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Ukrainische Flüchtlinge in Polen müssen jetzt selbst Kosten tragen

Foto: PL-Agentur

Ukrainische Flüchtlinge in Polen, die keiner Arbeit nachgehen, müssen künftig selbst einen Teil der Unterhaltskosten tragen. Die polnische Regierung will mit dieser neuen Regelung den Druck auf die Migration in den Arbeitsmarkt erhöhen und Sozial-Mißbrauch verhindern.

Nach offiziellen Angaben des polnischen Sozial-und Familienministeriums gehen über 766 000 Ukrainer in Polen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit in Polen nach (Stand Dezember 2022). Das sind nahezu 10mal so viel wie nach Registrierung des großen Flüchtlingsstroms im April vergangenen Jahres. Nimmt man den neusten Bericht Eurostat zur Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen in den einzelnen EU-Ländern zur Grundlage, der die Zahl für Polen mit 939 865 angibt, dann gehen rund 80 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in Polen einer Arbeit nach. Verglichen mit Deutschland ist dies eine außerordentlich hohe Zahl. Deutschland hat nach Polen die meisten Kriegsflüchtlinge in der EU aufgenommen. Laut Eurostat 901 930 – das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gibt in seiner Statistik die Zahl mit etwa 1.044.000 Menschen deutlich höher an. Doch egal welche Zahl man als Vergleichs-Grundlage nimmt, sind es nicht einmal 10 Prozent der ukrainischen Kriegsflüchtlinge, die in Deutschland eine Arbeit gefunden haben. ,,Die Integrationsbereitschaft ist hoch“ , lobte Anfang Dezember die ehemalige Bundesarbeitsministerium und heutige Chefin der Bundesarbeits-Agentur Andrea Nahles bei der Präsentation der Zahl der Geflüchteten, die in Deutschland einer Arbeit nachgehen. Doch verglichen mit Polen nimmt sich die Zahl mit 59 000 Ukrainern, die in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, sehr bescheiden an.
Natürlich sind bei der Bewertung die fehlenden oder mangelhaften Sprachkenntnisse der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland in Rechnung zu stellen. Ukrainer haben es mit der polnischen Sprache viel leichter. Auch die kulturelle Nähe spielt eine Rolle. Jedoch sind nicht  nur die Verwaltungen, auch die Unternehmen bei der Einstellung von ukrainischen Flüchtlingen in Polen viel flexibler. Befürchtungen, die Personalverantwortliche in deutschen Unternehmen plagen, dass Flüchtlinge aus der Ukraine bald in ihr Heimatland zurückkehren wollen, teilen sie nicht. Ohnehin hat man in Polen mit ukrainischen Arbeitskräften langjährige Erfahrungen. Bereits vor Ausbruch des Ukraine-Krieges haben über eine Million Ukrainer in Polen gearbeitet, insbesondere auf dem Bau, in der Transportbranche und der Landwirtschaft. Als Arbeits-Migranten verschaffte ihnen das ein viel höheres Einkommen als in der Ukraine.

Ukrainer gründen über 13 000 Firmen in Polen

Dass ukrainische Kriegsflüchtlinge den Schutz-Aufenthalt in Polen nicht nur als Übergangslösung betrachten, belegen auch die Zahlen der Firmengründungen. Nach Angaben des Polnischen Wirtschaftsinstituts PIE haben sich in den ersten drei Quartalen des zurückliegenden Jahres 10 207 ukrainische Bürger mit einer Firmengründung selbständig gemacht. Dazu kommen 3600 Unternehmens-Gründungen mit ukrainischen Kapital Laut PIE entfielen damit fast die Hälfte aller Unternehmensgründungen mit ausländischen Kapital in Polen auf ukrainische Bürger. Weit über ein Drittel aller ukrainischen Firmengründungen entfiel auf 2 Branchen – auf den Bau und im weitesten Verständnis des Begriffes auf die Transport- und Lagerbranche. Aus polnischer Sicht ist besonders hervorhebenswert, dass 13 Prozent der Firmengründungen auf die IT-Branche mit hochklassifizierten Fachkräften entfiel.

Besonders markant ist der Schwerpunktbereich bei den Frauen. Mit knapp 90 Prozent entfiel dabei nahezu jede Firmengründung auf Kosmetik- und Friseur-Dienstleistungen.
Wie aus den Untersuchungen des Polnischen Wirtschaftsinstituts hervorgeht, zieht die Mehrheit der ukrainischen Firmengründer eine Fortsetzung der Firmentätigkeit unabhängig von der Situation in der Ukraine in Betracht. Gleichzeitig gaben über 75 Prozent der befragten Firmen an, dass ihre Firmengründung darauf ausgerichtet ist, Einkommen für die Gründer und ihre Familien zu erzielen. Dies entspricht ganz den jüngsten Leitlinien der polnischen Regierungspolitik. Wie in den anderen EU-Ländern können ukrainische Kriegsflüchtlinge in Polen nicht nur Arbeit ohne Beschäftigungsbewilligung aufnehmen. Mit ihrer Anmeldung und Registrierung erhalten sie auch sofort die polnische Personenidentifizierungs-Nummer PESEL, die ihnen neben dem Zugang zum polnischen Gesundheits- und Bildungssystem (Kinder) bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen, wie z.B. bei der monatlichen Auszahlung von Geldern aus dem Sozialprogramm 300 +, 500 + u.a., die gleichen Rechte sichert wie polnischen Bürgern.

Druck auf Migration in den Arbeitsmarkt

Anders als in Deutschland sind die Maßnahmen der politischen Regierungspolitik jedoch stringent auf eine Migration in den Arbeitsmarkt ausgerichtet, auch um die Finanzierung der Sozialausgaben zu stabilisieren. Dem dienen auch die gerade beschlossenen gesetzlichen Änderungen zur Beteiligung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen an den Kosten für ihre Unterbringung.. Danach müssen ukrainische Kriegsflüchtlinge, die keiner Arbeit nachgehen und sich länger als 120 Tage in einer Sammel-Unterkunft aufhalten, zu 50 Prozent an den Unterbringungskostenkosten beteiligen. Ukrainische Bürger, die nicht arbeiten und sich mehr als 180 Tage in einer Sammelunterkunft aufhalten, tragen dagegen schon 75 Prozent der Kosten. Davon ausgenommen sind all jene Personen, die aus gesundheitlichen Gründen oder dem Lebensalter, Schwangerschaft oder wegen Kinderbetreuung keine Arbeit in Polen aufnehmen können.

Maßnahmen gegen Sozial-Missbrauch

Zu den jetzt vom polnischen Parlament beschlossenen Änderungen gehören auch Maßnahmen zur Unterbindung von Fällen des Sozial-Missbrauchs. Dabei geht es in der Sache um das, was der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Herbst vergangenen Jahres als ,,Sozialtourismus“ bezeichnete, wofür er sich nach heftiger veröffentlichter Kritik in Deutschland sofort entschuldigte. In den von der PiS-Regierung eingeleiteten und vom polnischen Parlament beschlossenen gesetzlichen Änderungen wird dagegen der polnische Grenzschutz angewiesen, die Daten von ein- und ausreisenden Ukrainern die Sozialversicherungsanstalt ZUS zu übermitteln. Dies soll den sofortigen Stopp der Auszahlungen von Sozialleistungen an Ukrainer bewirken, die Polen wieder verlassen.
In einer Mitteilung der Staatskanzlei wird dazu Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit der Aussage zitiert, dass die Maßnahmen darauf ausgerichtet sind, die polnischen Steuerzahler so gering wie möglich mit den Kosten an den staatlich zugesicherten Hilfsleistungen für ukrainische Flüchtlinge zu belasten.

,,Die Polen lieben die Ukraine, aber  nicht die Ukrainer“

Mit dieser Aussage lässt der Regierungschef eine Wahrnehmung des zunehmenden Stimmungswandels in der polnischen Bevölkerung im Verhältnis zu den ukrainischen Flüchtlingen erkennen. Wie soziologische Studien belegen, ist von der großen Welle der spontanen Hilfsbereitschaft und Solidarität in der polnischen Bevölkerung gegenüber den Ukrainern in den ersten Wochen nach Beginn der russischen Aggression nicht mehr viel übriggeblieben. ,,Die Polen lieben die Ukraine, aber nicht die Ukrainer“ , heißt es in einer Studie, die in der Autorenschaft des Soziologen PrzemysławSadura von der Warschauer Universität erarbeitet wurde. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass sich in allen sozialen Schichten unabhängig vom Bildungsstand, Alter und Wohnort starke negative Gefühle gegenüber den Ukrainern breit gemacht haben. Darin äußern die Befragten ihren Unmut, dass die ukrainischen Kriegsflüchtlinge die gleichen Sozial-Hilfeleistungen bekommen wie polnische Bürger, beim Zugang zur medizinischen Betreuung, den Bildungseinrichtungen und Kitas bevorzugt behandelt werden und überhöhte Ansprüche stellen. Die wachsende Missgunst gegenüber den Ukrainern wird getragen durch die Ängste um das Absinken des eigenen Lebensstandards infolge der in Polen außerordentlich hohen Inflation, der rasanten Preis-Entwicklung und Energiekrise. All diese Probleme, die die Menschen belasten, hatte die Regierung bisher immer mit dem Krieg in der Ukraine erklärt. Die Regierungs-Propaganda wird jetzt auf die Flüchtlinge reflektiert und die Ukrainer sind zu Opfern der Unzufriedenheit der Polen über die sich verschlechternde wirtschaftliche und finanzielle Situation geworden. Der Soziologe Sadura warnt davor, dass durch das Verschweigen der Ängste und Sorgen in den Mainstream-Medien und den politischen Eliten in Polen eine ähnliche Situation wie in Deutschland im Jahre 2015 eintreten könnte, als die AfD dadurch zur drittstärksten politischen Kraft aufstieg.

© André Jański / infopol.PRESS