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Erstes Teilstück von Polens Eisernen Vorhang fertiggestellt

Foto: KPRM

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki hat diese Woche den ersten fertiggestellten Abschnitt des 5,50 Meter hohen stählernen Grenzwalls an der polnischen Ostgrenze besucht. Bis Ende Mai soll er das polnische Territorium auf einer Länge von 186 Kilometern vom Nachbarland Belarus abriegeln.
Der Bau des stählernen Bollwerks wurde im vergangenen Herbst von der nationalkonservativen PiS-Regierung beschlossen, um den vom Lukaschenko-Regime in Belarus organisierten Ansturm von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten wirkungsvoll abzuwehren. Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes hat es seitdem über 40 000 Versuche des illegalen Grenzübertritts von Belarus nach Polen gegeben. Nach Androhung und Einleitung von Sanktions-Maßnahmen der EU gegen Belarus, konzertiert von diplomatischen Verhandlungen, sind diese jedoch ab Dezember deutlich zurückgegangen.
Morawiecki sagte bei seinem Inspektions-Besuch an dem Grenz-Bollwerk, dass die polnische Grenze ,,ein Heiligtum“ sei. War vor einigen Monaten noch zur Rechtfertigung des Mauerbaus und zur Einforderung der Solidarität der EU-Mitgliedsländer vom ,,Schutz der EU-Außengrenze“ die Rede, so legte Morawiecki jetzt Wert auf die Feststellung, dass ,,wir damit auch die Ostflanke der NATO schützen“.
Morawiecki erinnerte daran, wie ,,die EU vor Jahren versucht hatte, uns, die an der Ostflanke der NATO gelegenen Ländern, zu überreden, dass diese Grenzen offen bleiben. Wir haben uns damals dem grundsätzlich widersetzt. Und heute sagen Brüssel und Paris das, was wir damals gesagt haben. Sie haben uns recht gegeben. Heute sehen sie deutlich, das wir damals recht hatten und recht haben“. Gegnern und Zweiflern an der Sinnhaftigkeit des Grenz-Bollwerks will Morawiecki damit wohl sagen, dass die polnischen Regierung den Segen der EU hat, einen neuen Eisernen Vorhang zu errichten, der Europa vom Osten abtrennt. Darauf lässt auch seine Danksagung an die polnischen Grenzschützer schließen, dass die polnischen Grenzen ,,nicht nur eine Kontur auf der Landkarte sind“.

Der Eiserne Vorhang war zu Zeiten des Kalten Krieges ein Symbolbild für die Trennung von Ost und West.

In den sozialen Medien gibt es bereits erste ironische Anspielungen, die das Bauwerk an Polens Ostgrenze mit der Marginot-Linie vergleichen, jener in den 30er Jahren errichteten Verteidigungslinie an Frankreichs Grenzen, um sich gegen Angriffe aus Deutschland und Italien zu schützen. Benannt wurde sie nach ihrem Schöpfer, den damaligen Verteidigungsminister Marginot. Hoffnungen, dass das 186 Kilometer lange Stahl-Bollwerk an Polens Ost- und damit an der EU-Aussengrenze als ,,Morawiecki-Linie“ in Geschichtsbücher eingeht, wird sich der polnische Regierungschef allerdings kaum machen. Da hat wohl sein großer Schirmherr, der PiS-Parteivorsitzende Jarosław Kaszyński, den Vortritt.
Die Bau-Fortschritte haben auch deren Gegner mobilisiert. Wissenschaftler, Umweltschützer und auch Anwohner im Grenzgebiet fordern in ihren Protesten und Appellen an die EU-Kommission eine fachgerechte Umweltverträglichkeits-Prüfung und einen Stopp der Bauarbeiten.

UNESCO-Weltnaturerbe – Teilung des Białowieża-Urwalds

Südöstlich der Masuren beim touristischen Wassersportparadies Augustów beginnend, wird sich die 5 Meter hohe Stahlsperre entlang der Grenze zu Belarus nach Süden durch mehrere Naturschutz-Gebiete ziehen, darunter auch den weit über seine Grenzen bekannten Białowieża-Urwald. Er gilt als der letzte echte verbliebene Urwald Europas. Das 1200 Quadratkilometer große und sich zu über die Grenze erstreckende Waldgebiet mit den höchsten Laubbäumen Europas ist der Lebensraum von über 12 000 Tierarten, darunter Wildpferde, freilaufende Wisente und Luchse. Der Urwald ist bereits seit Jahrzehnten ein als UNESCO-Weltnaturerbe anerkanntes Gebiet . Wissenschaftler und Naturschützer verweisen bei ihren Protesten u. a. darauf, dass die Tiere durch die Sperre nicht mehr wandern können und die Artenvielfalt beschränkt wird. Der Kritik hält die polnische Umweltschutz-Behörde GDOS entgegen, dass in die Sperre Übergänge für die Tiere, insbesondere die freilaufenden Bisons eingebaut werden. Wie große die Schneisen durch den Urwald geschlagen werden und wie viel Bäume den Einschnitt-Schneisen zum Opfer fallen werden, vermag die Umweltschutzbehörde allerdings nicht zu sagen.
Laut den Planungen des polnischen Innenministeriums werden insgesamt 82 000 Stahlplatten und Pfosten auf eine Länge von 186 Kilometern entlang der Grenze zu Belarus in einer Höhe von 5 Metern verbaut. Gekrönt wird das gigantische Bauwerk von einem Stacheldraht-Verhau. Gespickt wird das Bauwerk mit Bewegungsmeldern, Kameras und anderen Überwachungs-Sensoren. Die Kosten werden umgerechnet auf insgesamt 400 Mio. Euro geschätzt.

© André Jański / infopol.PRESS

Polnischer Kohle-Exit: Subventionierter Kohle-Abbau bis 2049

Nach tagelangen Protest-Aktionen von Bergleuten haben sich Gewerkschaften und die polnische Regierung jetzt auf einen Kohle-Ausstieg bis zum Jahre 2049 geeinigt. Bei einer schrittweisen Schließung der Steinkohle-Bergwerke , die aber erst ab 2028 an Fahrt gewinnt, wird den Bergarbeitern eine Fortzahlung ihrer Bezüge bis zur Rente zugesichert. Bis es zur endgültigen Schließung der letzten Steinkohle-Mine 2029 kommt, sollen die Verluste der weiterhin unrentabel arbeitenden Bergwerke durch öffentliche Zuzahlungen, also mit dem Geld der Steuerzahler, ausgeglichen werden.

Würde man die polnische Staats- Führung beim Wort nehmen, dann müsste sie schon längst ihre Koffer gepackt haben. Vor nicht allzu langer Zeit war es noch Staatspräsident Andrzej Duda im Gespann mit Regierungschef Morawiecki, der mit viel nationalen Pathos vor Bergarbeitern tönte: ,,Kohle ist der größte Schatz Polens…..Solange ich in Polen das Amt des Präsidenten ausübe, werde ich nicht erlauben, dass Irgendwer den polnischen Kohlebergbau ermordet“.
Davon ist heute nichts mehr zu hören. Wozu auch, die populistischen Wahlkampf-Versprechen haben ja ihren Zweck erfüllt. Dabei waren sie schon zum Zeitpunkt ihrer Abgabe von den Realitäten auf dem Energiemarkt überholt.

Steinkohle aus Oberschlesien teurer als Import-Kohle

Bereits im vergangenen Jahr steuerten die im staatlichen Kohle-Konzern PGG vereinten Bergwerke mit ihren 43 000 Beschäftigten auf eine finanzielle Katastrophe zu. Mit dem Verfall der Weltmarkt-Preise für Steinkohle lagen die Kosten für Steinkohle aus Oberschlesien mit umgerechnet über 90 Dollar pro Tonne im vergangenen Herbst bereits zu 50 Prozent über den Preis- Indizes für Vertrags-Steinkohle in den Häfen von Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen.
Anstelle der teuren polnischen Steinkohle setzten deshalb die polnischen Stromerzeuger im vergangenen Jahr über 15 Mio. t Import-Steinkohle aus dem Ausland ein. Den größten Teil davon bezogen polnische Unternehmen aus Russland. Importiert wurde jedoch auch Steinkohle aus anderen Ländern wie Kolumbien und Südafrika. Selbst aus den USA, wo die Förderleistung pro Beschäftigten zehnfach höher ist als in den Bergwerken der vom Staat kontrollierten polnischen Kohle-Gesellschaft PGG. In der Folge wuchsen die Kohle-Halden bis Anfang des Jahres auf über 15 Mio. t an. Obwohl die vier großen polnischen Energiekonzerne vom Staat kontrolliert werden und vom Staatsschatz-Minister Jacek Sasin angehalten wurden, verstärkte polnische Kohle zur Verstromung in ihren Kraftwerken einzusetzen, hat sich an der Situation nichts Grundlegendes verändert. Im Gegenteil: Unter dem Druck der finanziellen und ökonomischen Realitäten haben die Energieunternehmen begonnen, den Schalter umzulegen. So wird der Bau des neuen Kraftwerks im nordpolnischen Ostrołęka, der noch im vergangenen Jahr von der PiS-Regierung als Kohlekraftwerk konzipiert wurde, jetzt mit Erdgas geplant.

Kosten-Druck zwingt zur Umstellung auf Erneuerbare Energien

Selbst Polens größter Strom-Erzeuger auf Kohle-Basis, der staatliche Energiekonzern PGG, hat kürzlich eine Energie-Wende angekündigt. Der Konzern, auf dessen Kohle-Kraftwerke etwa ein Fünftel des gesamten polnischen Co2-Ausstosses entfallen, kündigte an, bis zum Jahre 2050 die Energie-Erzeugung zu ,,100 Prozent“ auf Erneuerbare Energien umzustellen.


Das plötzliche Umdenken erklärt der PGE-Vorstand mit dem immer stärker werdenden Kosten-Druck. Aus den PGE-Kraftwerken wurden im ersten Halbjahr dieses Jahres 29,3 Mio. t Kohlendioxid in die Umwelt gepustet. Allein der Kauf von Co2-Emissionsrechten für die Kohle-Verstromung hat dem Konzern in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 3,1 Mrd. Złoty gekostet. PGE hat nun angekündigt, zunächst bis zum Jahre 2030 einen Viertel seiner Strom-Erzeugung auf Erneuerbare Energien umzustellen. Dazu sollen in den nächsten Jahren 6 Mrd. Złoty in Solar-Parks mit einer Leistung von 2500 MW investiert werden.

Inlands-Nachfrage nach Kohle sinkt schneller

Einen beschleunigten Abbau des Anteils der Kohle an der Energie-Erzeugung hat auch das Klima-Ministerium Anfang September in seinem Strategie-Programm zu Energie-Politik vorgelegt. ,,Das ursprüngliche Konzept ist aus heutiger Sicht in Verbindung mit den dynamischen Anstieg der Preise für Co2-Emissionsrechte unrealistisch”, sagte Michal Kurtyka, der als parteiloser Experte dem Ministerium vorsteht, bei der Vorstellung des neuen Programm-Entwurfs. Es sieht jetzt eine Senkung des Anteils der Kohle an der Energie-Erzeugung auf 37 Prozent bis zum Jahre 2030 vor. Gegenwärtig sind es noch knapp 75 Prozent. Bis zum Jahre 2040 sollen es dann nur noch 11 Prozent sein.

Der Entwurf des neuen Programms für die staatliche Energie-Politik stieß bei den mächtigen Kohle-Gewerkschaften auf entschiedenen Widerstand. Aus Protest dagegen fuhren mehrere Hundert Bergleute nicht mehr aus und blieben unter Tage. Die Gewerkschaften kündigten Streik-Aktionen an, wenn die Regierung den Gewerkschaften nicht konkrete Programme als Verhandlungs-Grundlage anbietet. In den nachfolgenden Verhandlungen ging es den Gewerkschaften in erster Linie um das Tempo für den Ausstieg aus der Kohle, Investitions-Möglichkeiten in moderne Kohle-Technologien und einem Restrukturierungsplan für den staatlichen Kohle-Konzern PGG, der technisch gesehen bereits insolvent ist. Anstelle der ursprünglich von den Gewerkschaften geforderten Verschiebung des Ausstieg aus der Steinkohle bis zum Jahre 2060 sieht die jetzt zwischen Gewerkschaften und Regierung getroffenen Vereinbarung die Schließung des letzten Steinkohle-Bergwerks im Jahre 2049 vor. Bis dahin wird schrittweise die Steinkohle-Förderung zurückgefahren. Den Bergarbeitern wird dabei eine Fortzahlung ihrer Bezüge bis zur Rente zugesichert.
Die Vereinbarung, die auf den ersten Blick wie ein Kompromiss erscheint, ist jedoch nur eine Sammlung von Zugeständnissen und Versprechen der Regierung, um die Bergarbeiter und ihre Gewerkschaften ruhig zu halten. Mit den Veränderungen und der Realität auf dem polnischen Energiemarkt haben sie nichts gemeinsam. So geht das Klima-Ministerium selbst in seinen Prognosen davon aus, dass der Bedarf der Energiewirtschaft an Steinkohle in den nächsten fünf Jahren um 11 Mio. t zurückgehen wird. Die jetzt mit den Gewerkschaften geschlossene Vereinbarung sieht dagegen nur eine bereits schon frühere geplante Schließung des Bergwerks Pokój im Jahre 2022 vor. Dadurch wird das derzeitige Förder-Aufkommen des staatlichen Kohlekonzerns PGG nur um knapp 1 Mio. t Steinkohle verringert. Eine Schließung von weiteren Bergwerken und Schachtanlagen, die der PGG finanzielle Verluste einbringen, ist in den nächsten Jahren nicht vorgesehen. Sie sollen mit anderen Bergwerken zusammengeschlossen werden. Erst im Jahre 2028 soll mit Bolesław Śmiały das nächste Bergwerk stillgelegt werden. Danach erfolgt die Schließung weiterer Bergwerke in zeitlich versetzten Etappen angelegt auf über 20 Jahre.

Absurde Vorstellung – Subventionierte Kohle, die keiner haben will

Regierung und Gewerkschaften vereinbarten, dass für die Fortsetzung der Steinkohle-Förderung in den unrentablen Bergwerken eine Subsidiär-Finanzierung aus dem Staatshaushalt erfolgt, also der Steuerzahler dafür aufkommen soll. Die Rede ist hier von jährlich 1 Mrd. Zloty an staatlichen Zuschüssen. Diese Regelung setzt aber die Zustimmung der EU-Kommission voraus. Experten halten dieses Ansinnen für absurd. Weshalb sollte die EU-Kommission ihre Zustimmung für öffentliche Zuzahlungen zur Finanzierung einer laufenden Produktion geben, deren Ziel auf eine Stabilisierung der Tätigkeit von Steinkohle-Förderunternehmen für 30 Jahre ausgerichtet ist, fragt der Fachinformationsdienst WysokieNapięcie. Schließlich hat sich die EU bereits 2018 im Zuge ihrer Klima-Beschlüsse von ihrer in der Vergangenheit praktizierten Politik verabschiedet, öffentliche Zuschüsse nur für Kohle-Bergwerke zu bewilligen, für die ein konkreter und zeitlich überschaubarer Schließungs-Termin festgelegt wurde. Und was passiert mit der geförderten Steinkohle, für die es in Polen keinen Bedarf gibt? Wenn sich der gesamte Plan als unreal erweist, dann hat er für die Regierung in Warschau zumindest ein Plus, schreibt der Branchendienst. ,,Denn Bergleute kann man dann sagen, wir wollten das Beste. Aber die Brüsseler Eurokraten haben das verhindert und den Plan muss man jetzt ändern und die Bergwerke früher schließen“.

,,Genug Blah, Blah, Blah. Eine tatsachliche Transformation JETZT ! “ Mit dieser nächtlichen Licht-Installation auf der zentralen Kohle-Halde hat Greenpeacediese Woche  die Vereinbarung zwischen der Regierung und den Kohle-Gewerkschaften kommentiert.  Foto: Greenpeace

Partikular-Interessen statt neuer Perspektiven für Bergbau-Regionen

Auch Greenpeace Polska hat in einem Schreiben an Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Regierung aufgefordert, endlich damit aufzuhören, die Bergarbeiter und die gesamte polnische Gesellschaft ,,mit leeren Versprechen und der Vorstellung von Plänen, die nicht zu erfüllen sind, weiter zu betrügen“. Die zwischen der Regierung und den Bossen der Kohle-Gewerkschaften geschlossene Vereinbarung stehe im Widerspruch zu der Idee von einer wahrhaften Transformation der Bergbau-Regionen. Sie sei geprägt von partikularen Interessen von Politikern, die sich um ihre Stühle sorgen und von Gewerkschafts-Funktionären, die nicht die tatsächlichen Interessen der Bergarbeiter repräsentieren. ,,Anstatt neue Perspektiven für die Bergbau-Regionen aufzuzeigen, haben wir eine Vereinbarung, die keine Chance hat, realisiert zu werden“, schreibt der Programm-Direktor von Greenpeace, Paweł Szypulski, in dem Brief an Regierungs-Chef Morawiecki. Für die Erarbeitung eines realen Planes zur Transformation der Bergbau-Regionen sei ein breiter gesellschaftlicher Dialog unter Beteiligung aller Seiten notwendig, einschließlich der kommunalen und regionalen Selbstverwaltungen.

© André Jański / infopol.PRESS

Foto: KPRP/Szymczuk

Staatspräsident macht Chaos im Rechtssystem komplett

Polens Staatspräsident Andrzej Duda hat jetzt offiziell seine Kandidatur für die anstehenden Präsidentschaftswahlen am 10. Mai bekanntgegeben. Diese Bekanntmachung fiel nahezu zeitgleich mit seiner Unterschrift unter das umstrittene ,,Maulkorb-Gesetz“ zusammen. Und das könnte wie ein Klotz am Bein seinen Wahlkampf für eine erfolgreiche Wiederwahl belasten. Dieses Gesetz sieht einen von Geldstrafen bis zur Entlassung umfassenden Straf-Katalog für Richter vor, die die Kompetenzen anderer Richter oder Gerichte in Frage stellen. Dieses Gesetz ist aber mehr als nur ein weiterer Akt in dem von der nationalkonservativen PiS-Partei seit 2015 vollzogenen und seit Jahren von den EU-Gremien kritisierten Umbau des polnischen Rechts-Systems. In seinen rechtlichen Konsequenzen stellt das Gesetz das Überschreiten einer Roten Linie dar, die die PiS-Regierung bisher– wenn auch mit taktischen Manövern, Verzögerungen – immer noch eingehalten hatte.

Im vergangenen November hatte der Europäische Gerichtshof EuGH entschieden, dass Polens Oberstes Gericht auf der Grundlage klar definierter Grundsätze darüber zu befinden hat, ob der von der PiS-Partei initiierte und weitgehend bestallte Landes-Justizrat und die Disziplinar-Kammer beim Obersten Gericht rechtmäßig seien. Und Polens Oberstes Gericht entschied darauf, dass diese Institutionen nicht dem EU-Recht entsprechen. Die Regierungs-Koalition mit den harten rechten Kern der von Justizminister Zbigniew Ziobro geführten Partei Solidarna Polska reagierte darauf sofort eben mit jenem Gesetz zur Disziplinierung der Richter. In seiner juristischen Konsequenz stellt es das Urteil des EuGH in Frage, in dem es den von der regierungskritischen Präsidentin geführten Obersten Gerichtshof entmachtet.

Chaos – Richter erkennen die Legitimität von anderen Richtern nicht an

Die Regierung hatte immer vorgegeben, mit ihrer Justiz-Reform ein transparenteres und effizienteres System schaffen zu wollen. Schon die Vorgänger-Regierung unter Donald Tusk hatte erste Versuche zur Beschleunigung der Arbeit der Gerichte unternommen. Auch in den dazu geführten öffentlichen Umfragen spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung für Änderungen im Gerichtswesen aus. In den fünf Jahren ihrer Reformen hat sich die PiS-Partei aber ausschließlich nur mit der Änderung der Fundamental-Prinzipien des polnischen Rechtssystems darauf konzentriert, den Justiz-Apparat unter ihre parteipolitische Kontrolle zu bringen. Für jede Kritik an den Reform-Änderungen wird den Richtern mit dem Gesetz die moralische Erpessungs-Keule angedroht.

De facto hat dies zu zwei gleichzeitig parallel existierenden Rechtssystemen in Polen geführt, bei denen die einen Richter die Legitimität der anderen Richter und ihre Urteile nicht anerkennen. Das damit entstandene Chaos zeigt sich markant in den Vorgängen am Bezirksgericht von Olsztyn. Dort hat die im Rahmen der Justizreform neu geschaffene und mit der Regierung ergebenen Richtern besetzte Disziplinarkammer einen Richter des Bezirksgerichts suspendiert und sein Gehalt gekürzt, weil er in einem Gerichtsverfahren die Kompetenzen eines Richters in Frage gestellt hatte, der von dem neuen Landesjustizrat gewählt wurde. Die Richter des Bezirksgerichts verfassten daraufhin eine Petition mit der Forderung nach Rücknahme der Sanktionen gegen den Richter. Diese Petition wurde vom Präsidenten des Bezirksgerichts zerrissen.

Das jetzt unterschriebene Gesetz demoliert das Rechtssystem komplett. Es stellt die Richter vor das moralische Dilemma, sich entweder den Urteilen des Obersten Gerichts, das für sie die oberste Autorität ist, unterzuordnen oder sich den Diszplinar-Sanktionen des neuen Gesetzes auszusetzen, die bis zum Berufs-Ausschluß reichen. Nicht nur die juristischen Berufsverbände, die Opposition, die EU-Kommission und die Venedig-Kommission des Europarates hatten in ihrer Kritik vor den Konsequenzen gewarnt. Selbst das Episkopat der Katholischen Kirche hatte, was in Polen noch viel maßgeblicher ist, empfohlen, den Regelungen nochmal eine genauere Prüfung zu unterziehen. Staatspräsident Duda, der mit seinem Veto-Recht das Gesetz hätte verhindern können, hat sich mit seiner Unterschrift darüber hinweggesetzt.
Die Opposition, die Duda schon in seiner gesamten Amtszeit unselbständiges Handeln und die Wahrnehmung der politischen Interessen der PiS-Parteiführung vorwirft, wertet Dudas Entscheidung als weiteren großen Schritt, Polen vom europäischen Rechtssystem zu entfernen. Polen habe „einen großen Schritt hin zu einem rechtlichen Polexit gemacht“, schrieb dazu der Beauftragte für Bürgerrechte, Adam Bodnar.

Fortgang der PiS-Politik von Dudas Wiederwahl abhängig

Unabhängig davon, wie real das beschworene Gespenst eines solchen ,,Polexit“ ist, für die Opposition ist es eine Vorlage im jetzt anstehenden Wahlkampf gegen Duda und dem hinter ihm stehenden PiS-Parteilager. In dem Bewußtsein, dass die Zustimmung der Bevölkerung zur EU-Mitgliedschaft Polens hoch ist, ist für Opposition die beschworene Gefahr eines Polexits eine gewichtiges Argument im Wahlkampf gegen Duda. Bereits vor einem Jahr hatte sie in der Kampagne zu den Europa-Wahlen ihre Strategie auf einen drohenden Polexit ausgerichtet. Die PiS-Partei hatte seinerzeit diesen Angriff den Wind aus den Segeln genommen, in dem sie ihren Wahlkampf unter das Motto stellte ,,Polen- das Herz Europas”. Mit Erfolg: Die PiS ging als Wahlsieger aus den Europawahlen hervor.

Diesmal dürfte der PiS-Partei kaum ein ähnlicher Schachzug gelingen. Dazu sind die Fakten zu eindeutig. Nun ist die Präsidentenwahl anders als Parlamentswahlen keine Parteiwahl, sondern eine Personen-Wahl. Für die PiS-Partei hat diese Wahl jedoch herausragende Bedeutung, weil von deren Ausgang abhängig ist, ob sie ihre bisherige Regierungs-Politik so weiterführen kann oder nicht. Einige polnische Politologen sprechen sogar davon, dass es am 10. Mai für die PiS-Partei um ,,Sein oder Nichtsein“ geht.

Trotz ihres Wahlsieges im vergangenen Oktober ist die PiS-Partei bereits mit einem Bremsblock aus den Parlamentswahlen hervorgegangen. Erstmals in der Geschichte der Republik hatte sie als Regierungspartei nicht die Mehrheit im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, erringen können. Die Mehrheit, wenn auch nur dünn, liegt bei der Opposition. Der Senat als ,,Kammer der Reflexion” im polnischen Parlaments-System kann zwar nicht die Gesetze verhindern, die der von der absoluten Mehrheit der Regierungspartei dominierte Sejm beschlossenen hat. Der Senat kann den legislativen Prozeß jedoch verzögern. Damit kann das Regierungslager schon mal nicht mehr – wie in der Vergangenheit – Gesetze innerhalb von 24 Stunden durch das Parlament durchpeitschen.

Ganz anders sieht es dagegen mit den Befugnissen des polnischen Staatspräsidenten aus, die über die repräsentative Funktion eines Staatsoberhaupts wie z.B. in Deutschland oder Österreich, hinausgehen. Der polnische Staatspräsident hat ein Veto-Recht. Damit kann er jedes Gesetz blockieren und damit die Regierungsarbeit paralysieren. Wie dies funktioniert, hat Aleksander Kwaśniewski in der Vergangenheit demonstriert. In seiner Amtszeit (1995 bis 2005) hat er zahlreiche Gesetze der damaligen AWS-Regierung (mit dem Justizminister Kaczynski), aber auch der Regierung des ihm politisch nahestehenden SLD-Linksbündnisses blockiert. Wohl auch deshalb ist er bis heute in den Meinungs-Umfragen der populärste Präsident und auch der einzige in der Geschichte der Dritten Polnischen Republik, der für eine zweite Amts-Periode wiedergewählt wurde. Sowohl den Führungsspitzen des Regierungslager als auch den Oppositions-Parteien ist klar, wenn Staats-Präsident Andrzej Duda , der in den entscheidenden Fragen sein Amt immer nur als Vollzugs-Organ der PiS-Partei einsetzte, nicht wiedergewählt wird und eine Oppositionspolitiker die Spitze des Staates übernimmt, dann ist das der Anfang vom Ende der von PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński propagierten Politik des ,,guten Wechsels”.

©  André Janski  / infopol.PRESS