Abtreibungs-Recht wird noch weiter verschärft

Das polnische Abtreibungsrecht war bisher schon streng. Mit dem heutigen Urteil des Verfassungsgerichts wird es jetzt zum schärfsten Gesetzakt gegen die Abtreibung in Europa. Die bisher geltende Regelung, die einen Schwangerschaftsabbruch erlaubte, wenn medizinische Untersuchungen auf schwere Miss- und Fehlbildungen und unheilbare Krankheiten des ungeborenen Kindes verweisen, wurde vom Gericht als verfassungswidrig erklärt.
Nach Auffassung des Gerichts sei diese Regelung als Eugenik zu werten.
Die Eugenik ist die die 19.Jahrhundert aufgekommene Erbgesundheitslehre. Mit der Rassenlehre der Nazis hat der Begriff einen negativen Bedeutungsinhalt bekommen.
Nach Auffassung des Gerichts sei dies mit dem im polnischen Grundgesetz garantierten Recht auf Leben nicht vereinbar.
Das Verfassungsgericht folgte mit seinem Urteil einen Antrag von 119 Parlamentsabgeordneten der nationalkonservativen PiS-Regierungspartei und dem rechtsnationalen Partei-Konglomerat der Konfederacja sowie Kukiz 15.
Das Verfahren leitete die nach den von der PiS-Partei vollzogenen Veränderungen im polnischen Justiz-System 2016 zur Gerichtspräsidentin aufgestiegene Julia Przyłębska. Die Juristin ist auch in Deutschland gut bekannt. In ihrer zwischen dem diplomatischen Dienst und eine Richtertätigkeit wechselnden Karriere war sie u.a. auch polnische Generalkonsulin in Köln. Verheiratet ist sie mit Polens Botschafter in Deutschland Andrzej Przyłębski,
Von den 13 Richtern des Verfassungsgerichts folgten jedoch zwei Richter nicht der Auffassung ihrer Vorsitzenden. Eine dieser Richter, warf in der Anhörung die Frage auf, ob das von den Antragstellern geforderte Recht auf Leben nicht auch für die Frauen gilt, die von der Schwangerschaft mit einem schwer fehlgebildeten Phötus bedroht sind. Die Abschaffung der bisherigen Regelung gehe auf Kosten und Risiko dieser Frauen.

Donald Tusk: ,,Politische Lumperei“

Das Urteil des Verfassungsgerichts hat bei großen Teilen der Opposition und bei Frauenrechts scharfe Kritik hervorgerufen. Kritisiert wird auch der Zeitpunkt, da bei der aktuellen Corona-Situation größere Kundgebungen verboten sind. 2016 als die regierende PiS-Partei die ersten Versuche zur Verschärfung des Abtreibungsrechts unternahm, waren Zehntausende Frauen in ganz Polen dagegen in schwarzer Bekleidung (,,Schwarze Proteste“ ) auf die Strasse gegangen.
Donald Tusk , früherer Ministerpräsident und ehemaliger EU-Ratsvorsitzende bezeichnete es als ,,politische Lumperei“ und mehr als zynisch, wenn das Thema Abtreibung und die dazu ergangene ,,Entscheidung eines Pseudogerichts“ inmitten der grassierenden Pandemie auf die Agenda gebracht wurde. Der Vorsitzende von Polens größter Oppositionspartei Boris Budka kommentierte das Urteil mit den Worten: ,,Das Verfassungsgericht hat die Anweisungen von PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński erfüllt, um unmenschliche Vorschriften einzuführen….Kaczyński hat bewiesen, dass er in Zeiten der Covid-19-Epidemie keine Bremsen kennt“.

Schwangerschaftsabbruch heimlich oder im Ausland

Für die polnische Frauenrechtlerin Kazimiera Szczuka bedeutet das Urteil das Ende einer legalen Schwangerschaftsunterbrechung.

Frauen zu einem Ende der Schwangerschaft zu zwingen, obwohl der Fötus schwer geschädigt ist, sei eine grausame Tortur und unmenschlich. Frauen werden noch mehr heimlich oder im Ausland einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. ,,Wir haben jetzt das restriktivste Abtreibungsrecht in ganz Europa“.
Ganz anderer Meinung ist Kaja Godek, Initiatorin der Bewegung ,,Stop der Abtreibung”, die 2016 eine halbe Million Unterschriften für den Gesetzentwurf zur Verschärfung des Abtreibungsrechts sammelte. ,,Heute ist Polen ein gutes Beispiel für Europa und die ganze Welt“, kommentierte sie das Urteil des Verfassungsgerichts.
Auch Erzbischof Stanisław Gądecki, Vorsitzender der Konferenz des polnisches Episkopats hat sich anerkennend zu Wort gemeldet: ,,Mit großer Wertschätzung habe ich das heutige Urteil des Verfassungsgerichts entgegengenommen“.

In den späten Abendstunden versammelten sich mehr als 1000 Menschen vor dem Privat-Haus von PiS-Parteichef Kaczyński im Warschauer Stadtteil Żoliborz und der Zentrale der PiS-Partei im Stadtzentrum zu Protesten gegen das Urteil. Sie skandierten u.a. ,,Ich bin ein Mensch und keine Gebärmaschine“. Mit einem Groß-Aufgebot verhinderte die Polizei einen Durchbruch der Demonstranten zu Kaczyńskis Haus. Gegen die Demonstranten wurde Reizgas eingesetzt.

© Magda Szulc / infopol.PRESS