mit familiärer Unterstützung wurde er bald mit der Produktionsleitung betraut.

,,Mit schmutzigen Geschäften“

Mit seiner Wahl zum Ortsvorsteher der Gemeinde Pcim im Jahre 2007, Obajtek war zu diesem Zeitpunkt bereits PiS-Partei-Mitglied, gab er die Tätigkeit in der Firma seiner Onkel auf. Die Gazeta Wyborcza (GW) hat nun zweistündige Tonband-Aufzeichnungen aus dem Jahre 2009 veröffentlicht, die nach Auffassung der Zeitung belegen, dass Obajtek nach seiner Wahl quasi als ,,stiller Gesellschafter“ die Firma TT Plast dirigierte, um die mit ihr in Konkurrenz stehende Firma seines Onkels zu zerstören. Aus den Gesprächs-Mitschnitten geht hervor, dass Obajtek dem Vertriebs-Chef von TT-Plast interne Firmen-Daten zuspielte, Umsätze und Gewinn-Margen diktierte und auch andere Anweisungen zur Tätigkeit von Mitarbeitern gab.,, Er hat vom Rücksitz aus die Konkurrenz –Firma geführt“, schreibt die Zeitung, obwohl laut polnischer Gesetzgebung Amtsträgern eine geschäftliche Tätigkeit bei Androhung einer Haftstrafe verboten ist. Später hat Obajtek – so die Zeitung – vor Gericht unter Eid gelogen, dass er jemals geschäftliche Verbindungen mit der Firma TT-Plast hatte.
Obajtek war in seiner Amtszeit als kommunaler Amtsträger bis 2015 dreimal mit Vorwürfen in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren belastet. So soll er 50 000 Złoty Schmiergeld für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags genommen haben. In anderen Verfahren warf ihn die Staatsanwaltschaft vor, das Unternehmen seiner Onkel um rund 1,5 Mio. Złoty (rund 350 000 Euro) geschädigt zu haben und sich rund 800 000 Złoty erschlichen zu haben.
Nach der Regierungs-Übernahme durch die PiS-Partei 2015 wurden alle Verfahren eingestellt. Parteichef Kaczyński selbst, mit dem Obajtek in vorhergehenden Wahlkämpfen posierte, setzte sich persönlich für seinen Partei-Soldaten ein: Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft seien politisch motiviert gewesen. Auch ein 2018 vom Sejm-Abgeordneten der Oppositions-Partei Nowoczesna Marek Sowa gestellter Antrag bei der Antikorruptions-Behörde CBA, die Richtigkeit der Vermögens-Erklärung des Vorstands-Chef von PKN Orlen zu überprüfen, verlief im Sande. Der Sejm-Abgeordnete hatte in Obajteks Vermögenserklärungen von 2011/2012 eine Differenz von 800 000 Złoty zwischen den offiziell deklarierten Einnahmen und neuen Vermögenswerten festgestellt.
Obajtek soll auch nach seinem Karriere-Aufstieg einen schlossartigen Landsitz gekauft haben, für dessen Renovierung er über 1 Mio. Złoty Zuschüsse vom Kultur-Ministerium und weitere Zuschüsse von den Stiftungen des Kupferkonzerns KGHM und der Bank PKO erhalten hat. KGHM und die PKO werden wie PKN Orlen vom Staat kontrolliert.

Verwandte und Bekannte im Karriere-Sog

In ihrer täglichen Artikel-Serie hat die Gazeta Wyborcza auch die persönlichen Beziehungs-Geflechte von Daniel Obajtek aufgehellt.

Zofia Paryła Fotos: Lotos

So ist sein Bruder vom Forstarbeiter in der Staatlichen Forstverwaltung, die in Polen ein ,,Staat im Staate“ ist, zum Direktor der Forstverwaltung Nord in Danzig (Gdańsk) aufgestiegen.

Noch spektakulärer verlief der Aufstieg von Zofia Paryła, einer Buchhalterin, mit der Obajtek einst in der Firma seines Onkels zusammengearbeitet hatte und die später in der von Obajtek geführten Dorf-Gemeinde ,,Hauptbuchhalterin“ des Zentrums für Sozialhilfe war. Paryła wurde mit einer leitenden Funktion im Energiekonzern Energa betraut, als Obajtek dessen Vorstandschef war. Heute ist die Buchhalterin Vorstandsvorsitzende des staatlich kontrollierten Mineralölkonzerns Lotos, der in Danzig einen großen Erdöl-Raffineriekomplex betreibt , Haupt-Lieferant von Flugzeugbenzin, Asphalt und anderen Erdölverarbeitungsprodukten in Polen ist sowie Eigentümer einer Tankstellen-Kette. Zwei miteinander seit Jahrzehnten bekannte Personen aus dem Gebirgs-Dorf Pcim verhandeln also heute über die Bedingungen des Zusammenschlusses der beiden staatlich kontrollierten Mineralkonzerne in einem für den polnischen Staat strategisch wichtigen Bereich der Energie-Sicherheit.
Erwartungsgemäß hat Obajtek alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe abgestritten. Die von der Gazeta Wyborcza publizierte Inhalte und die von ihr zitierten Personen seien nicht glaubwürdig und die aufgezeichneten Gesprächs-Protokolle aus dem Zusammenhang gerissen und montiert. Es sei kein Zufall, dass gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine Kampagne gegen ihn eröffnet wird, da die Übernahme von Lotus durch PKN Orlen vor dem finalen Abschluss steht, so Obajtek.
Zumindest was den Zufall betrifft, dürfte Obajtek nicht unrecht haben. Die Genehmigung zur Fusion der beiden Staatskonzerne macht die EU davon abhängig, dass 30 Prozent der Anteile der Danziger Lotus-Raffinerie verkauft werden. Dies bringt ausländische Unternehmen ins Spiel . Und das ruft auch in einigen Kreisen des Regierungslagers Unruhe hervor, die vor diesem Hintergrund keinen Sinn in der von Obajteks forcierten Fusion sehen.
Die seit Tagen anhaltende Artikel-Serie zu einem Zeitpunkt, da der PiS-Parteichef Obajtek als neuen ,,Goldenen Reiter“ präsentierte, lässt Parallelen zu ähnlichen Enthüllungs-Affären mit in den Medien veröffentlichten Gesprächs-Aufzeichnungen aus der Vergangenheit erkennen. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass die der Gazeta zugespielten Aufnahmen, die staatsanwaltliches Beweis-Material waren, aus dem Regierungslager stammen.

In Verdacht stehen dabei die Umgebung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, dem mit dem ,,politischen Tod“ von Obajtek ein Konkurrent vom Hals gehalten wird, und Justizminister Zbigniew Ziobro. Der Vorsitzende der nationalen Rechts-Außenpartei Solidarna Polska im Regierungsbündnis sieht sich als einzig wahrhaften ,,Rechter“ im Regierungslager und potenzieller Nachfolger des 72jährigen Kaczyński. Seit ihm Kaczyński auf dem Parteikongress 2019 dazu kategorisch eine Absage erteilt hat, arbeitet Ziobro und seine Fraktion, ohne die die Regierungskoalition ihre Mehrheit im Parlament verlieren würde, systematisch daran, die Führungsrolle von Kaczyński zu untergraben. Die Obajtek-Enthüllungen dürften also PiS-Parteichef Kaczyński, der Obajtek auf das goldene Tableau gehoben hat, noch vielmehr treffen.

Politisch ist Obajtek durch die Enthüllungen auf jedem Fall ,,verbrannt“. Und in seiner Position als Vorstands-Vorsitzender von PKN Orlen?

Ex-Ministerpräsident Donald Tusk, ehemaliger EU-Ratsvorsitzender und heute Chef der Europäischen Volkspartei gab dazu im privaten Fernseh-Sender TVN zu dessen ,,grundsätzlich Qualifikationen“ zu bedenken, ob man ,,Herrn Obajtek nicht mit der  Führung einer Tankstelle“ beauftragen sollte anstatt mit der des Mineralölkonzerns PKN Orlen.

© Andreas Höfer /infopol.PRESS

PiS-Parteichef Kaczyński zurück am Regierungs-Steuer

Jarosław Kaczyński, Vorsitzender der nationalkonservativen PiS-Partei, ist wieder zurück. Der Mann, der seit Jahren aus dem Hintergrund die Staatspolitik dirigierte, ist gestern von Staatspräsident Andrzej Duda als Mitglied der neuen umgebauten polnischen Regierung vereidigt worden. Kaczyński, der schon 2006/2007 der Regierung als Ministerpräsident vorstand, wird in der neuen Regierung jedoch ,,nur“ das Amt eines von vier Stellvertretern des Ministerpräsidenten bekleiden. Regierungschef bleibt Mateusz Morawiecki, der noch bei der Vorstellung des neuen Regierungskabinetts mit sauertöpferischer Miene erklärte, dass Kaczyńskis Beitritt eine große Stärkung der Regierung bedeute. Der Umbau der Regierung – Reduzierung der Ministerien von 20 auf 12 – habe auch weniger personellen, als vielmehr strukturellen Charakter, so Morawiecki.

Formell ist Morawiecki jetzt der Dienstherr von Kaczyński. Doch jeder weiß in Polen, dass PiS-Parteichef Kaczyński in der ‚Regierung das Sagen hat, selbst wenn er nur das Amt eines stellvertretenden Landwirtschaftsministers hätte.

Koalitionspartner unter Kontrolle halten

Offiziell ist Kaczyński in der neuen Regierung die Aufgabe zugedacht, die Aufsicht über die sicherheitsrelevanten Ministerien – Justizministerium, Innenministerium, Verteidigungsministerium – zu führen. Seine eigentliche Aufgabe besteht jedoch darin, die Regierungskoalition der ,,Vereinigten Rechten“ zusammen-, und insbesondere Justiz-Minister Zbigniew Ziobro als Vorsitzenden der Koalitionspartei ,,Solidarna Polska“ (Solidarisches Polen) in Schach zu halten. So ist der Eintritt von Kaczyński in die Regierung als politisches Manöver zu werten, die Brüche in der Regierungskoalition der PiS-Partei mit ihren Juniorpartnern zu kitten.

Noch vor zwei Wochen war in den Führungskreisen der PiS-Partei noch von der Bildung einer Minderheits-Regierung und sogar von vorgezogenen Neuwahlen die Rede. Auslöser für den drohenden Koalitionsbruch, aber nicht seine Ursache, war die Abstimmung über das vom Parlament beschlossenen Tierschutz-Gesetz. Die unter Führung von Justizminister Zbigniew Ziobro stehende Solidarna Polska stimmte geschlossen gegen das von PiS-Parteichef Kaczyński vorgeschlagene Tierschutzgesetz. Die Partei Porozumienie – zweiter Koalitionär im Regierungsbündnis ,,Vereinte Rechte“ – enthielt sich dagegen weitgehend der Stimme. Bereits zuvor hatten die ,,Ziobristen“, wie der Führungszirkel von Ziobros Partei ,,Solidarna Polska“ genannt wird, ihren entschiedenen Widerstand gegen ein von der PiS-Partei vorgeschlagenes Gesetz angekündigt, das Regierungs-Mitglieder von der strafrechtlichen Verantwortung für fehlerhafte und rechtswidrige Entscheidungen zur Bekämpfung der Corona-Krise freistellen sollte.
Damit war der innere Machtkampf innerhalb der Regierungskoalition der ,,Vereinigten Rechten” offen ausgebrochen. Nach Sondersitzungen der PiS-Parteiführung ließen deren Vertreter als Druckmittel gegen den Juniorpartner verlauten, dass die PiS-Partei bereit wäre, eine Minderheits-Regierung ohne die Solidarna Polska und Ziobro als Justizminister zu bilden. Dabei war aber klar, dass die PiS-Partei ohne die 37 Abgeordneten ihrer beiden Juniorpartner kaum eine Chance hätte, ihre Gesetze im Parlament durchzubringen.

Hardliner gegen Pragmatiker

Hintergrund des Machtkampfes war eine von Kaczyński angesetzte Kabinetts-Umbildung. Nach Vorgabe von Kaczyński soll Mateusz Morawiecki dabei Regierungs-Chef bleiben. Mit den weniger ideologischen verbrämten und mehr pragmatisch ausgerichteten Morawiecki verspricht sich Kaczyński eher, den parteipolitischen Kurs seiner Partei auf die politische Mitte im Sinne einer Volkspartei lenken zu können.

Foto Twitter

Justizminister Ziobro – ,,Rechtsaußen“ in der Regierungskoalition, der PiS-Parteichef Kaczyński als Führer des rechten, nationalistischen Lagers in Polen beerben will. Foto Twitter

Für den als rechten Hardliner im Regierungslager bekannten Justizminister Ziobro ist der von Kaczyński begünstigte Morawiecki dagegen der ärgste Gegenspieler in der Absicht, den 71jährigen Kaczyński nach seinem angekündigten Rücktritt 2023 als Parteiführer des gesamten rechten Lagers zu beerben.
Dabei ist Ziobro selbst ein ,,Ziehkind“ der Kaczyński-Brüder. Bereits 2001 wurde er vom damaligen Justizminister Lech Kaczyński (Zwillingsbruder von Jarosław, 2009 beim Absturz der Regierungsmaschine ums Leben gekommen) in der damaligen Regierung der AW Solidarność auf einen Führungsposten gehievt. In der Regierungszeit von Jarosław Kaczyński 2006/2007 wurde er dann Justizminister und führte in der Zeit bereits schon erste Änderungen im Justizsystem (in einer Person Generalstaatsanwalt und Justizminister) durch, ohne dass sie im Westen groß zur Kenntnis genommen worden. Bald wurde der machtbesessene Ziobro dann auch stellvertretender Vorsitzender der PiS-Partei. Zum Zerwürfnis mit Jarosław Kaczyński i kam es 2012 . Ziobro gab Kaczyński die Schuld an den verlorengegangenen Wahlen. Kaczyński stellte daraufhin Ziobro den Stuhl vor die Tür. Der gründete daraufhin mit der Solidarna Polska seine eigene Partei, mit der er ultrakonservative rechte Kräfte um sich scharte.
Als 2015 die Wahlen anstanden, zog Jarosław Kaczyński wie einst Franz Josef Strauss in Bayern mit der Maxime in den Wahlkampf, dass rechts von der Regierungspartei PiS kein Platz für eine andere Partei sein darf. Dies war die Geburtsstunde der Koalition der ,,Vereinigten Rechten“, in die der von Kaczyński beargwöhnte Ziobro mit seiner Partei Solidarna Polska eintrat. Zweiter Koalitionspartner war der liberalkonservative Jarosław Gowin mit seiner Partei Porozumienie (Verständigung). Der war früher in der Regierungspartei von Donald Tusk, dem späteren EU-Ratsvorsitzenden. Nach innerparteilichen Richtungskämpfen 2013 von Tusk als Minister entlassen, gründete er Gowin seine eigene Partei und lief ins gegnerische Lager von Kaczyński über.
Sowohl Ziobro wie auch Gowin kamen mit ihren Parteien bei den Parlamentswahlen 2015 nur auf wenige Sitze. In der Regierungskoalition mit der PiS-Partei wurden ihnen jedoch jeweils zwei Ministerposten zugebilligt. Einen davon übernahm Ziobro als Justizminister. Der ,,Rechtsaußen“ im Regierungslager setzte zügig in Abstimmung mit der PiS den Umbau des polnischen Justizsystems um. Führungspositionen in den Gerichten besetzte er mit Gleichgesinnten aus seinem politischen Lager. Dabei blieb es nicht. Bei den Parlamentswahlen im vergangen Jahr holte seine Partei Solidarna Polska, die auch im traditionellen Wahllager der PiS-Partei in den ländlichen Regionen fischte, und Gowins Partei 36 Sitze im Parlament. Ohne diese Stimmen hätte Kaczyńskis PiS-Partei keine Mehrheit im Parlament. Das machten die Chefs der beiden erstarkten Flügelparteien Kaczyński auch deutlich. Die Koalition der ,,Vereinigten Rechten“ bekam erste Risse.

Regierungsumbildung löst nicht den Konflikt

Ziobro, der sich selbst als potenzieller Nachfolger des 71jährigen Kaczyński sieht, bot im vergangenen November Kaczyński den Übertritt seiner Partei in die PiS an. Kaczyński, der Regierungschef Morawiecki als besseren Kandidaten für seine Nachfolge favorisiert, lehnte ab. Für Ziobro ist dagegen Morawiecki als ehemaliger Banker, der einst auch Berater vom politischen Gegner Donald Tusk war und danach die Seiten gewechselt hat, kein ,,richtiger Rechter“.
Nach der Absage von Kaczyński an Ziobro gewannen die Rivalitäten zwischen Justizminister Ziobro und Regierungschef Morawiecki , der Kampf um Einflußsphären und insbesondere um die Besetzung von Posten in den zahlreichen polnischen Staatsunternehmen mit den eigenen Leuten immer mehr an Schärfe.
Nachdem Kaczyński im Juli einen Umbau der Regierung unter Führung von Morawiecki ankündigte, mit dem der Einfluß der beiden Koalitionäre durch die Herabsetzung von deren Ministerposten von 2 auf 1 gestutzt werden sollte, brach der offene Konflikt aus – Ziobros Partei stimmte gegen die Gesetzentwürfe ihres Koalitionspartners PiS. Es folgten zahlreiche Krisensitzungen der Parteigremien. Den Führungsspitzen der PiS-Partei war dabei schnell klar, dass sie ohne Ziobros Partei in der Koalition gegenwärtig keine Chance hat, als Regierungspartei ihre Politik fortzuführen. Zum Erhalt der Koalition mußte Kaczyński deshalb jetzt aus seiner komfortablen Deckung treten, um direkt in der Regierung Ziobro unter Kontrolle zu halten. Für Polens Opposition ist damit Kaczyński, der bisher die Fäden aus dem Hintergrund zog, als Regierungs-Mitglied jetzt direkt angreifbar.
Mit der jetzt erfolgten Regierungs-Umbildung ist der Konflikt in der Regierungs-Koalition nicht aufgehoben. Es ist nur ein Waffenstillstand. Der Konflikt kann jederzeit wieder ausbrechen. Dies belegen auch die neuesten Meinungs-Umfragen. Danach will die Mehrheit der Polen weder Ziobro noch Kaczyński in der Regierung. Über 60 Prozent der Befragten in einer Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts IBRiS ist auch der Ansicht, dass der Machtkampf zwischen Kaczyński und Ziobro nach der Regierungs-Umbildung weiter gehen wird.

© André Jański / infopol.PRESS

PiS-Parteichef Kaczyński – Vom Tierfreund zum Tierschützer

Es gehört im politischen Leben Polens zu den Ereignissen mit Seltenheits-Wert, wenn Amnesty International oder linke Gruppierungen sich hinter eine vom Chef der nationalkonservativen PiS-Partei, Jarosław Kaczyński persönlich ausgelösten Initiative stellen. Der hatte einen Gesetzentwurf für einen verbesserten Tierschutz in Polen vorgestellt und für einen umfassenden Umbau des Rechtssystems für den Tierschutz in Polen geworben. Im Kern sehen diese Regelungen ein Verbot der Pelztierhaltung für kommerzielle Zwecke, Beschränkungen für die rituelle Schlachtung von Tieren, eine Verschärfung der Kontroll-Tätigkeit der Sanitär-Behörden, erweiterte Zugangs-Möglichkeiten von Tierschutz-Organisationen zu privaten Grundstücken sowie höhere Strafen bei nicht artgerechter Tierhaltung vor. Auch das Chipsen von Hunden war angedacht.

Kaczyński appelliert bei Tik Tok an ,,alle guten Menschen“

Ungewöhnlich auch der Auftritt von Kaczyński im chinesischen Social-Networkdienst Tik Tok (in den USA gerade auf den Index gesetzt), wo er an ,,alle guten Menschen in Polen“ appellierte, gegen Tierquälerei und zum Wohle der Tiere einzutreten. Den Auftritt des 71jährigen Politikers im dunklen Anzug und Schlips in der gerade bei Jugendlichen populären App Tik Tok als Anbiederungs-Versuch bei einem jüngeren Wählerpublikum im urbanen Milieu zu werten, wäre zu kurz gegriffen. Tatsächlich gilt Jarosław Kaczyński als ausgesprochener Tierfreund. Neben seiner Lieblings-Katze Fiora hält er inzwischen weitere Katzen in seinem Single-Haushalt.

Foto: Otwarte klatki

Auslöser für die von Kaczyński inszenierte Gesetz-Initiative war ein vom Nachrichten-Portal onet veröffentlichten Film über die Mißstände in eine der größten polnischen Nerz-Farmen in Góreczki bei Krotoszyn (Wielkopolskie). Mit 40 000 Nerzen gehört sie zum Imperium des polnischen ,,Nerz-Königs” Szczepan Wójcik. Der hatte als Präsident eines von ihm selbst gegründeten Landwirtschafts-Instituts und einer Stiftung schon einmal einen bereits 2017 von der PiS-Partei initialisierten Gesetz-Entwurf zum Verbot der Pelztier-Farmen zu Fall gebracht. Im Gespann mit dem Chef des politisch einflußreichen erzkonservativen katholischen Radio-Senders ,,Radio Marija” und Medien-Unternehmers Pater Tadeusz Rydzyk organisierte Wójcik 2018 eine Millionenschwere Medien-Kampagne und einen als patriotisch deklarierten Marsch der Tierzüchter gegen das Verbot auf den Strassen von Warschau.

Bauern-Proteste vor PiS-Parteizentrale

Ein ähnliches Szenario ereignete sich auch diesmal, als Kaczyńskis PiS-Partei ihren Gesetz-Entwurf zum Tierschutz in dieser Woche in das Parlament zur Abstimmung einbrachte. Tausende Bauern belagerten die Partei-Zentrale der PiS-Partei in der Warschauer Nowogrodzka. Unter den Losungen ,,Abschlachtung der polnischen Landwirtschaft“ oder ,,Lasst uns unsere Arbeitsplätze“ protestierten sie gegen das Gesetz. Mit Rufen wie ,,Kaczyński – PiS – Verräter der polnisches Landwirtschaft“ versuchten sie in die PiS-Parteizentrale vorzudringen. Vom Verlust von über 350 000 Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft infolge des Tierschutz-Gesetzes war dabei die Rede. Doch die Zahlen sind weit von der Realität entfernt.
Noch im Jahre 2015 gab es in Polen – zumindest in den offiziellen Statistiken – 1140 Pelztierbetriebe. Sie häutete seinerzeit noch über 9 Mio. Nerz-Felle, 80 000 Chinchilla-Felle, 50 000 Fuchs-Felle sowie 10 000 Marder-Felle ab. Die Felle werden fast ausschließlich im Ausland verkauft. Im Gleichklang mit den globalen Trends und der Abkehr internationaler Modekonzerne wie Prada, Zara, Bershka oder Versace von tierischen Pelzen in ihren Kollektionen ist die Produktion in Polen und der Export seitdem stark rückläufig. Nach Angaben der Tierschutz-Organisation Viva exportierten die Nerz-Farmen in Polen im Jahre 2015 noch 9,32 Mio. Nerzfelle zum durchschnittlichen Stückpreis von 158 Złoty (rund 36 Euro). Im vergangenen Jahr waren es nur noch 7,04 Mio. Nerzfelle zum Durchschnittspreis von 95,96 Złoty pro Stück ( rund 21 Euro) . Damit haben sich die Export-Einnahmen im Verlauf von fünf Jahren um über die Hälfte auf 675 Mio. Złoty reduziert (rund 155 Mio. Euro), berichten die Tierschützer von Viva.

Holländer und Dänen bestimmen die Geschäfte

Das West-Zentrum für Wirtschafts- und Sozialstudien kam in seinen letzten Bericht über die Branche sogar zu dem Schluß, dass die Pelztierfarmen in Polen nicht mehr als 4000 Arbeitsplätze umfassen. Von ,,polnischen Bauern“ , die dort arbeiten und deren Arbeitsplätze jetzt durch das Tierschutzgesetz bedroht sind, kann dabei keine Rede sein. In den Nerz-Farmen sind fast ausschließlich Arbeitskräfte aus den östlichen Nachbarländern beschäftigt. Polen findet man nur unter dem Leitungs-Personal und als Wachschutz-Kräfte zur Abschirmung der streng abgeschirmten Farmen. In dem Bericht der Wissenschaftler ist auch zu lesen, dass sich die Pelztier-Farmer gerne selbst als ,,polnische Bauern“ präsentieren. ,,Wenn man aber genauer hinzuschaut, dann erkennt man, wer eigentlich die Schnüre zieht. Es tauchen immer wieder die gleichen holländischen und dänischen Namen und Firmen auf, die mit einer Handvoll polnischer Tierhalter verbunden sind“. So taucht der Name van Amsen mindestens 20 mal in dem Register der polnischen Pelztier-Farmen auf. Wie hoch die Zahl der von der Firma Joni Mink und der mit ihr verbundenen Familie van Amsen gehaltenen Nerze in Polen ist, kann man aus den Zahlen nicht ablesen, weil es bei den großen Nerzbetrieben gang und gäbe ist, sie in kleinere Einheiten aufzuteilen, um die Umweltschutz-Auflagen zu umgehen. Die Holländer hatten bereits Anfang der 90er Jahren in und um Goleniów (bei Stettin) – das als polnisches Nerz-Zentrum gilt – mit der Expansion auf dem polnischen Markt begonnen. Die Firma Joni Mink selbst ist seit 2015 auf der offiziellen Lobbyisten-Liste des polnischen Parlaments registriert und hat für die Lobby-Arbeit eine Anwalts-Kanzlei in Warschau eingeschalten. Sich selbst im Hintergrund haltend, werden in der Öffentlichkeit ihre polnischen ,,slupy“ (Strohmänner) vorgeschickt.

Zu den großen Playern im polnischen Nerz-Markt gehört auch der Konzern Farm Equipment International mit niederländischen Wurzeln, die dänische Hedensted Gruppen A/S, Norpol (Geschäftsführer Johannes van Amsen) sowie NAFA Polska, polnische Niederlassung des weltweit zweitgrößten Auktionshaus für Pelze mit Sitz in Kanada und Europa-Zentrale in den Niederlanden. Gerade für die Holländer würde der Verbot der Pelztier-Haltung für die kommerzielle Verwertung ein großer Verlust bedeuten, da ja erst kürzlich das niederländische Parlament nach dem Ausbruch des Corona-Virus in 17 Farmen, wo  Tausende Tiere in engen Käfigen gehalten wurden, ein Nerzzucht-Verbot in den Niederlanden beschlossen hat.

Wo immer in Polen eine neue Nerz-Farm geplant ist, entflammen Proteste der lokalen Bevölkerung. Foto: Westzentrum für Wirtschafts- und Sozialstudien

Auch in Polen, wo die Eröffnung neuer Farmen immer mit lokalen Protesten wegen vor allem wegen der Geruchs-Belastung verbunden ist, sprechen sich 70 Prozent der Bevölkerung gegen die Nerztier-Zucht aus.
Dessen ungeachtet wehte der PiS-Partei bei der Vorlage ihres Gesetzentwurfes zur Abstimmung im Parlament auch aus dem eigenen Lager Widerstand entgegen.

18 Abgeordnete der PiS-Partei, darunter Landwirtschaftsminister Ardanowski und der ehemalige Umwelt-Minister Kowalczyk stimmten dagegen. Der Koalitionpartner Solidarna Polska unter Führung von Justizminister Zbigniew Ziobro verweigerte dem Gesetzentwurf vollkommen seine Zustimmung. Und die Abgeordneten der Partei Porozumienie als zweiter Koalitionspartner der PiS-Regierung enthielten sich bei der Beschluss-Fassung der Stimm-Abgabe.

Tierschutz-Gesetz: Auslöser für Regierungskrise

Das Ausscheren der Koalitionspartner der PiS-Partei beim Tierschutzgesetz hat jetzt in Warschau eine Regierungs-Krise ausgelöst. PiS-Parteichef Kaczyński selbst hat als erste Maßnahme den abtrünnigen Abgeordneten aus der eigenen Partei den Stuhl vor die Türe gesetzt.

© André Janski / infopol.PRESS