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Polen erwartet mit Gerüchten angeheizten Ansturm von Migranten

 

Foto: Podlaska Policja / Twitter

Die Spannungen an der polnischen Grenze zu Belarus nehmen weiter zu. Polen erwartet heute einen inszenierten Ansturm von Tausenden Migranten auf die polnische Grenze. Auslöser dafür sollen nach Angaben polnischer Sicherheitsbehörden gezielt gestreute Gerüchte sein, dass die in den bitterkalten Wäldern der Grenzregion schmachtenden Migranten von Deutschland aufgenommen werden.

Das polnische Innenministerium hatte bereits im elektronisches RCB-Warnsystem ein Alert über die Mobilfunk-Kanäle an die im Grenzgebiet feststeckenden Migranten herausgegeben. Neben arabischer, englischer und polnische Sprache auch in deutsch. Darin werden die Migranten gewarnt, den Gerüchten zu glauben, dass sie am 15. November in einer organisierten Aktion von Bussen aus Deutschland an der Grenze abgeholt und von Polen durchgelassen werden. Dies sei eine totale Lüge und Unsinn! ,,Polen wird seine Grenze zu Weißrussland weiterhin schützen. Wer solche Gerüchte verbreitet, will die Migranten dazu bewegen, die Grenze zu stürmen, was zu gefährlichen Entwicklungen führen kann“
Ist es nur ein Zufall, dass zeitgleich mit der Warnmeldung des polnischen Innenministeriums sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in der ,,Bild am Sonntag“ gegen eine Aufnahme der Migranten in Deutschland ausspricht? ,,Wir dürfen diese Migranten weder in der EU noch in Deutschland aufnehmen“, sagte Kretschmer. Weiß Kretschmer mehr als in der Öffentlichkeit bekannt? Oder war es nur ein Kommentar auf die Aussagen von Russlands Präsidenten Wladimir Putin?

Vermittlung von Deutschland

Putin hatte nach den Telefonanrufen von der noch amtierenden deutschen Regierungschefin Angela Merkel in der Öffentlichkeit Vorwürfe aus den Westen zurückgewiesen, die Russland mit der Situation an der Grenze zu Polen in Verbindung bringen. In einem Fernseh-Interview am Wochenende erklärte Putin, es seien die westlichen Länder, ,,die an dieser Krise schuld haben“. Anspielend auf Merkels Politik in der Flüchtlingskrise 2015 sagte Putin weiter ,,sie selbst haben die Bedingungen geschaffen, dass zu ihnen Tausenden, Hunderttausende Menschen kommen“. Gleichzeitig äußerte Putin die Erwartung, dass Deutschland und die EU mit dem belarussischen Machthaber Lukaschenko ins Gespräch kommen.
Der EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hat dieses Wochenende bereits vorgefühlt. In einem Telefon-Gespräch mit dem belarussischen Außenminister versicherten sich beide Seiten, die Kommunikationskanäle offen zuhalten. Polens Diplomatie mit ihrer seit Jahren bekannten und forcierten Russland-Phobie ist dabei außen vor.

video Podlaska Policja

Polen und die EU werfen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, in organisierter Form Menschen aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um auf diese Weise Vergeltung für Brüsseler Sanktionsbeschlüsse zu üben.
Die von der nationalkonservativen PiS-Partei geführte Regierung hat die harte kompromisslose Abwehr der Migranten durch die massiv aufgefahrenen polnischen Sicherheitskräfte an der ostpolnischen Grenze vordergründig in den innenpolitischen Auseinandersetzungen mit der Opposition als Verteidigung des polnischen Vaterlands und des Christentums instrumentalisiert. Dabei ist die Situation an der polnischen Ostgrenze nicht mit den Dimensionen der Flüchtlingskrise von 2015 im Süden Europas vergleichbar. Die Angaben der polnischen Behörden zur Zahl der Menschen, die sich im Grenzgebiet zu Polen aufhalten sind widersprüchlich. Sie reichen von 2500 bis 15 000 Migranten. Überprüfbar sind sie nicht, da Polen bislang sowohl der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, die nur 120 Kilometer weiter in einer der teuersten Büro-Immobilien Warschaus residiert, als auch humanitären Hilfsorganisationen sowie den Medien den Zugang zur Sperrzone an der Grenze verweigert.

Legalisierung von Push-backs

Push-backs, also die gewaltsame Zurückdrängung der Migranten durch die polnischen Sicherheitsbehörden sind da an der Tagesordnung. Mit stillschweigender Zustimmung durch die EU-Instanzen in Brüssel. Deren Doppel-Moral zeigt sich auch darin, dass sie einerseits begründeter Weise Warschau seit Jahren ein Verletzung rechtsstaatlicher Grundlagen vorhält, anderseits aber die Verordnung des polnischen Innenministerium und das abgeänderte Ausländer-Gesetz, das die nationalkonservativen Regierung im Oktober durch das Parlament gedrückt hat, mit Bedacht übersieht. In dem Gesetz werden Push-Backs ohne die Möglichkeit des Zugangs zum Asyl legalisiert. Dies ist nicht nur nach der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch nach EU-Recht verboten.
Die polnische Regierung hat ihr hartes Vorgehen bisher damit verteidigt, dass es sich bei den an vom Lukaschenko-Regime an die polnische Grenze gedrängten Menschen nicht um Flüchtlinge, sondern um Migranten handele. Anfangs mit der Kritik an den polnischen Grenzschützern über deren Kaltherzigkeit gegenüber dem Elend der an der Grenze abgewiesenen Menschen und den Tränen der Frauen und Kinder konfrontiert, sieht sich die PiS-Regierung jetzt von den vielfach kolportierten Bildern und Videos mit den von den belarussischen Behörden angetriebenen Männern bei ihren Versuchen, die polnischen Grenzschutzanlagen zu zerstören, in ihrem harten Vorgehen bestätigt. Dies hat der in den vergangenen Monaten schwächelnden PiS-Partei zwar wieder eine deutliche Oberhand in den Meinungs- und Wählerumfragen gegeben. Es ändert aber nichts daran, dass die polnische Regierung zunehmend die Kontrolle über die Situation in der polnischen Grenzregion verliert. Und das nicht nur wegen der hohen Zahl der von der deutschen Bundespolizei aufgegriffenen illegalen Migranten, die über die belarussische Route gekommen sind. Bereits mehr als 6000.

Wandel vom Subjekt zum Objekt eines Ost-West-Machtspiels

Die Migrationskrise an der polnischen Grenze ist zum Bestandteil des Machtspiels zwischen Ost und West geworden, in dem Polen nur noch die Rolle eines Objekts zukommt.
Dies hat auch die Drohung des belarussischen Diktators Lukaschenko nach der Ankündigung von verschärften EU-Sanktionen deutlich gemacht, dem Westen den Gashahn zuzudrehen. Die Drohung bezieht sich auf die über belarussisches Territorium führende Jamal-Gasleitung, durch die russisches Erdgas nach Deutschland strömt. Eigentümer der Gasleitung ist die russische Gazprom. Der russische Staatspräsident Putin hat zwar offiziell Belarus vor einem solchen Schritt gewarnt, der einen Vertragsbruch des von Russland abhängigen Landes darstellt. In Warschau hegt man jedoch keinen Zweifel, dass Lukaschenko die Drohung nicht ohne Absprache mit Moskau getroffen habe und Russland jetzt die wohlkalkulierte Drohung als Druckmittel gegenüber der EU nutzt, für die fertiggestellte Ostsee-Pipeline Nordstream 2 endlich den Gashahn zu öffnen.

,,Von Feinden umringt“

Auf die Krise an der Grenze hat der die Regierungspolitik diktierende PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczyński mit der Stärkung seiner Doktrin der Selbstisolation reagiert. In zwei Ansprachen zum polnischen Unabhängigkeitstag am 11. November betonte er, dass Polen nicht nur aus dem Osten bedroht wird, sondern wir ,,auch große Probleme im Westen haben“. Es ist die Wiederbelebung der alten Theorie von den ,,zwei Feinden“ aus der Vorkriegszeit, die Polen umstellt haben. Abgesehen von den absurden Vergleichen des Lukaschenko-Regimes und Putin mit der Europäischen Union, gab Kaczyński auch seiner Überzeugung Ausdruck, dass in Polen ,,Agenten“ zugunsten von fremden Interessen wirken, der Deutschen, der Europäischen Union oder Putins Russlands. Namen nannte Kaczyński nicht. Gemeint ist aber Donald Tusk und die Opposition. Entsprechenden Widerhall fanden Kaczyńskis Vorgaben bei dem vom rechtsradikalen Lager organisierten Unabhängigkeits-Marsch in Warschau, der unter Schirmherrschaft der Regierung stand und an dem über Hunderttausend Menschen teilnahmen. Es wurden Bilder von Tusk, EU-Fahnen und deutsche Flaggen öffentlich verbrannt. Die Worte von Kaczyńskis erklären auch, weshalb die PiS-Partei und ihre Regierung keine Frontex-Grenzagentur und die Deutschen bei der Vermittlung mit Putin oder Lukaschenko haben will.

Absurd: In Polen Verbot – in Belarus Zulassung internationaler Medien

Sich selbst in die Defensive gebracht hat sich die polnische Regierung, die die Desinformations-Kampagnen der belarussischen und russischen Dienste beklagt, auch mit ihrer Abschottung des Grenzgebiets vor den Medien. Seit dem vergangenen Wochenende werden weltweit die Medien von eigenen, unabhängigen Berichten der großen Nachrichten-Sender aus der Grenzregion gespeist. Nicht von der polnischen Seite, sondern von Belarus aus, denn Lukaschenko hat CNN, Reuters, die BBC zugelassen. So berichtet Mathew Chance von CNN am Wochenende aus einem Migranten-Lager an der Grenze mit 2000 Migranten, in das immer mehr Migranten drängen. Man sieht in den CNN-Aufnahmen eine vom belarussischen Militär aufgestellte Versorgungs-Station mit Zelten und Proviant-Versorgung. Hinter dem Stacheldraht-Zaun dagegen das von polnischen Grenzschützern aufgestellte Kordon. Die Bilder von CNN verdeutlichen das, was auch polnische Grenzschutz-Behörden suggerieren. An den Grenze zu Polen laufen Vorbereitungen für einen großen Migranten-Ansturm, der vom Lukaschenko-Regime als Reaktion auf die heute von den EU-Außenministern zu erwartenden Beschlüsse für weitere Sanktionen gegen Belarus organisiert wird.
Auf die Fragen des CNN-Korrespondenten an die kurdischen Camp-Bewohner, ob sie überzeugt seien, nach Deutschland zu gelangen, antworten diese: ,,Ja, wir wollen alle nur nach Deutschland. Wir wollen nicht in Polen bleiben“.

© André Jański / infopol.PRESS