Empörung über Melnyks Aussagen in Polen

♦ Außen-Ministerium: Skandalöse Worte

♦ Vizepremier: Melnyk ,,nützlicher Idiot“ für den Kreml

Anders als in der deutschen Öffentlichkeit haben die Aussagen des ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk, zu Bandera und den von ukrainischen Nationalisten verübten Massenmorden in Polen für Entrüstung und Empörung gesorgt.

Mit seinen Aussagen habe sich Melnyk zum ,,nützlichen Idioten“ des Kremls gemacht, sagte Vize-Premier und Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak im polnischen Rundfunk. Der frühere Außenminister Witold Waszczykowski, der jetzt für die regierende PiS-Partei im EU-Parlament sitzt, kritisierte die Aussagen von Melnyk als „seltsamen Dank“ für Polens Unterstützung der ukrainischen EU-Kandidatur und für die Aufnahme von Millionen ukrainischer Kriegs- Flüchtlinge sowie der großen Waffen-Lieferungen Polens an die Ukraine.

Nach der Intervention des polnischen Außen-Ministeriums in Kiew über Melniks skandalöse ,,Falschaussagen“ hat sich der ukrainischen Außenminister Kuleba in einer halbseidenen Erklärung von seinem Botschafter in Deutschland distanziert. Melnyks Kommentare seien „seine eigene Meinung und spiegeln nicht die Position des Außenministeriums der Ukraine wider“.

Rechtsnationale Politiker in Polen haben jetzt sogar die Forderung erhoben, Melnik zur ,,persona non grata“ zu erklären und bei seiner Rückkehr in die Ukraine die Einreise nach Polen zu verwehren. Politische Beobachter in Polen werten die Aussagen des Botschafter als schwere Belastung der polnisch-ukrainischen Beziehungen, die auch der Ukraine schaden.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, der seit Jahren als glühender Verehrer von Stepan Bandera bekannt ist, einem der Führer der Organisation der ukrainischen Nationalisten, hatte in einem, im Rahmen der auf You Tube verbreiteten Reihe Jung & Naiv Show im Gespräch mit Tilo Jung bestritten, dass es keine Beweise für den Massenmord an Juden und Polen durch Anhänger Banderas gebe. Auch die Kooperation der ukrainischen Nationalisten Banderas mit der deutschen Besatzungsherrschaft ließ er nicht gelten.
In Bezug auf die Ermordung von Polen argumentierte er, dass „es auch Massaker an Polen gegen die Ukraine gab … Es war ein Krieg“. Die Polen seien für die Ukrainer genauso ein Feind gewesen, wie es Nazi-Deutschland und die Sowjetunion waren. Aus polnischer Sicht besonders empörend, Melnyk stellt Polen auf die gleiche Stufe wie Hitler-Deutschland.
Auf ein von Bandera unterzeichnetes Propaganda-Flugblatt angesprochen, in dem die „Auslöschung“ von Juden, Polen, Russen, und Ungarn gefordert wurde, antwortete Melnyk, dass er „sich nicht davon distanzieren werde.

Mit seinen Aussagen hat Melnyk ein schwieriges und zugleich tragisches historisches Kapitel belebt, das seit Jahrzehnten die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine vergiftet und das nach der russischen Invasion in der Ukraine mit der Aufnahme von Millionen Kriegsflüchtlingen durch die polnische Bevölkerung und der massiven Waffen-Hilfe Polens für die Ukraine gedeckelt schien. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da hat das polnische Parlament im Jahre 2016 Rzeź wołyńska, das Massaker von Wolhynien,   als einen von den Ukrainern verübten Völkermord an der polnischen Bevölkerung verurteilt.

Abgesehen von den Historikern ist der historische Kontext in deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt. Er reicht bis in das Mittelalter zurück, in eine Zeit als Polen noch eine Großmacht war und mit Russland um die Vorherrschaft in Osteuropa kämpften. Seinerzeit standen große Teile der Ukraine bis hinunter zum Asowschen Meer unter polnischer Herrschaft.

Nach den drei Teilungen Polens durch Russland, Österreich-Ungarn und Preußen erfolgte ein Machtwechsel. Russland festigte seine Macht im Osten der heutigen Ukraine. Die westliche Ukraine ging an Österreich-Ungarn.

Mit der Wiedererlangung der staatlichen Souveränität und Unabhängigkeit 1918 unternahm Polen sofort Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Einflusssphären. In dem nach Ende des 1.Weltkrieges entstandenen Macht-Vakuum (u.a. Zusammenbruch Österreich-Ungarns, Schwächung Russlands) prallten dabei die Gebietsansprüche Polens mit den National-Interessen der Ukrainer und den Ansprüchen der sich formierenden Sowjetunion aufeinander. Die Gründung der Westukrainischen Republik als ersten unabhängigen ukrainischen Staates wurde sofort von Polen zerschlagen. Im Ergebnis des 2021 abgeschlossenen ,,Friedens von Riga“ wurde ein großer Teil der West-Ukraine – Ost-Galizien und Wolynhien – in das polnische Staatsgebiet eingegliedert. Damit einher ging eine stringende Politik der ,,Polonisierung“. In Städten wie Lemberg (polnisch Lwów, ukrainisch Lwiw) bildeten ethnische Polen die Bevölkerungs-Mehrheit. Auf dem Lande dagegen stellten Ukrainer die deutliche Mehrheit dar. Zum Ausgleich dieses Ungleichgewichts wurden deshalb im Rahmen einer staatlichen Boden- und Siedlungspolitik Bauern aus Zentralpolen in der Westukraine angesiedelt. Ukrainische Gymnasien wurden geschlossen und das gesamte ukrainische Schulsystem beschnitten. Mit Billigung der polnischen katholischen Kirche wurden Kirchen der Ukrainer, die zur griechisch-orthodoxen Kirche gehören, zerstört. Die katholische Kirche übernahm selbst 200 Kirchen, in denen nur noch in polnischer Sprache gepredigt wurde.

Anders als in Bezug auf Österreich-Ungarn in der Zeit vor dem 1.Weltkrieg empfand  ein Teil der Ukrainer Polen als Okkupanten und Besatzer. In Reaktion darauf wurde 1929 in Wien die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) gegründet. Es folgten von der OUN organisierte Subversions-Maßnahmen gegen den polnischen Staat, Mordanschläge und ein Bauern-Aufstand , der massiv von der polnischen Armee und Polizei niedergeschlagen wurde. 1934 wurde der polnische Vize-Premier und Innenminister Pieracki in einem von Stepan Bandera organisierten Attentat getötet. Bandera, der von einem polnischen Gericht zum Tode verurteilt wurde (das Urteil wurde nicht ausgeführt), kam mit dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen frei.

Als die sowjetischen Truppen im Ergebnis des geheimen Zusatz-Protokolls zum Ribbentrop-Molotow-Pakt  die bis 1939 von Polen beherrschten Gebiete östlich des Bugs und der West-Ukraine besetzten, stellte sich die OUN  sofort in die Dienste der Wehrmacht bei der Vorbereitung des Vormarsches in die Ukraine. Am Sitz des in Kraków gebildeten Generalgouvernements spaltete sich die OUN 1940 in zwei Flügel auf: die OUN-B von Stepan Bandera und die OUN-M von Andrij Melnyk. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in der Ukraine besetzten die Angehörigen des radikaleren Flügels der OUN von Bandera die Verwaltung und die ukrainische Hilfspolizei, die maßgeblich an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung von Lwiw (Lemberg) beteiligt war. Als die OUN 1941 einen ukrainischen Satelliten-Staat ausrief, der seine Zugehörigkeit zu Hitlers neuer Ordnung proklamierte, wurden Bandera, sein Stellvertreter Stezko als selbsternannte Ministerpräsident sowie Melnijk aus den Verkehr gezogen und unter relativ komfortablen Bedingungen als Ehren-Häftlinge in einem Gefängnis in Österreich bzw. im KZ Sachsenhausen inhaftiert. In Hitlers Plänen zur Kolonialisierung gab es keinen Platz für einen ukrainischen Satelliten-Staat. Die von der OUN aufgestellte Hilfspolizei wurde der SS unterstellt und in die berüchtigten Schumas, wie die Schutz-Mannschaften im SS-Jargon tituliert worden, umgebildet. Es gab mehr als 100 Schumas mit über 200 000 Ukrainern, die an den Aktionen zur Ermordung von über 850 000 Juden in der Ukraine beteiligt waren. Aus Anhängern der Melnyk-Flügels der OUN wurde später die 14. SS-Division gebildet, die sich bis 1944 aus 22 000 Ukrainern zusammensetzte.

Das Abschlachten der polnischen Zivil-Bevölkerung in Wolhynien

Nach dem Untergang der Paulus-Armee vor Stalingrad und der sich abzeichnenden deutschen Niederlage leitete die OUN und die UPA (Ukrainische Aufständische Armee) als ihr bewaffneter Arm im Vorgriff auf Verhandlungen nach Kriegsende zur Präsentation eines neuen, ethnisch reinen ukrainischen Staates ab 1943 einen Vernichtungs-Feldzug gegen die polnische Bevölkerung in Wolhynien und Ost-Galizien ein. Der Massen-Mord erreichte im Juli 1943 seinen Höhepunkt. Allein in diesem Monat wurden nach Angaben polnischer Historiker in einer koordinierten Aktion unter Beteiligung ukrainischer Bauern mindestens 530 polnische Dörfer und Siedlungen überfallen. Die Aktionen sind in der westlichen Geschichtsschreibung als Massaker von Wolhynien eingegangen, treffender ist die polnische Bezeichnung in ihrer ursprünglichen Bedeutung: das Schlachten von Wolhynien. Auf der Grundlage von Berichten Überlebender berichten polnische Historiker von ganzen Dörfern, in denen auf die Staketen der Zäune die mit Sensen abgetrennten Häupter der Opfer aufgespießt waren. Frauen wurden mit Äxten von oben bis unten in zwei Hälften gespalten, polnische Priester wurden gekreuzigt, Menschen bei lebendigem Leib verbrannt. Laut polnischen Historikern wurden bis zu 100 000 Polen, vorwiegend Frauen und Kinder, Opfer der ethnischen Säuberungen.

In der alten Bundesrepublik Deutschland als ,,Freiheitskämpfer“ hochstilisiert

Die Wahrnehmung der Ereignisse von 1943 sind in der Ukraine als ,,Tragödie von Wolhynien“ ohne Schuldbekenntnis von den jahrzehntelang von der eigenen, die Geschichte verfälschten Interpretation der ukrainischen Diaspora und ihrer Institutionen im Westen geprägt worden. In der Mehrheit setzte sich die ukrainische Diaspora aus ehemaligen Angehörigen der OUN und der UPA zusammen, die von Stepan Bandera, der 1959 vom sowjetischen Geheimdienst in München umgebracht wurde, den 1964 in Düsseldorf verstorbenen Andrij Melnyk und Bandera-Stellvertreter Stezko (1986 in München verstorben) angeführt wurde. In Zeiten des Kalten Krieges stilisierten sie sich  als ,,Freiheits-Kämpfer“ für die Unabhängigkeit im Kampf gegen die Sowjetunion. Ihre Kollaboration mit den Nazis und Beteiligung am Holokaust in der Ukraine sowie die Verbrechen gegen die polnische Zivilbevölkerung in Wolhynien wurden abgestritten oder marginalisiert.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fand diese Sichtweise auch Eingang in die Selbst-Darstellung des 1991 gebildeten ukrainischen Staates. Mit der Aufstellung von Denkmälern und der Benennung von Straßen und Stadien wurden Bandera und andere Führer der OUN und UPA, die von polnischer Seite für die Verbrechen in Wolhynien verantwortlich gemacht werden, als Freiheitskämpfer und Nationalhelden vor allem in der Westukraine glorifiziert.

In Polen dagegen gibt es nahezu keine Stadt, in der nicht ein Monument in Gedenken an die Opfer von Wolhynien aufgestellt ist.  In einem Teil der polnischen Gesellschaft mit Opfer-Biographien haben die Verbrechen der OUN und UPA über Jahrzehnte ein aversives Verhältnis zu den Ukrainern geprägt. Mit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine schien dies gedeckelt zu sein, als die polnische Bevölkerung in einzigartiger Weise Millionen von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine aufnahm und der polnische Staat mit seiner massiven militärischen, wirtschaftlichen und humanitären Hilfe ein neues partnerschaftliches Verhältnis mit der Ukraine aufgebaut hat. Mit seinen Aussagen hat Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland, dieses neue Verhältnis schwer belastet und die alte Ängste, Hass-Gefühle und Ablehnung gegenüber den Ukrainern zumindest in einem Teil des polnischen Gesellschaft neue Nahrung gegeben.

Wenn die Regierung eines der engsten Partner den eigenen Botschafter öffentlich als ,,Idioten“ tituliert,  wird Kiew dies nicht ignorieren können und ihn aus den Verkehr ziehen müssen.

© André Janski /infopol.PRESS