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Tusks Rückkehr als weißer Reiter im angegrauten Gewand

Donald Tusk ist wieder zurück in der polnischen Politik. Zahlreiche Niederlagen hatte seine Partei Bürgerplattform (PO) erlitten, nachdem er 2014 in das Amt des EU-Ratsvorsitzenden wechselte. Seine Rückkehr an die Partei-Spitze wurde auf dem Partei-Konvent am Wochenende wie in der biblischen Offenbarung als der Einzug des Weißen Reiters auf weißen Ross gefeiert, der Polen von der PiS-Partei und ihrem ,,Diktator“ Jarosław Kaczyński befreit. Doch Tusks Wahl zum kommissarischen Partei-Vorsitzenden, der die zerstrittene Opposition vereinen soll, ist selbst in der eigenen Partei, insbesondere bei der jüngeren Generation, nicht unumstritten. Inzwischen sind dort wie im liberalkonservativen Oppositionslager ausserhalb der Partei Persönlichkeiten herangewachsen, deren Popularität im Wahlvolk die von Tusk überstrahlt. Sie setzen auf programmatische Neu-Anfänge. Mit der Rückkehr von Tusk ist jedoch zu erwarten, dass sich der parteipolitische Machtkampf in Polen wieder auf die jahrzehntelange persönliche Feindschaft zwischen Kaczyński und Tusk fokussiert.

Über die Rückkehr von Donald Tusk in die polnische Politik war schon seit langer Zeit spekuliert worden. Tusk selbst hatte bereits 2019 die Gründung einer Bewegung ,,4. Juni“ angekündigt (Am 4.Juni 1989 übernahm die ,,Solidarnosc“ im Rahmen des Runden Tisches teilweise die Regierungs-Macht). Die Bewegung ,,4.Juni” außerhalb der Parteistrukturen, wollte Tusk als gesellschaftliches Rückgrat bei den Wahlen 2019 und den Präsidentschaftswahlen 2020 nutzen. Doch bei kühler Bewertung der politischen Situation und dem Rückhalt der PiS-Partei seines Erzfeindes Kaczynski beim Wahlvolk rückte Donald Tusk von dem Vorhaben ab. Das Risiko, eine vernichtende persönliche Niederlage einzufahren war ihm zu groß.

Bei Wählern unbeliebt gemacht

Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des EU-Ratspräsidenten Ende 2019 erklärte Tusk zur Enttäuschung seiner Parteiführung, dass er nicht bei den Präsidentschaftswahlen 2020 kandidieren werde. ,,Dazu ist eine Kandidatur notwendig, die nicht mit dem Gepäck schwieriger unpopulärer Entscheidungen belastet ist”, sagte Tusk zur Begründung mit Hinweis auf seine Zeit als früherer Ministerpräsident von 2007 bis 2014. In dieser Zeit traf er viele unpopuläre Entscheidungen. Dazu gehörten u.a. die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent, die Anhebung des Renten-Alters und die Zwangsverstaatlichung eines Teils der in den Offenen Rentenfonds OFE angesparten privaten Gelder unter das Kuratel der staatlichen Sozialversicherungs-Anstalt ZUS. Hinzu kamen zahlreiche politische Skandale wie die sogenannte Abhör-Affäre. Seinerzeit hatten Kellner in dem Warschauer Nobel-Restaurant Sowa & Przyjaciele, in dem die Polit-Prominenz ein und aus ging, in den VIP-Logen heimlich Abhörgeräte installiert, um die Privat-Gespräche der Politiker mitzuschneiden.
Einen wesentlichen Baustein für den Niedergang der Tusk-Regierung bildeten dabei die den Medien zugespielten heimlichen Mitschnitte eines Gesprächs zwischen den damaligen Finanzminister Rostowski und dem Außenminister Radoslaw Sikorski, dem eine persönliche Freundschaft mit dem damaligen Bundes-Außenminister und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier verbindet. Sowohl Rostowski wie auch Sikorski gefielen sich bis dahin aufgrund ihrer Studienabschlüsse und –aufenthalte in Großbritannien und den USA in der Rolle einer aristokratischen Bildungs-Elite. Umso größer war das Entsetzen und die Aufregung in der polnischen Öffentlichkeit, wie sich beide Spitzenpolitiker in den heimlichen Gesprächs-Mitschnitten in einer gewöhnlichen Gossensprache verächtlich über die Normalbürger äußerten, während sie Kaviar und teure Weine auf Staatskosten genossen.

,,Merkel hat der Opposition in Polen das Genick gebrochen“

Donald Tusk befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf Abwegen. 2014 zog er es vor, den Werben von Angela Merkel folgend den lukrativen Posten des EU-Ratspräsidenten anzunehmen und seiner Partei den Rücken zu kehren. Und das vor Beginn des alles entscheidenden Wahlkampfes, der 2015 zum triumphalen Wahlsieges der nationalkonservativen Pis-Partei seines Erzfeindes Jarosław Kaczyński führte. Mit Beginn des Wahlkampfes ihren langjährigen Partei-Chef verlustig geworden, hatte sein Nachfolgerin Ewa Kopacz keine Zeit und keine Chance, die Liberalkonservativen gegen Kaczyńskis nationalkonservative Pis-Partei zu rüsten. Vor diesem Hintergrund fehlte es in Polen auch nicht an Stimmen, dass Merkels Politik 2015 zum Wahlsieg der Kaczyński-Partei beigetragen habe. In Tusks Zeit als Polens Regierungschef bis 2014 war ein gutes Verhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel entstanden. Seine Abwerbung als Regierungschef und Partei-Vorsitzender unmittelbar vor Beginn des Wahlkampfes und seine von Angela Merkel forcierte Positionierung als EU-Ratspräsident in Brüssel werden dafür als Gründe angegeben. Die Zeitung Rzeczpospolita titelte seinerzeit nach dem Wahlsieg der Kaczyński -Partei ,,Merkel hat der Opposition in Polen das Genick gebrochen“ . Es entbehrt daher auch nicht einer gewissen politischen Ironie, dass zu jenem Zeitpunkt, da Angela Merkel aus dem Amt der Bundeskanzlerin ausscheiden wird, Donald Tusk in die polnische Politik zurückkehrt und wieder die Führung seiner Partei übernimmt.

Junge Oppositionspolitiker wollen programmatischen Neuanfang

Doch die Zeiten haben sich geändert. Tusks Bürgerplattform ist schon längst nicht mehr Polens größte Oppositionskraft. Den Rang hat ihr in Umfragen die im vergangenen Jahr von Szymon Hołownia gegründete zentristische Bewegung ,,Polen 2050“ abgenommen. Hołownia, ehemaliger Redakteur der liberalen Zeitung ,,Gazeta Wyborcza“ und populärer Moderator des privaten Fernsehsender TVN spricht wie Tusks Partei ein ähnliches liberalkonservatives Publikum an, jedoch viel moderner und mit programmatischen Inhalten als Alternative zur PiS-Politik. Seit seiner Neugründung wird seine Partei inzwischen nicht nur von übergelaufenen Vertretern aus der jüngeren Politiker-Generation von Tusk Partei gespeist. Hołownia wird auch eine viel größere Integrationsfähigkeit zugesprochen als Donald Tusk. Dafür spricht auch der im Mai erfolgte Übertritt eines langjährigen und angesehen Politikers von Kaczyńskis PiS-Partei zu Hołownias Oppositionsbewegung.
Für eine Einigung der Opposition gegen Kaczyńskis PiS-Partei zeigt er sich zwar mit Donald Tusk gesprächsbereit. Sein Lager markierte jedoch gleich Distanz, in dem es die Rückkehr von Donald Tusk mit den Worten kommentierte, dass Polens Politik ,,keinen Messias“ brauche.

Selbst im eigenen Lager nicht unumstritten

Warschaus Oberbürgermeister Rafał Trzaskowski gilt als größter Konkurrent für Donald Tusk in der Führungsrolle der Bürgerplattform. Fotos: Platforma Obywatelska

Ähnliche Worte sind auch von jüngeren Politikern aus Tusk eigener Partei zu hören. So erklärte der PO-Parlamentarier Sterczewski, dass die Partei keinen Patron brauche, ,,der nach langer Zeit aus den Ferien zurückkehrt“. Gegenüber dem privaten Fernseh-Sender Polsat News wies er auch auf Umfragen hin, wonach die ,,Bürger-Plattform mit Donald Tusk zweimal weniger Zuspruch erhalten wird als unter der Führung von Rafał Trzaskowski“
Der 49jährige PO-Politiker Trzaskowski, der 2018 mit einem triumphalen Wahlsieg Warschauer Oberbürgermeister wurde, hatte 2020 bei der Wahl zum Staatspräsidenten mit einem knapp verpassten Wahlsieg gegenüber Amtsinhaber Andrzej Duda zuletzt in der Partei mit seinem Aufstieg zum stellvertretenden Partei-Vorsitzenden Furore gemacht. Noch vor einem Jahr hatte Trzaskowski Donald Tusk als ,,politischen Rentner“ bezeichnet. Vor dem Parteitag am Wochenende hatte Trzaskowski nun öffentlich angekündigt, selbst die Bürgerplattform bei der kommenden Parlaments-Wahl in den Wahlkampf zu führen. Um so schockierter zeigte er sich über das handstreichartige Szenario der Übernahme der PO durch die ,,alte Garde“- Erst wurde Donald Tusk vom Landesrat der Partei zum stellvertretenden Parteivorsitzen gewählt, damit danach der bisherige Parteichef Boris Budka sofort seinen Rücktritt und Donald Tusk zum kommissarischen Parteivorsitzenden erklären konnte.

Der PiS-Partei die Show gestohlen

Diese blitzartige Übernahme verfolgte aber noch einen anderen Zweck. Zur gleichen Zeit tagte vergangenes Wochenende ein PiS-Parteikongress, auf dem der 74jährige Jarosław Kaczyński wieder zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. Das zeitliche Zusammentreffen von Tusks Rückkehr in die Politik und Kaczyńskis Wiederwahl markiert damit ein historisches Datum in der polnischen Politik – das Wiederaufflammen eines von tiefster persönlicher Feindschaft zwischen den beiden Männern geprägten Kampfes, der Polens Politik seit fast zwei Jahrzehnten beherrscht und die Gesellschaft polarisiert.
Donald Tusk legte bei seiner ersten Rede am Wochenende auch sofort kämpferisch los. In Polen ,,regiert heute das Böse“ sagte Tusk und meint damit Kaczyński. „Wir gehen aufs Feld, um mit diesem Bösen zu kämpfen“, schwor Tusk seine Partei auf den nächsten Wahlkampf ein.

Abgrundtiefe Feindschaft der politischen Schwergewichte

Tusk und Kaczyński kennen sich bereits seit den 80er Jahren, als Kaczyński für eine Untergrund-Zeitung schrieb, die Tusk herausgab. Nach ersten erfolglosen Versuchen in den 90er Jahren, eigene politische Gruppierungen auf die Beine zu stellen, gründete Jarosław Kaczyński mit seinem Zwillingsbruder Lech 2001 die Partei ,,Recht und Gerechtigkeit (PiS). Donald Tusk selbst, der mit dem Versuch scheiterte, die Führung der liberalen ,,Freiheitsunion“ UW zu übernehmen, gründete daraufhin die ,,Bürgerplattform“ PO. Kaczyńskis und Tusks Partei starteten sogar gemeinsam 2002 als Koalition bei den Kommunalwahlen. Nach dem Sturz der postkommunistischen SLD schien es auch ausgemachte Sache zu sein, dass Tusks Bürgerplattform und Kaczyńskis PiS 2005 eine gemeinsame Regierungskoalition bilden. Nach langwierigen Verhandlungen und angeblich nicht abgesprochener Personal-Entscheidungen trennte sich jedoch der gemeinsame Weg der beiden Politiker.
Das Tuch zwischen ihnen war endgültig zerschnitten, als Donald Tusk bei den Präsidentschaftswahlen 2005 als Gegenkandidat von Lech Kaczyński antrat. Es begann ein schmutziger, von beiden Seiten geführter Wahlkampf. Maßgeblich entscheidend für seinen Ausgang war die von der PiS-Zentrale ausgegrabene Geschichte, dass einer der Großväter von Donald Tusk im Zweiten Weltkrieg in der Uniform der deutschen Wehrmacht diente. Für den Inhalt der Geschichte, mit der Tusk als unpatriotisch diffamiert wurde, war Kaczyńskis ,,Bullterrier“ Jacek Kurski verantwortlich. Der wurde später 2015 mit der Leitung die öffentlichen Medien betraut, um sie in eine PIS-Propagandatube umzuwandeln.
Donald Tusk, der erfolgreich aus dem ersten Wahlgang hervorging, musste sich nach der Veröffentlichung in zweiten entscheidenden Wahlrunde Lech Kaczyński geschlagen geben. Zwei Jahre später revanchierte sich Tusk bei einer Fernseh-Debatte zu den Parlamentswahlen, indem er vor laufenden Kameras Kaczyński unterstellte, ihn bei einem Treffen in den 90er Jahren im polnischen Parlament eine Pistole mit den Worten gezeigt zu haben ,,Dich zu töten ist für mich das Gleiche wie ins Gesicht zu spucken“. Der verdatterte Kaczyński widersprach dem, gab jedoch zu, eine kleine Pistole bei sich getragen zu haben.

Obsessionen statt Programme

Seit dieser Fernseh-Debatte arteten die Auseinandersetzungen zwischen beiden Politikern in offene Feindschafts-Tiraden aus, in die beide politische Lager voll involviert wurden. Nach dem tragischen Flugzeug-Absturz einer Regierungsmaschine in Smolensk, der fast 100 ranghohe Vertreter der Staatsführung in den Tod riss, darunter Staatspräsident Lech Kaczyński, steigerte sich die Feindschaft in Hass. Kaczyński warf Tusk vor, für den Tod seines Zwillingsbruder mit verantwortlich zu sein.
Selbst als Donald Tusk schon in Brüssel war und sich 2017 einer Wiederwahl für eine zweite Amtszeit als EU-Rats-Präsident stellte, verfolgte ihn Kaczyńskis Obsession weiter. 27 der 28 EU-Staaten stimmten seinerzeit für Tusk. Selbst der enge Verbündete der PiS-Parteiführung, Ungarns Regierungschef Viktor Orban stimmte für Tusk. Angetrieben von Kaczyński stimmte Polen als einziger Staat gegen Tusk, obwohl selbst ein Teil der PiS-Politiker sich dafür aussprach, Tusk in Brüssel zu unterstützen.
Bei so viel Emotionen zwischen den beiden verfeindeten Schwergewichten der polnischen Gewicht ist kaum anzunehmen, dass es in Polen in Zukunft im parteipolitischen Kampf um Programme und Inhalte gehen wird. Die beiden Herren werden wieder ihre alte Rolle bis zum finalen Endkampf spielen. Die Mehrheit der Polen ist dessen schon längst überdrüssig geworden.

© André Janski / infopolPRESS