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Corona: Polen stoppt die falschen und richtigen Pendler

Polen hat die bislang geltenden Ausnahme-Regelungen für Pendler im grenzüberschreitenden Verkehr ausgesetzt. Ab heute (27.März) müssen sich Berufspendler einer 14tägigen Quarantäne unterziehen . Damit werden die Konsequenzen aus dem Mißbrauch der Pendler-Regelungen durch polnische Bürger gezogen. Gleichzeitig ist es auch ein Eingeständnis, dass der Cordon sanitaire gegen den Corona-Virus , den man mit der Grenzschließung schaffen wollte, eine Fiktion war. Angepasst an die Notwendigkeiten, müssen wir jetzt unsere eigenen Beschlüsse korrigieren“, räumte Innenminister Mariusz Kamiński ein.
Als Polen am 15. März seine Grenzen für deutsche und andere Ausländer sperrte, wurden u.a. Ausnahme-Regeln für Berufs-Pendler und Fahrer im internationalen Transport-Verkehr geschaffen. Polnische Bürger, die aus dem Ausland einreisten, sollten sich dagegen einer 14tägigen Hausquarantäne unterziehen.
Die Realität sah allerdings ganz anders aus. Wie das Kommando des polnisches Grenzschutzes für die Grenze an der Oder zu Deutschland mitteilt, wurden allein im Zeitraum vom 15 bis zum 22.März 160 000 aus Deutschland einreisende Personen kontrolliert. Eigentlich hätten die sich entsprechend der amtlichen Anordnung einer häuslichen Quarantäne unterziehen müssen. Haben sie aber nicht. Tatsächlich waren es gerademal ein Drittel – 48 000. Der polnische Grenzschutz werde deshalb jetzt ein spezielles elektronisches Programm an den Grenzübergängen zur Erfassung und Kontrolle der einreisenden Personen einführen, um wiederholte Ein- und Ausreisen ohne Quarantäne-Aufenthalt zu unterbinden, teilte Joanna Konieczniak, Sprecherin des Grenzschutz-Kommandos infopol.PRESS mit.

Mißbrauch von Ausnahme-Regelungen

Die Situation ist noch durch den Mißbrauch der Ausnahme-Regelungen durch polnische Bürger verschärft worden. Der polnische Grenzschutz hat zwar konsequent die Einreisenden nach Polen kontrolliert. Nicht jedoch bei der Ausreise nach Deutschland. Hier war die Grenze weiterhin offen. Deutschland hatte zwar am 15.März zeitweilige Kontrollen zu den Nachbarländern Frankreich, Dänemark, Österreich, Luxemburg und der Schweiz eingeführt, nicht jedoch zu Polen. Viele Polen, die überhaupt keine Berufspendler sind, haben dies für private Einkäufe ausgenutzt. Und so sah man denn auch in den vergangenen Tagen Vertreter jener typischen polnischen Personengruppe, die Einkaufen als Zeitvertreib betrachtet, gemütlich durch Discounter-Märkte in der deutschen Grenzregion cruisen als gäbe es keine Corona-Krise. Mit den typischen polnischen Berufspendlern, die jeden Tag zwischen 5.00 und 7.00 Uhr zur Arbeit nach Deutschland eilen, hatten diese nichts gemeinsam.

125 000 polnische Pendler betroffen

Die Betroffenen sind jetzt die Pendler, die sich 14 Tage in Quarantäne begeben müssen und für die dieser Quarantäne -Aufenthalt mit finanziell-existenziellen Konsequenzen verbunden ist. Die Regierungen grenznaher Bundesländer wie Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern haben den polnischen Pendlern 65 bzw 70 Euro pro Tag angeboten, damit die dringend im Land benötigten polnischen Arbeitskräfte im Land bleiben. Dabei haben diese Bundes-Länder noch einen relativ niedrigen Anteil an der Gesamtzahl polnischer Pendler. Das Problem ist viel komplexer. Laut dem jüngsten Bericht von Eurostat (People on the move – statistics on mobility in Europe) sind es insgesamt 125 000 Personen, die in Polen wohnen und nach Deutschland zur Arbeit pendeln. Bei den grenzüberschreitenden Arbeitskräften nimmt Polen damit in Beziehung zu Deutschland einen absoluten Spitzenplatz in der gesamten EU ein.

 

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Deutsche Personalvermittler: 14 Tage warten auf polnische Arbeits-Pendler Foto: PL-MVI-Agentur

Für die polnischer Pendler, die auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages mit einem deutschen Arbeitgeber in Deutschland arbeiten, ist der 14tägige Quarantäne-Aufenthalt finanziell weniger ein Problem, wenn die Kurzarbeiter-Regelung greift. Das ist aber nicht der Regelfall.
Viele polnische Arbeits-Pendler arbeiten nach dem gleichen Modell, was im Pflegebereich angewandt wird und von den Sozialverbänden und Gewerkschaften seit Jahren kritisiert,und von der deutschen Politik stillschweigend toleriert wird. Sie arbeiten vermittelt über polnische Arbeitsvermittlungs-Agenturen auf der Grundlage von zivilrechtlichen Verträgen, die in Polen ,,Müllverträge“ (umowa śmieciowa) genannt werden. Dabei ist der Pendler sozial nicht abgesichert und muß dafür selbst aufkommen. Für die brechen aus finanzieller Sicht bei der Rückkehr nach Polen schwere Zeiten an.

,,Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könne man noch nicht sagen, ob dies ein Anstieg der Anträge auf Sozialhilfe zur Folge habe“, sagte Adriana Dydyna-Marycka, stellvertretende Bürgermeisterin der Grenzstadt Słubice gegenüber infopol.PRESS .

Die Stadtverwaltung Słubice und ihr Bürgermeister Mariusz Olejniczak sowie der Bürgermeister von Świnoujście (Swinemünde) waren diejenigen, die an die Regierung in Warschau appelliert hatten, die Grenzen vollständig zu schließen. Man habe dies aus Sorge um die Gesundheit der Bürger von Słubice getan. Viele Bürger der Stadt hätten sich dafür ausgesprochen, weil sie durch den Grenz-Verkehr die Gefahr der Einschleppung des Coronavirus aus Deutschland sehen, der ihr Leben und Gesundheit bedroht.
Auf die Frage, ob die Stadtverwaltung die von deutscher Seite geforderten Ausnahme-Regelungen insbesondere für die polnischen Ärzte und Krankenschwestern , die in den grenznahen deutschen Krankenhäusern arbeiten, unterstützt, reagierte die Bürgermeisterin mit Zurückhaltung. Eine Alternative wäre ja die Anmietung von Quartieren auf deutscher Seite.

Andere Geisteshaltung an der Grenze zur Tschechien

Eine völlig andere Geisteshaltung als in den polnischen Amtsstuben entlang der Grenze zu Deutschland herrscht dagegen bei den polnischen Amtskollegen in den Gemeinden und Städten an der Grenze zur Tschechien. Allein in der Stadt und dem Kreis Cieszyn sind über zehntausend Menschen jetzt von der Erwerbslosigkeit bedroht. Über 2000 von ihnen haben in den benachbarten tschechischen Kohle-Gruben gearbeitet.  ,,Die Menschen sind hier empört“, berichtet Katarzyna Koczwara Sprecherin der Grenzstadt Cieszyn, infopol.Press. ,,Ich habe Tränen in den Augen gesehen. Viele Menschen, die jahrelang in den tschechischen Gruben gearbeitet haben, stehen über Nacht völlig vor dem Nichts. Sie haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, kein Sozialversicherungsanspruch und sind empört über die Maßnahmen unserer Regierung“. Ganz anders würden sich dagegen die tschechischen Behörden verhalten. Die tschechische Regierung habe schon viel früher und konsequenter Maßnahmen gegen den Coronavirus getroffen als Polen. ,Und die tschechischen Behörden halten trotzdem weiterhin die Grenze für den Pendler-Verkehr offen.“
Die Situation sei wegen der sozialen Konsequenzen der Grenzschließung von polnischer Seite spannungsgeladen. Es drohe ein ,,Bunt“. Das heißt soviel, die Menschen beginnen dort gegen die Grenzschließung zu rebellieren. Auch die Stadt Cieszyn will sich nicht mit der Situation abfinden. Sie hat den Polnischen Städte-Verband ZMP eingeschalten, damit er bei der Regierung in Warschau interveniert und eine Rücknahme der Pendler-Regelung einfordert.
Magda Szulc /infopol PRESS