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Ausnahmezustand als politisches Ablenkungsmanöver

Foto: MSWiA

Die kurzfristige Verhängung des Ausnahmezustands an der Ostgrenze hatten Staatspräsident Andrzej Duda und die PiS-Regierung mit der akuten Bedrohungslage an der Grenze zu Belarus begründet. Doch ist die Situation an der Grenze tatsächlich so bedrohlich und sind die von der Verfassung vorgegebenen Gründe für die Einführung eines solchen drastischen Mittels wie den Ausnahmezustand überhaupt gegeben, fragt jetzt die Opposition. Sie wirft den nationalkonservativen Regierungspartei PiS vor, den Ausnahmezustand nur als politisches Instrument zu nutzen, um ihren Machterhalt zu sichern.

Der Ausnahmezustand ist zunächst auf 30 Tage befristet und gilt für die an der Grenze zu Belarus gelegenen Wojewodschaften Podlaskie und Lubelskie. Flächenmäßig sind die größer als die beiden Bundesländer Hessen und Thüringen zusammen. Direkt betroffen vom Ausnahmezustand sind 183 im Grenzstreifen gelegene Ortschaften. Zu den Beschränkung der Bürgerrechte gelten dort u.a. ein Versammlungsverbot und die Beschränkung des Zugangs zu öffentlichen Informationen. Ortsfremde dürfen das Gebiet nicht betreten, Medienvertreter werden ausgesperrt.
Staatspräsident Duda und die PiS-Regierung werfen den Machthaber Lukaschenko in Belarus vor, im Rahmen eines ,,Hybrid-Krieges” bewusst die Ausreise von Flüchtlingen nach Polen als Revanche für die gegen das Land eingeleiteten EU-Sanktionen zu organisieren. Tatsächlich gibt es begründete Hinweise darauf, dass das Lukaschenko Regime in den vergangenen Monaten Flüchtlinge aus den Irak, Afghanistan und Afrika ins Land geholt hat, um sie dann an die Grenze zu den EU-Nachbarländern Litauen, Lettland und Polen zu bringen. Lukaschenko selbst hatte schon im Mai davon gesprochen, dass dies die Rache für die gegen sein Regime von der EU verhängten Sanktionen sei. So hatte auch die polnische Grenzschutzbehörde in den vergangenen Wochen einen verstärkten Andrang von Flüchtlingen festgestellt. Nach ihren Angaben wurden im August knapp 1000 illegale Grenzgänger an der rund 400 Kilometer langen Grenze zu Belarus festgenommen. Weitere 2500 seien abgewehrt worden.
Wir werden keine Wiederholung des Flüchtlings-Welle von 2015 zulassen, heißt es aus Warschau. Aus polnischem Munde klingt dies befremdlich, gehörte Polen doch seinerzeit zu den Ländern, die sich vehement der europäischen Solidarität und der Aufnahme von Flüchtlingen verschlossen haben. Doch diesmal sieht man sich in seltener Einigkeit mit der EU und ihrer Kommission in Brüssel, die den sicheren Schutz der polnischen Grenze als EU-Außengrenze beipflichtet. So hat Polen in den vergangenen zwei Wochen zusätzlich 2000 Soldaten und Polizei zur Unterstützung des Grenzschutzes an die Ostgrenze abkommandiert. Zusätzlich wurde eine Stacheldraht-Verhau an der Grenze errichtet, das gegenwärtig mit dem Bau eines zweiten Zaunes ergänzt wird.

Flüchtlings-Drama an der Ostgrenze

Die EU-Kommission, die sonst keine Gelegenheit auslässt, Polen wegen der Verletzung der rechtsstaatlichen EU-Normen anzuzählen, hat auch das die Medien-Berichterstattung beherrschende Flüchtlings-Drama bei Usnarz Górny stillschweigend in Kauf genommen. Dabei geht es nicht um Zahntausende oder Tausende Flüchtlinge. Seit drei Wochen vegetiert dort eine Gruppe von etwa 30 mutmaßlich afghanischen Flüchtlingen im Wald-Untergrund unter freiem Himmel unmittelbar an dem Grenzstreifen zwischen beiden Ländern. Hinter ihnen stehen Soldaten aus Belarus. Unmittelbar vor ihnen hat sich eine Postenreihe von polnischen Soldaten und Polizisten mit Karabinern aufgereiht. Soldaten und Grenzschützer hindern Hilfsorganisationen, den Flüchtlingen Lebensmittel, Wasser, Hygiene-Artikel und Medikamente zu bringen. Auch zwei Geistlichen mit Hilfsgütern wird der Zugang verwehrt. Selbst ein Abgeordneter des polnischen Parlaments, der den Flüchtlingen einen Beutel mit Nahrungsmitteln zuwerfen will, wird in einer wilden Hetzjagd (Siehe Video) abgedrängt.

 

Die Regierung könne ,,keinerlei Präzedenzfälle schaffen“, rechtfertigte Innenminister Kamiński die Blockadehaltung. Würden die Afghanen nach Polen gelassen, „dann haben wir an unserer Grenze nicht ein, sondern viele solcher Usnarz“. Diese Einstellung wird laut den Umfragen von der Mehrheit der Polen geteilt. Doch die verstörenden Bilder von polnischen Soldaten mit der Waffe in der Hand, die kategorisch Hilfeleistungen für Bedürftige zurückweisen, haben selbst manche PiS-Anhänger ins Herz getroffen.

,,Unglücksfall“ Pilzvergiftung

In das Blickfeld der Öffentlichkeit sind auch die von den Medien aufgedeckten Vorgänge in einer Ausländerunterkunft am Rande von Warschau mit vergifteten afghanischen Kindern geraten, die von den Behörden als ,,Unglücksfall“ eingestuft wurden. Dort hielt sich eine afghanische Familie auf. Allerdings handelte es sich nicht um Flüchtlinge, sondern um afghanische Ortskräfte, die als Dolmetscher für die britische Armee in Afghanistan gearbeitet hatten. Nach Berichten des Nachrichten-Portals okopress waren die Afghanen auf Wunsch der britischen Regierung von Polen in der letzten August-Woche aus Kabul ausgeflogen worden. Weil sie Hunger hatten und nicht ausreichend zu Essen bekamen, sollen sie laut den Medienberichten in dem Waldgrundstück der polnischen Ausländer-Unterkunft Pilze gesammelt haben, um sich eine Pilzsuppe zu kochen. In Unkenntnis der hiesigen Pilz-Sorten verarbeiteten sie dafür Grüne Knollenblätterpilze. Die Pilzvergiftung traf insbesondere die Kinder. Zwei von drei Kindern starben diese Woche in einem Warschauer Krankenhaus. Medienberichte, wonach die Kinder nur deshalb die Pilze aßen, weil sie in der Unterkunft nicht genügend zu essen bekamen, dementierte die polnische Ausländerbehörde .
Mit der Einführung des Ausnahmezustand sind jetzt Usnarz und die Flüchtlings-Berichte aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit genommen. Medienvertreter dürfen das Gebiet nicht mehr betreten. Am ersten Tag nach Inkrafttreten gab es bereits zwei Verhaftungen von Journalisten. Das Ausnahmerecht schließt auch die Möglichkeit einer Presse-Zensur ein.
Die Opposition bewegt vor allem die Frage, ob die Situation an der Grenze überhaupt die Einführung einer solch drastischen Maßnahme wie den Ausnahmezustand rechtfertigt. Dabei hat sich der Ausnahmezustand vor 40 Jahren, mit dem seinerzeit die mit der Gründung der Solidarność entstandene Demokratiebewegung ausgeschalten werden sollte, fest in das historische Gedächtnis Polens eingeprägt. In dem nach der politischen Wende 1989 erarbeiteten polnischen Grundgesetz wurde daher genau definiert, welche Gründe die Einführung eines Ausnahmezustands rechtfertigen. Dazu heißt es im Art. 230 des polnischen Grundgesetzes ,,bei einer besonderen Bedrohung der verfassungsgemäßen Grundordnung des polnischen Staates, der Sicherheit der Bürger und der öffentlichen Ordnung, darunter hervorgerufen durch Handlungen mit terroristischen Charakter und Handlungen im Cyber-Raum, die nicht durch die Anwendung regulärer verfassungsgemäßer Mittel gelöst werden können“.

Ausnahmezustand ohne Konsultation mit dem Nationalen Sicherheitsrat

Über Wochen hatte die PiS-Regierung ständig wiederholt, dass sie die Situation an der Grenze unter Kontrolle habe und die Einschaltung der europäischen Grenzagentur Frontex überhaupt nicht notwendig sei. Was hat sich denn nun innerhalb von weniger Stunden Dramatisches an der Grenze zu Belarus geändert, dass die PiS-Regierung und ihr Staats-Präsident den Ausnahmezustand verhängen mussten? Wenn tatsächlich die Nation von außen bedroht sei, hätte dann die PiS-Regierung nicht alle demokratischen Kräfte vorher in den Entscheidungs-Prozess zum Ausnahmezustand einbeziehen müssen, fragte der Chef der Bauernpartei PSL, Władisław Kosiniak–Kamysz. Auch der Nationale Sicherheitsrat wurde von Staatspräsident Andrzej Duda überhaupt nicht einberufen.
Für Kosiniak-Kamysz wie für die gesamte Opposition steht fest, dass der jetzt eingeführte Ausnahmezustand überhaupt keine außerordentliche patriotische Maßnahme zur Abwehr einer Gefahr von außen ist, sondern von der PiS-Regierungspartei als politisches Mittel nach innen missbraucht wird, um von ihren Problemen abzulenken und ihren Machterhalt zu sichern.
Mit dem Austritt des kleinen Koalitionspartners Porozumienie aus der Regierungskoalition besitzt die PiS-Fraktion seit Anfang August nicht mehr die absolute Mehrheit im Parlament. Ihr als ,,Polnischer Deal” bezeichneten Konjunktur-Programm hat bisher nicht die erhoffte Wirkung erzielt. Dazu sollen auch die EU-Milliardenbeiträge eingesetzt werden. Die werden gegenwärtig aber noch von Brüssel blockiert. Mit ihren Mediengesetz, das sich gegen den privaten Fernsehsender TVN24 richtet, hat sich Kaczyńskis Partei zudem noch mit den Bündnispartner USA angelegt, denn TVN24 gehört zum US-Medienkonzern Discovery. Zudem hat die Jahre vor sich her dümpelnde Oppositionspartei PO mit der Rückkehr ihres ehemaligen Vorsitzenden und Ex-Regierungschef Donald Tusk Aufwind bekommen.
Die Situation für die Nationalkonservativen erinnert an die des Jahre 2007. Zu der Zeit war Parteichef Kaczyński Ministerpräsident. Mit dem Verlust ihrer beiden Koalitionspartner verlor die PiS-Partei auch seinerzeit die Parlaments-Mehrheit. Die Möglichkeit von vorgezogenen Neuwahlen in diesem Herbst wird daher von politischen Beobachtern seit Monaten prognostiziert. Mit dem Ausnahmezustand wird dies unmöglich gemacht Im polnischen Grundgesetz ist dazu festgelegt, dass 90 Tage nach Beendigung eines Ausnahmezustands keine Wahlen stattfinden dürfen. Dies gibt Kaczyńskis PiS-Partei Zeit, sich politisch zu konsolidieren. Dafür setzt sie auf die national-patriotische Karte. Dies funktioniert in Polen immer. Die Regierungs-Propaganda verbindet das Flüchtlings-Thema jetzt auch noch mit dem beginnenden russisch-weißrussischen Militär-Manöver Sapad. Im Auftrag Putins könnten Diversanten auf polnisches Territorium gelangen, um den polnischen Grenzschutz zu testen, spekulieren PiS-Politiker.
Die Angst und das Bedrohungs-Gefühl sind Faktoren, die bewirken, dass die Menschen aufhören darauf zu schauen, was ihnen an der Politik der Regierung nicht gefällt, schreibt dazu der Chef-Kommentator der Zeitung ,,Rzeczpospolita“. Und da setzt Kaczyńskis vielfach praktiziertes .Politik-Konzept der Teilung der Gesellschaft an: Wer Polen liebt, der unterstützt blind die Regierung ohne Zweifel an den verhängten Ausnahmezustand. Wer dagegen Fragen stellt und Zweifel hat, der steht auf der Seite von Lukaszenko und Putin.

© André  Jański / infopol.PRESS

Tusks Rückkehr als weißer Reiter im angegrauten Gewand

Donald Tusk ist wieder zurück in der polnischen Politik. Zahlreiche Niederlagen hatte seine Partei Bürgerplattform (PO) erlitten, nachdem er 2014 in das Amt des EU-Ratsvorsitzenden wechselte. Seine Rückkehr an die Partei-Spitze wurde auf dem Partei-Konvent am Wochenende wie in der biblischen Offenbarung als der Einzug des Weißen Reiters auf weißen Ross gefeiert, der Polen von der PiS-Partei und ihrem ,,Diktator“ Jarosław Kaczyński befreit. Doch Tusks Wahl zum kommissarischen Partei-Vorsitzenden, der die zerstrittene Opposition vereinen soll, ist selbst in der eigenen Partei, insbesondere bei der jüngeren Generation, nicht unumstritten. Inzwischen sind dort wie im liberalkonservativen Oppositionslager ausserhalb der Partei Persönlichkeiten herangewachsen, deren Popularität im Wahlvolk die von Tusk überstrahlt. Sie setzen auf programmatische Neu-Anfänge. Mit der Rückkehr von Tusk ist jedoch zu erwarten, dass sich der parteipolitische Machtkampf in Polen wieder auf die jahrzehntelange persönliche Feindschaft zwischen Kaczyński und Tusk fokussiert.

Über die Rückkehr von Donald Tusk in die polnische Politik war schon seit langer Zeit spekuliert worden. Tusk selbst hatte bereits 2019 die Gründung einer Bewegung ,,4. Juni“ angekündigt (Am 4.Juni 1989 übernahm die ,,Solidarnosc“ im Rahmen des Runden Tisches teilweise die Regierungs-Macht). Die Bewegung ,,4.Juni” außerhalb der Parteistrukturen, wollte Tusk als gesellschaftliches Rückgrat bei den Wahlen 2019 und den Präsidentschaftswahlen 2020 nutzen. Doch bei kühler Bewertung der politischen Situation und dem Rückhalt der PiS-Partei seines Erzfeindes Kaczynski beim Wahlvolk rückte Donald Tusk von dem Vorhaben ab. Das Risiko, eine vernichtende persönliche Niederlage einzufahren war ihm zu groß.

Bei Wählern unbeliebt gemacht

Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des EU-Ratspräsidenten Ende 2019 erklärte Tusk zur Enttäuschung seiner Parteiführung, dass er nicht bei den Präsidentschaftswahlen 2020 kandidieren werde. ,,Dazu ist eine Kandidatur notwendig, die nicht mit dem Gepäck schwieriger unpopulärer Entscheidungen belastet ist”, sagte Tusk zur Begründung mit Hinweis auf seine Zeit als früherer Ministerpräsident von 2007 bis 2014. In dieser Zeit traf er viele unpopuläre Entscheidungen. Dazu gehörten u.a. die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent, die Anhebung des Renten-Alters und die Zwangsverstaatlichung eines Teils der in den Offenen Rentenfonds OFE angesparten privaten Gelder unter das Kuratel der staatlichen Sozialversicherungs-Anstalt ZUS. Hinzu kamen zahlreiche politische Skandale wie die sogenannte Abhör-Affäre. Seinerzeit hatten Kellner in dem Warschauer Nobel-Restaurant Sowa & Przyjaciele, in dem die Polit-Prominenz ein und aus ging, in den VIP-Logen heimlich Abhörgeräte installiert, um die Privat-Gespräche der Politiker mitzuschneiden.
Einen wesentlichen Baustein für den Niedergang der Tusk-Regierung bildeten dabei die den Medien zugespielten heimlichen Mitschnitte eines Gesprächs zwischen den damaligen Finanzminister Rostowski und dem Außenminister Radoslaw Sikorski, dem eine persönliche Freundschaft mit dem damaligen Bundes-Außenminister und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier verbindet. Sowohl Rostowski wie auch Sikorski gefielen sich bis dahin aufgrund ihrer Studienabschlüsse und –aufenthalte in Großbritannien und den USA in der Rolle einer aristokratischen Bildungs-Elite. Umso größer war das Entsetzen und die Aufregung in der polnischen Öffentlichkeit, wie sich beide Spitzenpolitiker in den heimlichen Gesprächs-Mitschnitten in einer gewöhnlichen Gossensprache verächtlich über die Normalbürger äußerten, während sie Kaviar und teure Weine auf Staatskosten genossen.

,,Merkel hat der Opposition in Polen das Genick gebrochen“

Donald Tusk befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf Abwegen. 2014 zog er es vor, den Werben von Angela Merkel folgend den lukrativen Posten des EU-Ratspräsidenten anzunehmen und seiner Partei den Rücken zu kehren. Und das vor Beginn des alles entscheidenden Wahlkampfes, der 2015 zum triumphalen Wahlsieges der nationalkonservativen Pis-Partei seines Erzfeindes Jarosław Kaczyński führte. Mit Beginn des Wahlkampfes ihren langjährigen Partei-Chef verlustig geworden, hatte sein Nachfolgerin Ewa Kopacz keine Zeit und keine Chance, die Liberalkonservativen gegen Kaczyńskis nationalkonservative Pis-Partei zu rüsten. Vor diesem Hintergrund fehlte es in Polen auch nicht an Stimmen, dass Merkels Politik 2015 zum Wahlsieg der Kaczyński-Partei beigetragen habe. In Tusks Zeit als Polens Regierungschef bis 2014 war ein gutes Verhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel entstanden. Seine Abwerbung als Regierungschef und Partei-Vorsitzender unmittelbar vor Beginn des Wahlkampfes und seine von Angela Merkel forcierte Positionierung als EU-Ratspräsident in Brüssel werden dafür als Gründe angegeben. Die Zeitung Rzeczpospolita titelte seinerzeit nach dem Wahlsieg der Kaczyński -Partei ,,Merkel hat der Opposition in Polen das Genick gebrochen“ . Es entbehrt daher auch nicht einer gewissen politischen Ironie, dass zu jenem Zeitpunkt, da Angela Merkel aus dem Amt der Bundeskanzlerin ausscheiden wird, Donald Tusk in die polnische Politik zurückkehrt und wieder die Führung seiner Partei übernimmt.

Junge Oppositionspolitiker wollen programmatischen Neuanfang

Doch die Zeiten haben sich geändert. Tusks Bürgerplattform ist schon längst nicht mehr Polens größte Oppositionskraft. Den Rang hat ihr in Umfragen die im vergangenen Jahr von Szymon Hołownia gegründete zentristische Bewegung ,,Polen 2050“ abgenommen. Hołownia, ehemaliger Redakteur der liberalen Zeitung ,,Gazeta Wyborcza“ und populärer Moderator des privaten Fernsehsender TVN spricht wie Tusks Partei ein ähnliches liberalkonservatives Publikum an, jedoch viel moderner und mit programmatischen Inhalten als Alternative zur PiS-Politik. Seit seiner Neugründung wird seine Partei inzwischen nicht nur von übergelaufenen Vertretern aus der jüngeren Politiker-Generation von Tusk Partei gespeist. Hołownia wird auch eine viel größere Integrationsfähigkeit zugesprochen als Donald Tusk. Dafür spricht auch der im Mai erfolgte Übertritt eines langjährigen und angesehen Politikers von Kaczyńskis PiS-Partei zu Hołownias Oppositionsbewegung.
Für eine Einigung der Opposition gegen Kaczyńskis PiS-Partei zeigt er sich zwar mit Donald Tusk gesprächsbereit. Sein Lager markierte jedoch gleich Distanz, in dem es die Rückkehr von Donald Tusk mit den Worten kommentierte, dass Polens Politik ,,keinen Messias“ brauche.

Selbst im eigenen Lager nicht unumstritten

Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski gilt als größter Konkurrent für Donald Tusk in der Führungsrolle der Bürgerplattform. Fotos: Platforma Obywatelska

Ähnliche Worte sind auch von jüngeren Politikern aus Tusk eigener Partei zu hören. So erklärte der PO-Parlamentarier Sterczewski, dass die Partei keinen Patron brauche, ,,der nach langer Zeit aus den Ferien zurückkehrt“. Gegenüber dem privaten Fernseh-Sender Polsat News wies er auch auf Umfragen hin, wonach die ,,Bürger-Plattform mit Donald Tusk zweimal weniger Zuspruch erhalten wird als unter der Führung von Rafał Trzaskowski“
Der 49jährige PO-Politiker Trzaskowski, der 2018 mit einem triumphalen Wahlsieg Warschauer Oberbürgermeister wurde, hatte 2020 bei der Wahl zum Staatspräsidenten mit einem knapp verpassten Wahlsieg gegenüber Amtsinhaber Andrzej Duda zuletzt in der Partei mit seinem Aufstieg zum stellvertretenden Partei-Vorsitzenden Furore gemacht. Noch vor einem Jahr hatte Trzaskowski Donald Tusk als ,,politischen Rentner“ bezeichnet. Vor dem Parteitag am Wochenende hatte Trzaskowski nun öffentlich angekündigt, selbst die Bürgerplattform bei der kommenden Parlaments-Wahl in den Wahlkampf zu führen. Um so schockierter zeigte er sich über das handstreichartige Szenario der Übernahme der PO durch die ,,alte Garde“- Erst wurde Donald Tusk vom Landesrat der Partei zum stellvertretenden Parteivorsitzen gewählt, damit danach der bisherige Parteichef Boris Budka sofort seinen Rücktritt und Donald Tusk zum kommissarischen Parteivorsitzenden erklären konnte.

Der PiS-Partei die Show gestohlen

Diese blitzartige Übernahme verfolgte aber noch einen anderen Zweck. Zur gleichen Zeit tagte vergangenes Wochenende ein PiS-Parteikongress, auf dem der 74jährige Jarosław Kaczyński wieder zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. Das zeitliche Zusammentreffen von Tusks Rückkehr in die Politik und Kaczyńskis Wiederwahl markiert damit ein historisches Datum in der polnischen Politik – das Wiederaufflammen eines von tiefster persönlicher Feindschaft zwischen den beiden Männern geprägten Kampfes, der Polens Politik seit fast zwei Jahrzehnten beherrscht und die Gesellschaft polarisiert.
Donald Tusk legte bei seiner ersten Rede am Wochenende auch sofort kämpferisch los. In Polen ,,regiert heute das Böse“ sagte Tusk und meint damit Kaczyński. „Wir gehen aufs Feld, um mit diesem Bösen zu kämpfen“, schwor Tusk seine Partei auf den nächsten Wahlkampf ein.

Abgrundtiefe Feindschaft der politischen Schwergewichte

Tusk und Kaczyński kennen sich bereits seit den 80er Jahren, als Kaczyński für eine Untergrund-Zeitung schrieb, die Tusk herausgab. Nach ersten erfolglosen Versuchen in den 90er Jahren, eigene politische Gruppierungen auf die Beine zu stellen, gründete Jarosław Kaczyński mit seinem Zwillingsbruder Lech 2001 die Partei ,,Recht und Gerechtigkeit (PiS). Donald Tusk selbst, der mit dem Versuch scheiterte, die Führung der liberalen ,,Freiheitsunion“ UW zu übernehmen, gründete daraufhin die ,,Bürgerplattform“ PO. Kaczyńskis und Tusks Partei starteten sogar gemeinsam 2002 als Koalition bei den Kommunalwahlen. Nach dem Sturz der postkommunistischen SLD schien es auch ausgemachte Sache zu sein, dass Tusks Bürgerplattform und Kaczyńskis PiS 2005 eine gemeinsame Regierungskoalition bilden. Nach langwierigen Verhandlungen und angeblich nicht abgesprochener Personal-Entscheidungen trennte sich jedoch der gemeinsame Weg der beiden Politiker.
Das Tuch zwischen ihnen war endgültig zerschnitten, als Donald Tusk bei den Präsidentschaftswahlen 2005 als Gegenkandidat von Lech Kaczyński antrat. Es begann ein schmutziger, von beiden Seiten geführter Wahlkampf. Maßgeblich entscheidend für seinen Ausgang war die von der PiS-Zentrale ausgegrabene Geschichte, dass einer der Großväter von Donald Tusk im Zweiten Weltkrieg in der Uniform der deutschen Wehrmacht diente. Für den Inhalt der Geschichte, mit der Tusk als unpatriotisch diffamiert wurde, war Kaczyńskis ,,Bullterrier“ Jacek Kurski verantwortlich. Der wurde später 2015 mit der Leitung die öffentlichen Medien betraut, um sie in eine PIS-Propagandatube umzuwandeln.
Donald Tusk, der erfolgreich aus dem ersten Wahlgang hervorging, musste sich nach der Veröffentlichung in zweiten entscheidenden Wahlrunde Lech Kaczyński geschlagen geben. Zwei Jahre später revanchierte sich Tusk bei einer Fernseh-Debatte zu den Parlamentswahlen, indem er vor laufenden Kameras Kaczyński unterstellte, ihn bei einem Treffen in den 90er Jahren im polnischen Parlament eine Pistole mit den Worten gezeigt zu haben ,,Dich zu töten ist für mich das Gleiche wie ins Gesicht zu spucken“. Der verdatterte Kaczyński widersprach dem, gab jedoch zu, eine kleine Pistole bei sich getragen zu haben.

Obsessionen statt Programme

Seit dieser Fernseh-Debatte arteten die Auseinandersetzungen zwischen beiden Politikern in offene Feindschafts-Tiraden aus, in die beide politische Lager voll involviert wurden. Nach dem tragischen Flugzeug-Absturz einer Regierungsmaschine in Smolensk, der fast 100 ranghohe Vertreter der Staatsführung in den Tod riss, darunter Staatspräsident Lech Kaczyński, steigerte sich die Feindschaft in Hass. Kaczyński warf Tusk vor, für den Tod seines Zwillingsbruder mit verantwortlich zu sein.
Selbst als Donald Tusk schon in Brüssel war und sich 2017 einer Wiederwahl für eine zweite Amtszeit als EU-Rats-Präsident stellte, verfolgte ihn Kaczyńskis Obsession weiter. 27 der 28 EU-Staaten stimmten seinerzeit für Tusk. Selbst der enge Verbündete der PiS-Parteiführung, Ungarns Regierungschef Viktor Orban stimmte für Tusk. Angetrieben von Kaczyński stimmte Polen als einziger Staat gegen Tusk, obwohl selbst ein Teil der PiS-Politiker sich dafür aussprach, Tusk in Brüssel zu unterstützen.
Bei so viel Emotionen zwischen den beiden verfeindeten Schwergewichten der polnischen Gewicht ist kaum anzunehmen, dass es in Polen in Zukunft im parteipolitischen Kampf um Programme und Inhalte gehen wird. Die beiden Herren werden wieder ihre alte Rolle bis zum finalen Endkampf spielen. Die Mehrheit der Polen ist dessen schon längst überdrüssig geworden.

© André Janski / infopolPRESS

Foto: PL-MVI-Agentur

Polen: Wahlen ohne Stimm-Abgabe am 10.Mai

Kann man Wahlen für ungültig erklären, die überhaupt nicht stattgefunden haben? Was wie eine Anfrage an den ,,Sender Jerewan“ klingt, wird in Polen Realität. Am Sonntag (10. Mai) finden die Präsidentschaftswahlen statt, doch kein Wähler gibt eine Stimme ab. Am nachfolgende Tag werden dann die Wahlen für ungültig erklärt.
Mit dieser Lösung meinen PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński und sein Juniorpartner in der Regierungs-Koalition der ,,Vereinigten Rechten“ Jarosław Gowin, Vorsitzender der Partei Porozumienie (Verständigung) Polens größte politische Krise der vergangenen 30 Jahre unter Kontrolle gebracht zu haben.
Ihren Anfang nahm die Krise am 6.April. Zu diesem Zeitpunkt war das öffentliche Leben bereits durch die Corona-Schutzbestimmungen weitgehend lahmgelegt. Dessen ungeachtet brachte die nationalkonservative PiS-Partei den Vorschlag ihres Vorsitzenden Jarosław Kaczyński als Beschluss-Vorlage durch den Sejm (Parlament), das Wahlrecht abzuändern und die Präsidentschafts-Wahl am 10. Mai als reine Brief-Wahl abzuhalten. Die Opposition legte daraufhin heftigen Protest ein. Unter den Bedingungen der Corona-Krise, die auch das Versammlungsrecht ausschließt, seien kein fairer Wahlkampf und allgemeine Wahlen möglich. Die Führung der PiS-Partei verwies dagegen unter Hinweis auf die Kommunal-Wahlen in Bayern, die vor einigen Wochen unter den Vorzeichen der Corona-Krise als Briefwahl abgehalten wurden, darauf, dass man mit der Briefwahl das Gesundheits-Risiko und die Befürchtungen der Wähler vor der Ansteckungs-Gefahr im Wahlbüro minimieren könne. Eine Verschiebung des Wahl-Termins schloss die PiS-Parteiführung kategorisch aus, obwohl die polnische Verfassung eine solche Möglichkeit, z.B. durch Ausrufung des Naturkatastrophen-Falls, vorsieht.

Präsidentschaftswahl für PiS von existenzieller Bedeutung

Das kategorische Festhalten am 10. Mai als Wahltermin hatte sein Gründe. Dem Vordenker der PiS-Partei und ausgebufften Parteistrategen Jarosław Kaczyński ist völlig klar, dass nach Ende der Corona-Krise das großen Schlachten beginnt . Dann wird die Frage nach den politischen Verantwortlichen für die Tausenden von Firmen-Pleiten, der danieder liegenden Wirtschaft, den Anstieg der Arbeitslosigkeit, den sinkenden Einkommen, der ausufenden Staatsverschuldung usw. gestellt.

Foto: PL-MVI-Agentur

Zu einem solchen Zeitpunkt, den Kandidaten der Regierungspartei, den bisherigen Staats-Präsidenten Andrzej Duda bei seiner Wiederwahl durchzubringen, wäre dann kaum noch möglich.
Dabei hat die Wiederwahl von Andrzej Duda für die PiS-Partei existenzielle Bedeutung. Denn der polnische Staatspräsident hat ein Veto-Recht. Wenn bei den Wahlen nicht Andrzej Duda gewinnt, sondern der Kandidat einer Oppositionspartei das Amt des Staats-Präsidenten übernimmt, dann könnte der jedes vom Parlament mit der Mehrheit der PiS-Partei beschlossenes Gesetz blockieren. Das wäre der Anfang vom Ende der PiS-Regierung.
Krisenzeiten sind dagegen Zeiten, in denen sich Amtsträger profilieren können. Für Kaczyński war und ist die Corona-Krise dagegen die ideale Gelegenheit, den Kandidaten der PiS-Partei, den amtierenden Staatspräsidenten Duda mit Leichtigkeit zu einer zweiten Amtszeit zu verhelfen. Entsprechend wurde Duda in dem von der PiS-Partei kontrollierten staatlichen TVP-Fernsehen täglich als Staatsmann und Krisen-Manager präsentiert, während die Opposition zu Hause sitzen mußte.

Kaczyński von Junior-Partner unter Druck gesetzt

Das bedingungslose Festhalten an dem Wahltermin, mit dem die PiS-Partei ihr skrupellose Machtpolitik in der Krisenzeit über das Gemeinwohl stellt, hatte jedoch nicht nur bei der Opposition entschiedenen Widerstand ausgelöst. auch im Regierungslager Widerstand ausgelöst. Auch  Jarosław Gowin, Vorsitzender der Partei Porozumienie, einer der beiden Juniorpartner in der von der PiS-Partei geführten Regierungskoalition sprach sich für eine VerschiebungWahlen aus. Gowin, ohne dessen Stimmen seiner Partei die PiS die absolute Mehrheit im Parlament verlieren würde, drohte sogar damit, mit seiner Fraktion die Regierungs-Koalition zu verlassen, wenn nicht der Wahltermin verschoben wird. Dabei war schon absehbar, dass die Brief-Wahlen zu dem von der PiS-Regierung festgelegten Termin im Chaos versinken werden, denn das vom Sejm beschlossene abgeänderte Wahlrechts-Gesetz zur Briefwahl mußte erst noch vom Senat, der zweiten Kammer des Parlaments begutachtet werden. Entsprechend dem legislativen Prozeß-Verfahren wird dem Senat dafür eine Frist von 30 Tagen eingeräumt. Der Senat wird aber nicht von der PiS-Partei, sondern von der Opposition dominiert. Damit war vorhersehbar, dass der Senat die Frist voll ausschöpfen wird. Am Dienstag dem 5.Mai, also fünf Tage vor dem Wahltermin legte der Senat in der Abendstunden seinen ablehnenden Beschluß zur Änderung des Wahlrechts vor. Zu dem Zeitpunkt hatte der Regierungs-Beauftragte für die Wahlen Jacek Sasin, ein engster Vertrauter von Kaczyński, bereits einen Druck der Wahl-Unterlagen veranlasst, obwohl dafür überhaupt noch keine gültige Rechts-Grundlage vorlag, nämlich ein verabschiedetes Wahländerungs-Gesetz.
Nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus organisatorischer Sicht war das Chaos vorprogrammiert. Für die Wahl-Kommissionen fanden sich wegen der Corona-Krise nicht genügend Wahlhelfer. Die Auszählung der Wahlstimmen würde Woche dauern. Auch die Polonia, die Organisation der Auslandspolen hatte bereits im Vorfeld gewarnt, dass rund 2,5 Mio. im Ausland lebende Polen aufgrund der kurzen Fristen und der in vielen Ländern geltenden Corona-Schutzbestimmungen von der Wahl praktisch ausgeschlossen werden.

Kompromiß aus dem Hinterzimmer

Die Ablehnung des Senats zur Abänderung des Wahlgesetzes hat allerdings keinen bindenden, sondern nur einen Empfehlungs-Charakter. Sie kann vom Sejm, der ersten Kammer des Parlaments, wieder überstimmt werden. Hier hat die PiS-Partei die Mehrheit, wenn denn ihr Junior-Partner, Gowins Partei Porozumienie, mitzieht. Und das war nach der ablehnenden Haltung von Gowin offen. In den Abendstunden vom Mittwoch, den 6.Mai, fand dann das Tauziehen um den Termin der Präsidentschafts-Wahlen (vorerst) ein Ende. Um 22.03 Uhr gaben Kaczyński und sein Widersacher Gowin eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sich für eine Brief-Wahl aussprechen, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt. Danach wird die Wahl am 10.Mai stattfinden, jedoch nur theoretisch, ohne Stimm-Abgabe, damit sie am nachfolgenden Tag vom Obersten Gericht für ungültig erklärt werden kann. Damit wird der Weg freigemacht, dass die Parlaments-Präsidentin einen neuen Termin für die Briefwahl festlegen kann. Voraussichtlich wird die Wahl dann im Juli stattfinden.
Es spricht für den Zustand des politischen Systems in Polen, dass zwei Herren von der Regierungs-Koalition im Hinterzimmer einen Entscheidungs-Prozeß zu den Wahlen herbeiführen, während zur gleichen Zeit ohne Beteiligung oder Kenntnis von dem die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im TVP-Fernsehen eine Wahlkampf-Debatte führen. Die Demontage des polnischen Staates und seiner Institutionen schreitet damit weiter voran. Weltweit ein einmaliger Vorgang: nach Festlegung des Wahltermins wird im Nachhinein Wochen später unter Protest der Opposition  plötzlich das Wahlrecht geändert. Und drei Tage vor dem drohenden Wahl-Chaos können unter kompletter Ausschaltung des Souveräns ,,der kleine und der große Jarosław“ mit einer ,,Vereinbarung im Hinterzimmer“ praktisch darüber entscheiden, dass die tatsächlich nicht stattgefundene Wahl für ungültig zu erklären ist.

© André Janski / infopol.PRESS

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Geschützt: Wahlsieg für PiS-Parteichef Kaczyński ein Pyrrhus-Sieg

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