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Erstes Teilstück von Polens Eisernen Vorhang fertiggestellt

Foto: KPRM

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki hat diese Woche den ersten fertiggestellten Abschnitt des 5,50 Meter hohen stählernen Grenzwalls an der polnischen Ostgrenze besucht. Bis Ende Mai soll er das polnische Territorium auf einer Länge von 186 Kilometern vom Nachbarland Belarus abriegeln.
Der Bau des stählernen Bollwerks wurde im vergangenen Herbst von der nationalkonservativen PiS-Regierung beschlossen, um den vom Lukaschenko-Regime in Belarus organisierten Ansturm von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten wirkungsvoll abzuwehren. Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes hat es seitdem über 40 000 Versuche des illegalen Grenzübertritts von Belarus nach Polen gegeben. Nach Androhung und Einleitung von Sanktions-Maßnahmen der EU gegen Belarus, konzertiert von diplomatischen Verhandlungen, sind diese jedoch ab Dezember deutlich zurückgegangen.
Morawiecki sagte bei seinem Inspektions-Besuch an dem Grenz-Bollwerk, dass die polnische Grenze ,,ein Heiligtum“ sei. War vor einigen Monaten noch zur Rechtfertigung des Mauerbaus und zur Einforderung der Solidarität der EU-Mitgliedsländer vom ,,Schutz der EU-Außengrenze“ die Rede, so legte Morawiecki jetzt Wert auf die Feststellung, dass ,,wir damit auch die Ostflanke der NATO schützen“.
Morawiecki erinnerte daran, wie ,,die EU vor Jahren versucht hatte, uns, die an der Ostflanke der NATO gelegenen Ländern, zu überreden, dass diese Grenzen offen bleiben. Wir haben uns damals dem grundsätzlich widersetzt. Und heute sagen Brüssel und Paris das, was wir damals gesagt haben. Sie haben uns recht gegeben. Heute sehen sie deutlich, das wir damals recht hatten und recht haben“. Gegnern und Zweiflern an der Sinnhaftigkeit des Grenz-Bollwerks will Morawiecki damit wohl sagen, dass die polnischen Regierung den Segen der EU hat, einen neuen Eisernen Vorhang zu errichten, der Europa vom Osten abtrennt. Darauf lässt auch seine Danksagung an die polnischen Grenzschützer schließen, dass die polnischen Grenzen ,,nicht nur eine Kontur auf der Landkarte sind“.

Der Eiserne Vorhang war zu Zeiten des Kalten Krieges ein Symbolbild für die Trennung von Ost und West.

In den sozialen Medien gibt es bereits erste ironische Anspielungen, die das Bauwerk an Polens Ostgrenze mit der Marginot-Linie vergleichen, jener in den 30er Jahren errichteten Verteidigungslinie an Frankreichs Grenzen, um sich gegen Angriffe aus Deutschland und Italien zu schützen. Benannt wurde sie nach ihrem Schöpfer, den damaligen Verteidigungsminister Marginot. Hoffnungen, dass das 186 Kilometer lange Stahl-Bollwerk an Polens Ost- und damit an der EU-Aussengrenze als ,,Morawiecki-Linie“ in Geschichtsbücher eingeht, wird sich der polnische Regierungschef allerdings kaum machen. Da hat wohl sein großer Schirmherr, der PiS-Parteivorsitzende Jarosław Kaszyński, den Vortritt.
Die Bau-Fortschritte haben auch deren Gegner mobilisiert. Wissenschaftler, Umweltschützer und auch Anwohner im Grenzgebiet fordern in ihren Protesten und Appellen an die EU-Kommission eine fachgerechte Umweltverträglichkeits-Prüfung und einen Stopp der Bauarbeiten.

UNESCO-Weltnaturerbe – Teilung des Białowieża-Urwalds

Südöstlich der Masuren beim touristischen Wassersportparadies Augustów beginnend, wird sich die 5 Meter hohe Stahlsperre entlang der Grenze zu Belarus nach Süden durch mehrere Naturschutz-Gebiete ziehen, darunter auch den weit über seine Grenzen bekannten Białowieża-Urwald. Er gilt als der letzte echte verbliebene Urwald Europas. Das 1200 Quadratkilometer große und sich zu über die Grenze erstreckende Waldgebiet mit den höchsten Laubbäumen Europas ist der Lebensraum von über 12 000 Tierarten, darunter Wildpferde, freilaufende Wisente und Luchse. Der Urwald ist bereits seit Jahrzehnten ein als UNESCO-Weltnaturerbe anerkanntes Gebiet . Wissenschaftler und Naturschützer verweisen bei ihren Protesten u. a. darauf, dass die Tiere durch die Sperre nicht mehr wandern können und die Artenvielfalt beschränkt wird. Der Kritik hält die polnische Umweltschutz-Behörde GDOS entgegen, dass in die Sperre Übergänge für die Tiere, insbesondere die freilaufenden Bisons eingebaut werden. Wie große die Schneisen durch den Urwald geschlagen werden und wie viel Bäume den Einschnitt-Schneisen zum Opfer fallen werden, vermag die Umweltschutzbehörde allerdings nicht zu sagen.
Laut den Planungen des polnischen Innenministeriums werden insgesamt 82 000 Stahlplatten und Pfosten auf eine Länge von 186 Kilometern entlang der Grenze zu Belarus in einer Höhe von 5 Metern verbaut. Gekrönt wird das gigantische Bauwerk von einem Stacheldraht-Verhau. Gespickt wird das Bauwerk mit Bewegungsmeldern, Kameras und anderen Überwachungs-Sensoren. Die Kosten werden umgerechnet auf insgesamt 400 Mio. Euro geschätzt.

© André Jański / infopol.PRESS

Premiere – Brüssel entzieht Polen EU-Gelder



Foto: PL-Agentur



Die EU-Kommission wird erstmals Gelder aus dem für Polen im EU-Haushalt bereitgestellten Mitteln abziehen. Konkret geht es dabei um die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Fall des polnischen Braunkohle-Tagebaus Turów verhängten Geldstrafen, deren Zahlung Polen verweigert. Wie Kommissionssprecher Balazs Ujvaria betonte, erfüllte die EU-Kommission mit der Mittelkürzung ihre rechtliche Verpflichtung, von dem Gericht verhängte Strafgelder einzutreiben. Die Mittelkürzung einer ersten Tranche in Höhe von 15 Mio. Euro erfolge in den nächsten zehn Tagen. Der Betrag entspricht den vom EuGH verhängten Strafgeld für ein Monat im Zeitraum vom 20. September bis 19.Oktober. Dabei bleibt es nicht!
Im jahrelangen Streit um dem im Dreiländereck Polen-Tschechien-Deutschland gelegenen Tagebau Turow hatte der EuGH im vergangenem Mai einer Klage der Tschechischen Republik folgend die sofortige Schließung des Tagebaus angeordnet. Tschechien begründete die Klage damit, dass die polnischen Behörden ohne ordentliche Umweltverträglichkeitsprüfung die Betriebsgenehmigung für den Tagebau verlängert hatten, der zu einem fortschreitenden, die Trinkwasserversorgung gefährdenden Abbau des Grundwassers, Erdverwerfungen sowie Lärm-und Staubbelastungen in der tschechischen Nachbarregion führt. Da Polen nicht der gerichtlichen Anordnung folgte, verhängte der EuGH am 20.September ein Zwangsgeld von einer halben Million Euro pro Tag.

Warschau: Strafzahlungen kategorisch abgelehnt

Unabhängig von der technischen Unmöglichkeit, einen Tagebaubetrieb von heute auf morgen zu schließen, setzte Polen den Braunkohle-Abbau in Turów mit Verweis auf dessen Beitrag zur Energiesicherheit des Landes fort. Strafzahlungen wurden kategorisch als weder rechtlich noch faktisch begründete Entscheidungen eines übergriffigen EU-Verwaltungsapparats abgelehnt, die nach Darstellung von Regierungssprecher Piotr Müller über die EU-Verträge hinausgehen und die Vertragsgarantien der Energiesicherheit verletzten.
Doch auch in den direkten Verhandlungen mit der tschechischen Regierung war die polnische Seite lange Zeit nicht zu einer Kompromiss-Regelung bereit. Seit dem Frühsommer vergangenen Jahres traten beiden Verhandlungsseiten 24 mal ohne ein Ergebnis zusammen. Zuletzt feuerte Regierungschef Morawiecki noch Anfang des neuen Jahres den polnischen Botschafter in Tschechien. Dem wurde eine Interview mit der ,,Deutschen Welle“ zum Verhängnis, in dem er die ,,Arroganz der polnischen Verhandlungsführung“ gegenüber der tschechischen Regierung für den Misserfolg der Verhandlungen verantwortlich machte.

Frauen leiteten Kompromiss-Lösung ein

Der Durchbruch bei den festgefahrenen Verhandlungen ist auf ein Treffen von zwei Frauen mit dem gleichen Vornamen Anna zurückzuführen: Die neuernannte Klima-Ministerin Anna Moskwa und ihre tschechische Amtskollegin Anna Hubaczkova verständigten sich im Januar in Warschau auf eine Kompromiss-Lösung. Vergangene Woche folgte nun eine von den Ministerpräsidenten beider Länder unterzeichnete Vereinbarung zur Beendigung des Streits. Danach zahlt Warschau an Prag als Kompensation für den Schaden 45 Mio. Euro und lässt einen Erdwall als Lärmschutz um den Tagebau errichten. Die tschechische Regierung zieht dafür umgehend ihre Klage gegen Polen vor dem Europäischen Gerichtshof zurück, was inzwischen geschehen ist.

Bezahlt werden muss trotzdem

Für Warschau ist damit die Sache erledigt. Nicht aber für die EU-Kommission! Nach Rücknahme der Klage durch die Tschechische Republik sind zwar die täglich fälligen Bußgeldzahlungen für Polen sofort ausgesetzt worden. EU-Kommission und EuGH stehen aber auf dem Standpunkt, dass unabhängig von der mit Tschechien getroffenen Vereinbarung die bis dahin (Datum der Rücknahme der tschechischen Klage) fällig gewordenen Strafgelder nachgezahlt werden müssen. Insgesamt handelt es sich dabei um knapp 70 Mio. Euro, die seit dem 20.September aufgelaufen sind und deren Zahlung Polen kategorisch verweigert.

Entzug von weiteren EU-Geldern

Nach Kürzung der EU-Haushaltsmittel für Polen um eine erste Tranche in Höhe von 15 Mio. Euro für den Zeitraum vom 20.September bis 19 Oktober teilte EU-Sprecher Balazs Ujvaria heute mit, dass an die polnische Regierung ein Schreiben ergangen ist mit der Mitteilung eines weiteren Einzugs von 15 Mio. Euro für den Zeitraum vom 20.Oktober bis 18.November. Polens Regierungssprecher Piotr Müller sagte gegenüber der Nachrichtenagentur PAP, dass die polnische Regierung ,,alle rechtlichen Mittel“ gegen die Brüsseler Entscheidung ausschöpfen werde. Bereits zuvor hatte Regierungschef Morawiecki auf einer Pressekonferenz erklärt, dass ,,wir mit alle Entschiedenheit Widerspruch dagegen einlegen werden und nicht nur an den gesunden Menschenverstand appellieren“. Morawiecki will dazu Gespräche mit den Regierungschefs anderer EU-Länder führen. ,,Ich werde ihnen eine einfache Frage stellen. Verehrter Kollege aus diesem oder einem anderen Land, Würdest Du Dich damit einverstanden erklären, wenn eine Richterin des Obersten Gerichtshofes (gemeint ist die EuGH-Vizepräsidentin Rosario Silva de Lapuerta – d. Red.) Dich anweist, ein Tagebau oder ein Kraftwerk zu schließen, die Millionen Einwohnern dienen oder 5 Prozent des Stromversorgungssystems Deines Landes sichern?“
Neben den Streit um den Tagebau Turów, der Polen letztendlich in der Summe mehr als 110 Mio. Euro kostet, droht dem Land der Entzug von weiteren EU-Geldern. So hatte der Europäische Gerichtshof auch im vergangenen Herbst ein Zwangsgeld von täglich 1 Million Euro im Verfahren um die strittige Disziplinarkammer für Richter in Polen verhängt. Auch hier hat Warschau bisher keine Zahlung vorgenommen. Inzwischen sind hier bereits über 100 Mio. Euro aufgelaufen.

© Magda Szulc / infopol.PRESS

Tanken in Polen wird ab 1.Februar noch billiger

Ab 1. Februar wird in Polen die Mehrwertsteuer auf Benzin, Diesel und Lebensmittel gesenkt. Mit der Steuersenkung will die nationalkonservative PiS-Regierung die Gefahr einer in Polen überbordenden Inflation absenken. Das polnische Parlament (Sejm) hat dazu der Vorlage zugestimmt. Ohne Gegenstimmen! Finanz- und Wirtschaftsexperten warnen dagegen vor überzogenen Erwartungen. Die Steuersenkungen werden nur vorübergehend die Inflation dämpfen.

Das jetzt beschlossene Anti-Inflationsschild 2.0 sieht u.a. eine Senkung der Mehrwertsteuer für Benzin und Diesel von 23 Prozent auf 8 Prozent ab 1.Februar vor. Die Steuersenkung soll bis 31. Juli dieses Jahres gelten.
Bei einen gegenwärtigen Großhandelspreis  für Benzin Eurosuper 95 von 4,53 Złoty würde der Preis an der Tankstelle unter Berücksichtigung der Einzelhandels-Marge um rund 0,70 Złoty pro Liter, bei Diesel um 0,50 Zloty, fallen. Kostet Benzin (Eurosuper 95) gegenwärtig an den Tankstellen in der Grenzregion im Durchschnitt 5,81 Złoty/l (1,30 Euro) würde es ab 1.Februar nach Senkung der Mehrwertsteuer im Durchschnitt 4,89 Zloty/l plus Einzelhandels-Marge kosten. Das sind beim gegenwärtigen Wechselkurs umgerechnet rund 1,09 Euro. Vorausgesetzt man zahlt in polnischer Währung! Zahlt man in Euro, zahlt man zu, da in Euro-Preisangeboten in Polen immer eine zusätzliche Gebühr eingerechnet ist.
Die Preiskalkulation für Februar ist allerdings nur von theoretischer Natur.

Steuersenkung könnte schnell ,,verpuffen“

Von größerer Bedeutung als die Mehrwertsteuer-Senkung hat für die Tankstellenbetreiber die Entwicklung der Großhandelspreise in Folge der Preisnotierungen für Erdöl auf dem Weltmarkt. Der Rohölpreis (Brent) ist in den letzten Tagen auf über 85 Dollar gestiegen. Damit liegt er fast auf dem höchsten Preis-Niveau seit drei Jahren. Steigt er noch weiter, dann ist ab 1. Februar ein wesentlicher Teil der Mehrwertsteuersenkung bereits verpufft.
Für deutsche ,,Tanktouristen“ wird dies allerdings kaum eine Rolle spielen. In jedem Fall ist das Tanken in Polen billiger als an der einheimischen Tankstelle. Die Frage ist nur, welche Corona-Regelungen in zwei Wochen an der Grenze zu Polen gelten. Im Vergleich zu Deutschland hat Corona in Polen in den vergangenen Wochen  eine ehe nur untergeordnete Rolle gespielt. Dies könnte sich ändern. Gesundheitsminister Niedzielski hat jetzt davor gewarnt, dass im Zusammenhang mit Omnikron die Zahl der Corona-Infektionen auf bis zu 120 000 pro Tag steigen könnte.

Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel

Neben der Steuersenkung auf Benzin und Diesel wird ab 1.Februar auch die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von 5 Prozent auf 0 Prozent gesenkt. Dies betrifft u.a. Fleischwaren, Brot und andere Getreideprodukte sowie Obst und Gemüse.
Ebenfalls auf 0 wird die die Mehrwertsteuer auf Dünger, Pflanzenschutzmittel und andere Produkte für die Verbesserung der Bodenkultur gesenkt. Gegenwärtig beträgt hier der Steuersatz 8 Prozent. Hintergrund für die Steuersenkung ist die im vergangenen Jahr eingetretene Verteuerung der Düngemittel. Wegen dem starken Anstieg der Energiepreise (Erdgas) hatten europäische, wie auch polnische Düngemittel-Hersteller ihre Produktion be- bzw. eingeschränkt. In der Folge stiegen die Düngemittel-Preise stark an. Es wird erwartet, dass die Bauern in den nächsten Monaten die Preissteigerungen auf die Agrarprodukte und damit auf die Lebensmittel umschlagen.

Energie-Verteuerung für kleine Betriebe existenzgefährdend

Auch bei den Energieträgern soll nachgelegt werden. Die Mehrwertsteuer auf Gas soll von 8 Prozent auf 0 und Wärmeenergie von 8 auf 5 Prozent gesenkt werden. Im Fall von Strom soll der bereits auf 5 Prozent gesenkte Steuersatz auch nach dem 1.Februar beibehalten werden. Obgleich die Energie-Tarife für Privat-Haushalte von der staatlichen Energie-Aufsichtsbehörde URE auf Kosten der gewerblichen Wirtschaft reguliert werden, sind die Stromtarife für Privathaushalte seit Jahresbeginn im Durchschnitt um 24 Prozent gestiegen. Die Gaspreise haben sich für Privathaushalte um 54 Prozent verteuert. Gewerbliche Abnehmer sind dagegen mit noch drastischeren Preiserhöhungen konfrontiert. Besonders hart trifft es kleine Bäckerbetriebe. Nach Angaben der Wirtschaftskammer in Stettin (Szczecin) sind die Preiserhöhungen bereits für viele Betriebe existenzbedrohend. So berichten kleine Familien-Bäckereien, dass sie für ihre Stromlieferungen anstatt bisher 10 000 Zloty jetzt im Monat 30 000 Zloty bezahlen müssen. Bei der Umrechnung solcher Kosten auf die Preise der Backwaren haben sie keine Chance mehr, ihre Backwaren zu verkaufen.

Immobilienblase auf Kredit-Basis droht zu platzen

Seit Wochen ist die Inflations-Entwicklung das die öffentliche Diskussion beherrschende Thema. Mit 8,6 Prozent hatte Polen im Dezember einen der höchsten Inflationswerte in der EU. Seit dem letzten Jahresquartal des zurückliegenden Jahres hat die polnische Nationalbank NBP damit begonnen, die Leitzinsen anzuheben. Kredite verteuern sich damit. Nicht nur für die Unternehmen. Im vergangenen Jahr haben die Banken mit umgerechnet rund 20 Mrd. Euro eine Rekordsumme an Wohnungs-Krediten ausgegeben. Private Kreditnehmer, die noch zum Niedrig-Zinssatz Kredite für den Kauf einer Immobilie als Wertanlage oder zur Eigenverwendung aufgenommen haben, sehen sich plötzlich mit einer um umgerechnet 100 Euro höheren monatlichen Kreditrückzahlungsrate konfrontiert. Und das ist erst der Anfang! Die Finanzexperten halten eine weitere Erhöhung der Leitzinsen durch die Nationalbank innerhalb kürzester Zeit von gegenwärtig 2,5 Prozent auf mindestens 4 Prozent für notwendig, um die Inflation einzudämmen.
Ministerpräsident Morawiecki hat im Parlament versprochen, dass ein Vier-Personenhaushalt durch die Senkung bzw. Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel rund 53 Złoty im Monat spart. Bei den Kraftstoffen würde der Einsparungs-Effekt 48 Złoty im Monat (etwas über 10 Euro) betragen.
Kritik kommt dagegen aus der Wirtschafts- und Finanzwelt. Die Steuersenkungen hätten nur beschränkten Einfluss auf die Inflationsbekämpfung. Auf Grundlage ihrer Simulations-Modelle rechnen die Banken für den befristeten Zeitraum bis Juli mit einer Eindämmung der Inflation um bis zu 2 Prozent. Sobald die Steuersenkungen wegfallen, werde die Inflation dann aber sofort wieder steigen.

© André Jański / infopol.PRESS

Entscheidung gefallen: Polen baut erstes AKW an der Ostseeküste



Für den Bau des ersten polnischen Atomkraftwerks ist jetzt als bevorzugter Standort die Doppel-Ortschaft Lubiatowo-Kopalino an der Ostsee-Küste ausgewählt worden. Dies teilte der Investor, die staatliche Gesellschaft Polnische Atomkraftwerke PEJ (Polskie Elektrownie Jądrowe) mit. Im ersten Quartal sollen dazu der obersten Umweltbehörde die Unterlagen für die Umweltverträglichkeits-Prüfung vorgelegt werden.
Nach langjährigen Untersuchungen von 92 potenziellen Standorten habe sich das rund 80 Kilometer östlich von Słupsk gelegene Lubiatowo-Kopalino als der am bestens geeignete Standort erwiesen, der ,,alle an einen solchen Objekt-Typ gestellten Umwelt-Anforderungen erfüllt und der für die Anwohner sicher ist“, heißt es in der Mitteilung der PEJ.
Lubiatowo-Kopalino liegt direkt am Meer. Nur der Küstenwald trennt die beiden kleinen Ortschaften vom weitläufigen Sandstrand. Die Orte gelten als Geheimtipp unter polnischen Touristen, die abseits von der üblichen Rummelplatz-Atmosphäre an polnischen Ostsee-Badeorten einen Sommerurlaub in einer unberührten Natur schätzen.

Ruine des in den 80er Jahren unvollendeten Atomkraftwerks Żarnowiec. Fotos: PL-Agentur

Als zweiter Standort wurde das 30 Kilometer südlich von Lubiatowo-Kopalino entfernte Kartoszyno am malerischen Żarnowiec-See ausgewählt. Dort liegen noch die Bauwerks-Ruinen des AkW, dessen Bau in den 80er Jahren nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl eingestellt wurde.
Polens Umwelt- und Klimaministerin Anna Moskwa kommentierte die Standort-Entscheidung der PEJ mit den Worten: ,,Polen braucht die Kernenergie. Der Bau des ersten Kraftwerks dieses Typs ist von wesentlicher Bedeutung für das gesamte Land, sowohl aus Sicht der Energie-Transformation wie auch der Energie-Sicherheit“.
Laut den Absichtserklärungen der Regierung erfolgt der Kohle-Ausstieg schrittweise bis 2049. Bis dahin soll Kohle als Energie-Quelle neben der Offshore-Windenergie durch Kernkraft ersetzt werden. Im Regierungsprogramm für die polnische Energie-Politik bis zum Jahre 2040 ist dazu die Inbetriebnahme des ersten Atom-Energieblocks mit einer Leistung von 1 bis 1,6 GW im Jahre 2033 vorgesehen. In den Jahren danach sollen schrittweise im Abstand von zwei bis drei Jahren weitere fünf Atom-Energieblöcke dazu kommen und die Gesamtleistung auf bis zu 9 GW ausgebaut werden. Soweit die Theorie. Wer die Atomkraftwerke bauen und wie viel sie kosten werden, sind weiterhin Fragen, die auf eine konkrete Antwort warten.
Lange Zeit galten die Amerikaner als Favoriten für den Bau des ersten polnischen Atomkraftwerkes, nachdem Warschau im vergangenen Jahr mit der Trump-Regierung einen 30-Jahre-Vertrag zur Entwicklung des polnischen Atomenergie-Programms unterzeichnet hatte, der eine Finanzierung einschloss. Noch im Juni dieses Jahres hatte der US-Konzern Westinghouse eine finanzielle Zusage von der amerikanischen Handels- und Entwicklungsagentur USTDA für die Aufnahme von Ingenieur- und Projektierungsarbeiten für den Bau von Atomkraftwerken in Polen erhalten. Inzwischen sind die polnisch-amerikanischen Beziehungen jedoch deutlich abgekühlt. Das eben vom polnischen Parlament als Lex TVN bezeichnete Mediengesetz, das die Pressefreiheit und die Existenz des Fernseh-Senders TVN gefährdet, der bislang größten amerikanischen Investition in Polen (Medienkonzern Discovery, könnte allerdings Befürchtungen der Amerikaner zur Investitions-Sicherheit und politischen Zuverlässigkeit Polens als Bündnispartner noch verstärken.

Französisches Angebot für EPR-Druckwasserreaktoren

In diese Lücke ist die französische Atom-Lobby gestoßen. Im Herbst hat der französische Energiekonzern EDF der polnischen Regierung ein Angebot für den Bau von vier bis sechs Kern-Reaktoren mit einer Leistung von 6,6 bis 9,9 GW für 150 bis 220 Mrd. Złoty (rund 33 Mrd. bis 50 Mrd. Euro) unterbreitet. Dabei sichert die EDF auch eine finanzielle Unterstützung durch die französischen Regierung zu, die sich auf bis zu 50 Prozent der Kosten der gesamten Investition belaufen soll. Das französische Angebot stützt sich auf die EPR-Druckwasserreaktoren. Deren Bau in Großbritannien, Finnland und am Heimat-Standort Flamanville ist allerdings von langjährigen Verzögerungen und einer sich daraus ergebenden Kosten-Explosion verbunden.

15 000 Euro-Scheck aus Südkorea als vertrauensbildende Maßnahme. Foto: Gmina Choczewo

Ein mindestens 30 Prozent günstigeres Angebot als das französische verspricht der südkoreanische Konzern KHNP mit seinem Atom-Reaktor APR1400. Auch hier wird eine finanzielle Unterstützung durch die Regierung in Seoul zugesagt. KHNP will dazu Anfang des neuen Jahres der polnischen Regierung ein detailliertes Angebot unterbreiten. Die Koreaner haben bereits vorgefühlt und im Rahmen einer offensiven Lobby-Arbeit vor Ort nach der Devise ,,Mit Speck fängt man Mäuse“ der Gemeinde Choczewo, zu der Lubiatowo-Kopalino gehört, einen Scheck von 15 000 Euro überreicht.
Nicht nur die staatliche Energiewirtschaft, auch große polnische Privat-Unternehmen planen den Aufbau von kleinen Atom-Reaktoren. So hat u.a. die Synthos-Unternehmensgruppe, die vom polnischen Milliardär Michał Sołowow kontrolliert wird. Synthos hatte bereits vor zwei Jahren mit GE Hitachi Nuclear Energy eine Vereinbarung zur Anwendung der Technologie von kleinen Atomreaktoren vom Typ BWRX-300 getroffen. In einem Folge-Vertrag mit dem Energiekonzern OPG und den Produzenten von Zulieferkomponenten für diesen Reaktor-Typ BWXT Canada hat das Unternehmen Synthos Green Energy die Bestellung von mindestens 10 kleinen Atom-Reaktoren vom Typ BWRX-300 angekündigt. Im Unterschied zu großen Kernkraftwerken verspricht man sich von den kleinen Atom-Reaktoren mit einer Leistung von 300 MW eine kürzere Bauzeit bei geringeren Kosten.

Auch der staatlich kontrollierte Mineralölkonzern PKN Orlen verbindet mit den kleinen Atomreaktoren große Erwartungen. Er hat jetzt mit Synthos Green Energy einen Vertrag zur Gründung eines joint ventures für die Kommerzialisierung der Technologie von kleinen Atom-Reaktoren unterzeichnet. Der Reaktortyp ist zwar in Europa noch nicht zugelassen. Dessen ungeachtet hat der von PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński protegierte Vorstandschef von PKN Orlen, Daniel Obajtek, bereits vollmundig angekündigt, dass man mit der Technologie der kleinen Atomreaktoren BWRX-300 auch außerhalb Polens gehen wird. Konkrete Angaben machte er dazu nicht, verwies jedoch auf Länder, in denen Orlen bereits geschäftlich tätig ist. Dazu gehört auch Deutschland, wo PKN Orlen ein Netz von über 600 Tankstellen betreibt.

© André Jański / infopol.PRESS

Polen erwartet mit Gerüchten angeheizten Ansturm von Migranten

 

Foto: Podlaska Policja / Twitter

Die Spannungen an der polnischen Grenze zu Belarus nehmen weiter zu. Polen erwartet heute einen inszenierten Ansturm von Tausenden Migranten auf die polnische Grenze. Auslöser dafür sollen nach Angaben polnischer Sicherheitsbehörden gezielt gestreute Gerüchte sein, dass die in den bitterkalten Wäldern der Grenzregion schmachtenden Migranten von Deutschland aufgenommen werden.

Das polnische Innenministerium hatte bereits im elektronisches RCB-Warnsystem ein Alert über die Mobilfunk-Kanäle an die im Grenzgebiet feststeckenden Migranten herausgegeben. Neben arabischer, englischer und polnische Sprache auch in deutsch. Darin werden die Migranten gewarnt, den Gerüchten zu glauben, dass sie am 15. November in einer organisierten Aktion von Bussen aus Deutschland an der Grenze abgeholt und von Polen durchgelassen werden. Dies sei eine totale Lüge und Unsinn! ,,Polen wird seine Grenze zu Weißrussland weiterhin schützen. Wer solche Gerüchte verbreitet, will die Migranten dazu bewegen, die Grenze zu stürmen, was zu gefährlichen Entwicklungen führen kann“
Ist es nur ein Zufall, dass zeitgleich mit der Warnmeldung des polnischen Innenministeriums sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in der ,,Bild am Sonntag“ gegen eine Aufnahme der Migranten in Deutschland ausspricht? ,,Wir dürfen diese Migranten weder in der EU noch in Deutschland aufnehmen“, sagte Kretschmer. Weiß Kretschmer mehr als in der Öffentlichkeit bekannt? Oder war es nur ein Kommentar auf die Aussagen von Russlands Präsidenten Wladimir Putin?

Vermittlung von Deutschland

Putin hatte nach den Telefonanrufen von der noch amtierenden deutschen Regierungschefin Angela Merkel in der Öffentlichkeit Vorwürfe aus den Westen zurückgewiesen, die Russland mit der Situation an der Grenze zu Polen in Verbindung bringen. In einem Fernseh-Interview am Wochenende erklärte Putin, es seien die westlichen Länder, ,,die an dieser Krise schuld haben“. Anspielend auf Merkels Politik in der Flüchtlingskrise 2015 sagte Putin weiter ,,sie selbst haben die Bedingungen geschaffen, dass zu ihnen Tausenden, Hunderttausende Menschen kommen“. Gleichzeitig äußerte Putin die Erwartung, dass Deutschland und die EU mit dem belarussischen Machthaber Lukaschenko ins Gespräch kommen.
Der EU-Außenbeauftragter Josep Borrell hat dieses Wochenende bereits vorgefühlt. In einem Telefon-Gespräch mit dem belarussischen Außenminister versicherten sich beide Seiten, die Kommunikationskanäle offen zuhalten. Polens Diplomatie mit ihrer seit Jahren bekannten und forcierten Russland-Phobie ist dabei außen vor.

video Podlaska Policja

Polen und die EU werfen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, in organisierter Form Menschen aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um auf diese Weise Vergeltung für Brüsseler Sanktionsbeschlüsse zu üben.
Die von der nationalkonservativen PiS-Partei geführte Regierung hat die harte kompromisslose Abwehr der Migranten durch die massiv aufgefahrenen polnischen Sicherheitskräfte an der ostpolnischen Grenze vordergründig in den innenpolitischen Auseinandersetzungen mit der Opposition als Verteidigung des polnischen Vaterlands und des Christentums instrumentalisiert. Dabei ist die Situation an der polnischen Ostgrenze nicht mit den Dimensionen der Flüchtlingskrise von 2015 im Süden Europas vergleichbar. Die Angaben der polnischen Behörden zur Zahl der Menschen, die sich im Grenzgebiet zu Polen aufhalten sind widersprüchlich. Sie reichen von 2500 bis 15 000 Migranten. Überprüfbar sind sie nicht, da Polen bislang sowohl der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex, die nur 120 Kilometer weiter in einer der teuersten Büro-Immobilien Warschaus residiert, als auch humanitären Hilfsorganisationen sowie den Medien den Zugang zur Sperrzone an der Grenze verweigert.

Legalisierung von Push-backs

Push-backs, also die gewaltsame Zurückdrängung der Migranten durch die polnischen Sicherheitsbehörden sind da an der Tagesordnung. Mit stillschweigender Zustimmung durch die EU-Instanzen in Brüssel. Deren Doppel-Moral zeigt sich auch darin, dass sie einerseits begründeter Weise Warschau seit Jahren ein Verletzung rechtsstaatlicher Grundlagen vorhält, anderseits aber die Verordnung des polnischen Innenministerium und das abgeänderte Ausländer-Gesetz, das die nationalkonservativen Regierung im Oktober durch das Parlament gedrückt hat, mit Bedacht übersieht. In dem Gesetz werden Push-Backs ohne die Möglichkeit des Zugangs zum Asyl legalisiert. Dies ist nicht nur nach der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch nach EU-Recht verboten.
Die polnische Regierung hat ihr hartes Vorgehen bisher damit verteidigt, dass es sich bei den an vom Lukaschenko-Regime an die polnische Grenze gedrängten Menschen nicht um Flüchtlinge, sondern um Migranten handele. Anfangs mit der Kritik an den polnischen Grenzschützern über deren Kaltherzigkeit gegenüber dem Elend der an der Grenze abgewiesenen Menschen und den Tränen der Frauen und Kinder konfrontiert, sieht sich die PiS-Regierung jetzt von den vielfach kolportierten Bildern und Videos mit den von den belarussischen Behörden angetriebenen Männern bei ihren Versuchen, die polnischen Grenzschutzanlagen zu zerstören, in ihrem harten Vorgehen bestätigt. Dies hat der in den vergangenen Monaten schwächelnden PiS-Partei zwar wieder eine deutliche Oberhand in den Meinungs- und Wählerumfragen gegeben. Es ändert aber nichts daran, dass die polnische Regierung zunehmend die Kontrolle über die Situation in der polnischen Grenzregion verliert. Und das nicht nur wegen der hohen Zahl der von der deutschen Bundespolizei aufgegriffenen illegalen Migranten, die über die belarussische Route gekommen sind. Bereits mehr als 6000.

Wandel vom Subjekt zum Objekt eines Ost-West-Machtspiels

Die Migrationskrise an der polnischen Grenze ist zum Bestandteil des Machtspiels zwischen Ost und West geworden, in dem Polen nur noch die Rolle eines Objekts zukommt.
Dies hat auch die Drohung des belarussischen Diktators Lukaschenko nach der Ankündigung von verschärften EU-Sanktionen deutlich gemacht, dem Westen den Gashahn zuzudrehen. Die Drohung bezieht sich auf die über belarussisches Territorium führende Jamal-Gasleitung, durch die russisches Erdgas nach Deutschland strömt. Eigentümer der Gasleitung ist die russische Gazprom. Der russische Staatspräsident Putin hat zwar offiziell Belarus vor einem solchen Schritt gewarnt, der einen Vertragsbruch des von Russland abhängigen Landes darstellt. In Warschau hegt man jedoch keinen Zweifel, dass Lukaschenko die Drohung nicht ohne Absprache mit Moskau getroffen habe und Russland jetzt die wohlkalkulierte Drohung als Druckmittel gegenüber der EU nutzt, für die fertiggestellte Ostsee-Pipeline Nordstream 2 endlich den Gashahn zu öffnen.

,,Von Feinden umringt“

Auf die Krise an der Grenze hat der die Regierungspolitik diktierende PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczyński mit der Stärkung seiner Doktrin der Selbstisolation reagiert. In zwei Ansprachen zum polnischen Unabhängigkeitstag am 11. November betonte er, dass Polen nicht nur aus dem Osten bedroht wird, sondern wir ,,auch große Probleme im Westen haben“. Es ist die Wiederbelebung der alten Theorie von den ,,zwei Feinden“ aus der Vorkriegszeit, die Polen umstellt haben. Abgesehen von den absurden Vergleichen des Lukaschenko-Regimes und Putin mit der Europäischen Union, gab Kaczyński auch seiner Überzeugung Ausdruck, dass in Polen ,,Agenten“ zugunsten von fremden Interessen wirken, der Deutschen, der Europäischen Union oder Putins Russlands. Namen nannte Kaczyński nicht. Gemeint ist aber Donald Tusk und die Opposition. Entsprechenden Widerhall fanden Kaczyńskis Vorgaben bei dem vom rechtsradikalen Lager organisierten Unabhängigkeits-Marsch in Warschau, der unter Schirmherrschaft der Regierung stand und an dem über Hunderttausend Menschen teilnahmen. Es wurden Bilder von Tusk, EU-Fahnen und deutsche Flaggen öffentlich verbrannt. Die Worte von Kaczyńskis erklären auch, weshalb die PiS-Partei und ihre Regierung keine Frontex-Grenzagentur und die Deutschen bei der Vermittlung mit Putin oder Lukaschenko haben will.

Absurd: In Polen Verbot – in Belarus Zulassung internationaler Medien

Sich selbst in die Defensive gebracht hat sich die polnische Regierung, die die Desinformations-Kampagnen der belarussischen und russischen Dienste beklagt, auch mit ihrer Abschottung des Grenzgebiets vor den Medien. Seit dem vergangenen Wochenende werden weltweit die Medien von eigenen, unabhängigen Berichten der großen Nachrichten-Sender aus der Grenzregion gespeist. Nicht von der polnischen Seite, sondern von Belarus aus, denn Lukaschenko hat CNN, Reuters, die BBC zugelassen. So berichtet Mathew Chance von CNN am Wochenende aus einem Migranten-Lager an der Grenze mit 2000 Migranten, in das immer mehr Migranten drängen. Man sieht in den CNN-Aufnahmen eine vom belarussischen Militär aufgestellte Versorgungs-Station mit Zelten und Proviant-Versorgung. Hinter dem Stacheldraht-Zaun dagegen das von polnischen Grenzschützern aufgestellte Kordon. Die Bilder von CNN verdeutlichen das, was auch polnische Grenzschutz-Behörden suggerieren. An den Grenze zu Polen laufen Vorbereitungen für einen großen Migranten-Ansturm, der vom Lukaschenko-Regime als Reaktion auf die heute von den EU-Außenministern zu erwartenden Beschlüsse für weitere Sanktionen gegen Belarus organisiert wird.
Auf die Fragen des CNN-Korrespondenten an die kurdischen Camp-Bewohner, ob sie überzeugt seien, nach Deutschland zu gelangen, antworten diese: ,,Ja, wir wollen alle nur nach Deutschland. Wir wollen nicht in Polen bleiben“.

© André Jański / infopol.PRESS

Corona-Impfstationen auf Friedhöfen eingerichtet

Symbolbild Foto: PL-Agentur

Eine Impfung gegen Covid-19 auf dem Weg zum Grab? Kein Scherz! Am Haupteingang von Polens größten Friedhof, den Zentralfriedhof von Stettin (Szczecin), wurde jetzt ein Impf-Stützpunkt eingerichtet. Friedhofs-Besucher können sich dort gegen Corona impfen lassen. Das Gleiche auch in Breslau (Wroclaw).

In diesen Tagen, da Menschen sterben, weil sie nicht geimpft sind, kann die Impfung am Friedhof eine Reflexion auf die Zerbrechlichkeit des Lebens sein, was die Skeptiker zu einer Impfung bewegen könnte, meinen die Initiatoren der ungewöhnlichen Impfstandorte. Die Impf-Stützpunkte sind allerdings nur die nächsten Tage bis zum 1.November geöffnet. An dem Tag herrscht dann in ganz Polen wieder Ausnahmezustand. Am 1.November ist der katholische Feiertag Allerheiligen, an dem man traditionell in Polen der Verstorbenen gedenkt. Ganz Polen kommt dann an den Gräbern zusammen.

Allerheiligen ist aber nicht nur ein Tag der Andacht. Riesengroße Menschentrauben drängen sich dann über die Friedhofs-Wege. Auf manchen Friedhöfen, insbesondere in der Kleinstadt-Provinz, ist der Gräberbesuch ein regelrechtes Schaulaufen. Sehen und gesehen werden, heißt da die Devise. Da sieht man in Festtagskleidung herausgeputzte Damen, junge Frauen im heiratsfähigen Alter, die in hochhakigen Pumps und gewagter Marken-Kleidung die Blicke auf sich ziehen. Nebenher stapfend mit Würde, aber voller innerer Ungeduld auf die Feierlichkeit nach dem Gräberbesuch wartende Männer. Im Schlepptau quengelnde Kinder und Jugendliche, denen mehr der Sinn nach einer anstehenden Halloween-Party mit Freunden steht.
Auch den Ständen vor den Friedhöfen herrscht Menschen-Gedränge. Für die Händler ist es der wichtigste Tag im Jahr. Der Markt für Grableuchten hat in Polen einen Wert von rund 1 Milliarde Zloty, rund 200 Mio. Euro. Bis zu 70 Prozent ihres Jahres-Umsatzes machen die Verkäufer an und um den Allerheiligen. Vor und auf den Zufahrtstrassen zu den Friedhöfen kilometerlange Staus. Um den Blechlawinen Herr zu werden, wird zur Unterstützung der Polizei auch mancherorts Militär-Gendarmerie eingesetzt. Für die Polizei selbst ist der 1.November ein ,,Großkampftag“. In und um den 1.November gibt es die meisten Unfälle mit alkoholisierten Fahrern am Steuer.

Bereits 120 Fälle mit der neuen Corona-Mutante AY 4.2.

Ob die Erwartungen mit den Impfstützpunkten an den Friedhöfen in Verbindung mit den Massenpublikumsverkehr um den 1.November aufgehen, ist bislang noch offen. Der Zuspruch an den ersten Tagen ihrer Öffnung war bislang verhalten. In Polen hat die Zahl der Corona-Infektionen wie auch in anderen Ländern inzwischen drastisch zugenommen. Gegenwärtig beträgt die Zahl Corona-Fälle durchschnittlich bei 5000 pro Tag mit steigender Tendenz. Als entscheidend bewertet Gesundheitsminister Adam Niedzielski die Entwicklung in der letzten Oktober-Woche. ,,Wenn wir Ende Oktober mehr als 7000 neue Corona-Fälle pro Tag haben, dann muss man über schärfere Restriktionen nachdenken“, sagte Niedzielski. Einen erneuten Lockdown die Regierung allerdings aus.

Sorgen macht dem polnischen Gesundheitsministerium auch die Feststellung der noch relativ wenig bekannte Corona-Mutante AY 4.2. Während bei den bisherigen Corona-Varianten von der Infektion bis zum Auftreten der Symptome 7 bis 10 Tagen vergehen, verkürzt sich der zeitliche Verlauf bei der neuen Variante auf 4 bis 7 Tage. Die Patienten kommen einige Tage nach der Infektion in einen sehr schlimmen Zustand in die Intensivstationen der Krankenhäuser, sagte der Gesundheitsminister. Bisher habe man 120 Fälle der Corona-Mutante AY 4.2 in Polen festgestellt.
Bisher sind in Polen 19,6 Mio. Personen gegen Corona geimpft. Dies entspricht über 60 Prozent der Bevölkerung im Alter von über 18 Jahren.
Mit Beginn der letzten Oktober-Woche hat die benachbarte Tschechische Republik Polen neben Holland auf die Liste der Staaten mit hohem Epidemie-Risiko gesetzt.

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Polen baut Mauer an der Ostgrenze zu Belarus

Symbol-Foto: Mauer bei Ferres an der griechisch-türkischen Grenze – Twitter

Das polnische Parlament hat den Bau einer 5 Meter hohen Mauer an der Ostgrenze zur Belarus beschlossen. Eine deutliche Trennlinie durchzog auch die Abstimmung im Sejm. 276 Abgeordnete stimmte dafür, 176 dagegen.

In Regierungskreisen wird der Begriff ,,Mauer“ vermieden. Die Rede ist da von Sperre oder Blockade. Damit soll der Zugang von Flüchtlingen nach Polen wirkungsvoller verhindert werden. Das Bauwerk ersetzt das 2,50 Meter hohen Stacheldraht-Verhau, den Grenzschützer und Soldaten der polnischen Armee seit August an der Grenze zu Belarus nach Einführung des inzwischen verlängerten Ausnahmezustands in den ostpolnischen Grenzregionen errichtet haben. Außer der Mauer selbst soll noch ein System an Hochleistungs-Sensoren und Kameras installiert werden. Man wolle die internationalen Erfahrungen in diesem Bereich nutzen, erklärte ein Vertreter des polnischen Verteidigungsministeriums. Das Bauwerk solle ähnlich ausfallen wie die 5 Meter hohe Mauer an der griechisch-türkischen Grenze.

400 Mio. Euro Kosten

Die Kosten werden mit 1,65 Mrd. Złoty (rund 370 Mio. Euro) für den Mauerbau plus 115 Mio. Złoty für die technischen Installationen angegeben. Ob dafür auch Gelder aus Brüssel beantragt werden, ist bislang noch unklar. Die gesamte Grenze zu Belarus hat eine Länge von 418 Kilometern. Wird die Mauer auf dieser gesamten Länge gebaut, dürften die Kosten laut Experten-Schätzungen deutlich über 2 Mrd. Złoty liegen.
Die nationalkonservative Regierung in Warschau beschuldigt seit Monaten Machthaber Lukaschenko in Belarus einen hybriden Krieg in Reaktion auf verschärfte Sanktionen der EU zu führen. In organisierter Form schleust dazu das Regime Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Afghanistan und Afrika an die Grenze nach Polen. Tatsächlich ist seit August ein verstärkter Zustrom von Migranten eingetreten, den der polnische Grenzschutz und die Armee mit harter Hand begegnen.
Da es sich um eine EU-Außengrenze handelt, war das bislang von der EU gebilligt, die eine Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015 kategorisch ausschließen will. Allein schon aus logistischen Gründen ist allerdings der von Belarus organisierte verstärkte Zustrom von Migranten an der polnischen Grenze nicht mit den Dimensionen der Flüchtlingswellen von 2015 vergleichbar. Der umstrittene polnische Innenminister Kaminski (vor 2015 u.a. wegen Urkundenfälschung, Amtsmißbrauch verurteilt, nach dem Machtantritt der PiS vom Staatspräsidenten begnadigt) gibt die Zahl der versuchten illegalen Grenzübertritte mit 16 000 an.

Fehlende Transparenz an der Grenze

Inwieweit die Zahl zutreffen, ist nicht nachprüfbar. Mit der Einführung des Ausnahmezustands, der von einem Großteil der Opposition als überzogen (Einschränkung der Bürgerrechte) und Instrument der PiS-Partei zur Ablenkung von ihren innenpolitischen Problemen kritisiert wird, ist den Medien und den Hilfsorganisationen der Zugang zum Grenzgebiet untersagt. Selbst die Europäische Grenzschutzbehörde, die nur 120 Kilometer entfernt in einer der teuersten Büro-Immobilien von Warschau residiert, wurde bisher nicht für Kontrolltätigkeiten an der polnischen Ostgrenze zugelassen und das obwohl diese eine EU-Außengrenze ist.

Die fehlende Transparenz, aber auch Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Regierungs-Angaben sind umso mehr gegeben, da Kaminskis Innenministerium zur Diskreditierung und Kriminalisierung der Flüchtlinge für propagandistische Zwecke gefälschtes Videomaterial verwendet hat. Trotz Aufforderung des Europäischen Gerichtshofes verweigern die polnischen Grenzschützer Flüchtlingen vehement humanitäre Hilfe. Inzwischen sollen es bereits 5 Todesopfer an der Grenze gegeben haben. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, die sich beunruhigt von Berichten über die Behandlung von Flüchtlingskindern in den polnischen Grenzwäldern zeigte, hat inzwischen den Botschafter Polens einbestellt.

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Warschauer Urteil: Dem drohenden Polexit ein Stück näher



Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das dem polnischen Recht den Vorrang über EU-Recht einräumt, versetzt den jahrelangen Konflikt zwischen Brüssel und Warschau auf eine neue Eskalationsstufe. Dabei geht es nicht nur um die Rechtsstaatlichkeit. Das polnische Urteil berührt die Grundfeste der EU. Polnische Oppositionspolitiken bewerten das Urteil des Verfassungsgerichts als Einleitung des juristischen Polexits und Warnsignal, dass Polen in den Beziehungen zur EU am Scheideweg steht.

28 April, 13.Mai, 15.Juni, 15.Juli, 3.August, 31.August, 22.September, 30. September. Das waren die angesetzten und immer wieder verschobenen Termine, an denen das polnische Verfassungsgericht die Frage klären sollte, ob polnisches Recht über nationalen Recht steht. Warschau zögerte den grundlegenden Gerichtsbescheid in der Abwägung seiner Konsequenzen und Risiken im innenpolitischen wie im Kräftemessen mit Brüssel immer wieder hinaus. Mit dem jetzt ergangenen Urteil des politisch instrumentalisierten Verfassungsgerichts, das Wesensbestandteile des EU-Rechts für unvereinbar mit der polnischen Verfassung erklärt, hat die von der PiS-Partei geführte Koalitions-Regierung der EU die offene Kampfansage gemacht.
Schließlich ist das Urteil die Konsequenz aus den von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im Frühjahr in das Verfassungsgericht eingebrachten Antrag auf Überprüfung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. März 2021 auf seine Verfassungsmäßigkeit. In dem Urteil hatte der EuGH dem EU-Recht Vorrang gegenüber einzelnen Vorschriften im nationalen Recht gegeben, selbst dann, wenn es sich um Verfassungsrecht handelt. In dessen Konsequenz könnte der Europäische Gerichtshof gemäß seinem Urteil Polen dazu zwingen, Bestandteile der von der unter Führung der nationalkonservativen PiS-Partei eingeführten umstrittenen Justiz-Reform wieder aufzuheben. Die Abschaffung der unabhängigen Justiz, die Institutionalisierung der Disziplinierung der Richter und die Demontage des Verfassungsgerichts stehen seit Jahren im Blickpunkt der EU-Kommission und sind Kern von Vertragsverletzungsverfahren, die gegen Polen eröffnet wurden, und Klagen, die beim EUGH eingereicht wurden.

Gericht: Art. 1,4 und 18 des EU-Vertrags verfassungswidrig

Das polnische Verfassungsgericht hat nun in seiner Grundsatz-Entscheidung Artikel 1,4 und 18 des Vertrags über die Europäische Union für verfassungswidrig erklärt. ,,Der Versuch des Europäischen Gerichtshofs, sich in das polnische Justizwesen einzumischen, verstößt gegen… die Regel des Vorrangs der Verfassung und gegen die Regel, dass die Souveränität im Prozess der europäischen Integration bewahrt bleibt“, urteilte Polens oberstes Tribunal, dessen Unabhängigkeit Brüssel seit langem anzweifelt und dessen Zusammensetzung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für illegal erklärte. Von der polnischen Opposition und der juristischen Fachwelt werden deren Mitglieder als ,,Dublerzy“ bezeichnet, also als Doppelgänger oder der gezielten Kopie von Richtern, deren Urteile in allen wichtigen Verfahren nur noch im Sinne der Regierenden ausfielen.
Präsidentin des Verfassungsgerichts ist Julia Przyłębska, in unabhängigen Medien und von der Opposition als ,,Kaczyńskis Köchin“ tituliert, bezugnehmend auf private Treffen im engsten Führungskreis, bei denen der Chef der nationalkonservativen Partei deren Kochkünste lobte. ,,Die Organe der europäischen Union handeln außerhalb der Grenzen der Kompetenz, die ihnen die Republik Polen in den EU-Verträgen übertragen hat“, erklärte die oberste Richterin des Verfassungsgerichts. Sie führte in dem Verfahren an, dass ja auch Verfassungsgerichte anderer Länder bereits Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs in Frage gestellt hätten.

Urteil zur Legitimierung des polnischen -Rechtssystems

Tatsächlich hat es in der Vergangenheit auch Streitfälle in Tschechien, Dänemark, Frankreich oder Rumänien gegeben, wo es um den Vorrang von europäischen oder nationalen Recht ging. Zuletzt in Deutschland, wo das Bundesverfassungsgericht den Kauf von Anleihen durch die Europäische Zentralbank für illegitim erklärte und damit dem EuGH widersprach. In Reaktion darauf leitete Brüssel ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Allerdings – und das ist der große Unterschied– haben das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der anderen EU-Länder nie den grundsätzlichen Vorrang von EU-Recht infrage gestellt. Anders in Polen. Mit dem Urteil des politisch instrumentalisierten Verfassungsgericht wird nicht nur das im Widerspruch zum europäischen Rechtssystem stehende polnische Rechtssystem legitimiert, sondern auch die Grundlagen der EU in Frage gestellt, deren Einhaltung Polen 2004 beim Eintritt in die EU akzeptiert hatte.
Wie sehr das Urteil des Verfassungsgerichts ein politisches Urteil ist, zeigt sich auch in der Betonung von Art. 8 der polnischen Verfassung, dass polnisches Verfassungsrecht oberstes Recht der Republik Polen ist. Das Verfassungsgericht habe nur das bestätigt, was sich aus der Verfassung ergebe, nämlich das polnisches Verfassungsrecht anderen Rechtsquellen überlegen sei, erklärte Ministerpräsident Morawiecki. Dem stehen allerdings Art. 90 und 91. der gleichen polnischen Verfassung gegenüber, auf die das Verfassungsgericht überhaupt nicht eingegangen ist. Darin ist die Übertragung von Kompetenzen an internationale Organisationen geregelt. Abs.2 und 3 von Artikel 91 der polnischen Verfassung legen eindeutig fest, dass ein ratifizierter internationaler Vertrag in der Anwendung das Primat über polnischen Gesetzen hat, selbst dann, wenn sie diesem widersprechen. Und die Verträge mit der EU gehören zu der von der polnischen Verfassung festgelegten Kategorie von Verträgen.

Morawiecki in der Rolle von David Cameron

Politisch markiert das Urteil des Verfassungsgerichts bereits den juristischen Polexit, den Austritt Polens aus der europäischen Rechtsordnung. Das Auftreten von Regierungschef Morawiecki ist dabei mit dem vom damaligen britischen Regierungschef David Cameron 2015 beim Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU vergleichbar. Wie Cameron hat Morawiecki nur deshalb im Frühjahr das Verfassungsgericht zur Überprüfung des Primats des polnischen Rechts über das EU-Recht eingeschalten, um die Kritiker aus dem rechten Lager der Regierungskoalition um Justizminister Ziobro, seinen ärgsten Rivalen im Kampf um die Kaczyński-Nachfolge, zu Ruhe zu bringen, er sei kein ,,richtiger rechter Politiker“ und betreibe einen zu weichen Kurs gegenüber Brüssel, heißt es dazu in einem Kommentar der Zeitung Rzeczpospolita.
Morawiecki beeilte sich nach dem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts sofort öffentlich zu erklären, ,,Polens Platz ist und bleibt in der europäischen Völkerfamilie“. In den Augen der EU-Politiker dürfte er jetzt jedoch völlig seine Glaubwürdigkeit verspielt haben. Dies umso mehr, da es in der Regierungskoalition nicht nur die Hardliner um Justizminister Ziobro gibt, die die Anti-EU-Stimmungen anheizen und den Konflikt mit Brüssel eskalieren lassen. Dazu gehören Kaczyńskis engste Vertraute Marek Suski und der Fraktionschef Ryszard Terlecki mit Äußerungen wie dem ,,Brüsseler Okkupantentum“ und die Ankündigung von drastischen Lösungen, einschließlich des Polexits.
Das Warschauer Urteil wird entschiedene Konsequenzen in Brüssel nach sich ziehen müssen. Andernfalls zerlegt sich die Europäische Union selbst, wenn jedes EU-Land nach eigenem Gutdünken EU-Recht anwendet, auslegt oder ablehnt. Die Reaktionen aus Brüssel und von EU-Parlamentariern zeigen bereits an, wohin die Richtung gehen könnte. Die Rede ist von finanziellen Sanktionen wie die Einfrierung der von Polen beantragten Gelder aus dem Corona-Rettungsfonds. 24 Mrd. Euro an Zuwendungen und weitere 12 Mrd. Euro an Krediten stehen dabei zur Disposition. Auch die Anwendung des Rechtsstaat- Mechanismus des EU-Haushalts, der den Entzug von Fördergeldern ermöglicht, gegen Polen wäre eine Option, die die EU-Kommission anwenden könnte.

Regierungs-Propaganda: Wir kommen auch ohne EU-Gelder klar

In Warschau ist man darauf offensichtlich bereits vorbereitet. Zumindest propagandistisch. Es ist kein Zufall, dass Marek Suski und der Präsident der Polnischen Nationalbank NBP Adam Glapiński sich im Umfeld des Verfassungsgerichts-Urteil weit aus dem Fenster mit Erklärungen herausgebeugt haben, dass Polen auch ohne die EU-Mittel gut zurecht käme. So sagte Suski gegenüber dem Sender Polsat: ,,Wenn wir die Höhe der Gelder nehmen, die Polen in die EU einzahlt, und die Mittel, die wir von der Union bekommen, dann ist der Unterschied nicht sehr groß. Wir können uns also ohne die Mittel aus Brüssel selbst sehr gut behelfen“. In die gleiche PiS-Propaganda-Tonart stimmt auch Nationalbank-Präsident Glapiński auf dem Kongreß 590 ein: ,,Unser gesamtes Entwicklungsprogramm können wir auch ohne diese Mittel realisieren“.

Tausende protestierten in Warschau und anderen Großstädten gegen einen EU-Austritt Foto:strajkkobiet / Twitter

Diese Erklärungen korrespondieren mit einer Studie, die vor einigen Tagen von Vertretern der Solidarna Polska, Koalitionspartner der PiS-Partei in der Regierung vorgelegt wurde. Darin wird mit einer Betrachtung einzelner, aus dem gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang herausgerissenen Aspekten, die zudem mit Berechnungsfehlern gespickt sind, die Behauptung aufgestellt, dass Polen seit dem Beitritt 2004 zur EU insgesamt 535 Mrd. Złoty (rund 120 Mrd. Euro) finanzielle Verluste erlitten habe. Politische Beobachter werten den Bericht als ,,Polexit-Lüge”. In seiner Machart erinnert er an die seinerzeit von Nigel Farage geführte Kampagne Vote Leave zum Austritt Großbritanniens aus der EU.

Zwar bewerten laut Umfragen über 80 Prozent der polnischen Bevölkerung die Mitgliedschaft in der EU als positiv. Allerdings sind solche Umfragen, abhängig vom Auftraggeber und wegen ihrer Ungenauigkeit immer mit kritischen Abstand zu bewerten. Auch sind Zehntausende am Sonntagabend dem Aufruf des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk zu Protestaktionen in den polnischen Großstädten gegen einen Austritt Polens aus der EU gefolgt, was von der PiS-Parteiführung bestritten wird. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die durch das Urteil des Verfassungsgerichts ausgelöste Eskalations-Verschärfung des Konflikts mit Brüssel schnell eine Dynamik erreichen kann, die in ihrer Konsequenz genau in diese Richtung führt.

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Auflösung der Disziplinarkammer – Einlenken oder Salami-Taktik?

Die EU-Kommission hatte Polen ein Ultimatum bis zum 16. August gesetzt. Sollte das Land nicht bis dahin das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu der 2018 in Polen eingeführten Disziplinarkammer umsetzen, werden finanzielle Sanktionen beantragt. PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński hat jetzt darauf reagiert und die Auflösung der Disziplinarkammer zur Disziplinierung der Richter angekündigt. In ihrer jetzigen Form! Was wie ein Einlenken im jahrelangen Streit mit der EU um die umstrittene Justizreform in Polen aussieht, ist jedoch nichts anderes als ein taktisches Manöver zur Absicherung der EU-Milliarden. Kaczyńskis Partei benötigt diese Gelder zur Kofinanzierung ihres als ,,Polnischer Deal“ bezeichneten Programms, der der PiS den nächsten Wahlsieg sichern soll.

Die Disziplinarkammer war 2018 von der Koalitions-Regierung unter Führung der nationalkonservativen PiS-Partei als Teil einer umstrittenen Justizreform eingeführt worden. Durch die von ihr eingeleiteten Disziplinarverfahren konnte jeder Richter oder
Staatsanwalt bestraft oder entlassen werden. Die EU-Kommission befand in dem Dauer-Streit mit Warschau, dass mit der Kammer die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung untergraben wird. So waren die Mitglieder der Kammer mit Personen aus dem Umfeld von Justizminister Zbigniew Ziobro besetzt, der als Vorsitzender der Schwesterpartei Solidarna Polska und als Rechtsaußen in der Koalitionsregierung maßgeblich die Justizreform durchgesetzt hat.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte nun erst am 15. Juli geurteilt, dass die Disziplinarkammer gegen EU-Recht verstoße, weil sie „nicht alle Garantien für Unparteilichkeit und Unabhängigkeit“ biete. Ein Tag nach dem Urteil des EuGH erklärte Polens Oberstes Gericht die Vorgaben der europäischen Richter für verfassungswidrig.
Das nachfolgend von der EU-Kommission an Polen gestellte Ultimatum mit der Androhung von finanziellen Sanktionen hatte die PiS-Parteiführung nun in ein Dilemma versetzt. Die von der EU angedrohten finanziellen Sanktionen birgen das Risiko, dass die EU-Kommission aufgrund von Zweifeln an der rechtsstaatlichen Kontrolle die Verwendung die Polen zugesprochenen Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zeitweilig blockieren oder sogar beschränken könnte. Bisher hat die EU-Kommission die Gelder für die Wiederaufbau-Programme von 18 EU-Ländern bestätigt. Polen gehört bisher nicht dazu.

Auf großflächigen Plakaten verspricht die Regierung ,,770 Milliarden Złoty für Polen – für die polnischen Städte und Dörfer”. Die Geldsumme entspricht genau den Milliarden-Beträgen, die Polen beim EU-Gipfel im Dezember 2020 aus dem 5-Jahreshaushalt und den Corona-Wiederaufbauhilfen zugesprochen wurden. Auf den von der Regierung in Auftrag gegebenen Plakaten fehlt darauf allerdings ein eindeutiger Hinweis.. Stattdessen suggerieren die Plakate untergründig, es würde sich um eine Geschenk-Gabe der Regierung von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) an das Volk handeln. Foto: KPRM

Neben den 107,9 Mrd. Euro aus dem 5-Jahreshaushalt der EU geht es dabei für Polen um 28,6 Mrd. Euro aus den Instrumenten des Wieder-Aufbaufonds der EU und weiteren 34,2 Mrd. Euro bei Aufnahme von Darlehen. Die PiS-Partei benötigt diese Gelder zur Kofinanzierung ihres im Mai als ,,Polnischer Deal“ beschlossenen Regierungs-Programms, das für Kaczyński die existenzielle Grundlage für das Fortbestehen der angeschlagenen Regierungskoalition und die Sicherung von künftigen Wahlsiegen darstellt.

Offiziell ist das Programm ein Plan zur wirtschaftlichen Erholung nach Corona. Tatsächlich ist es jedoch ein mit ideologischen Vorgaben gespicktes soziales Umverteilungs-Projekt mit sozialen Wohltaten a la Stimmenkauf-Projekt 2.0, das die bisherige Sozialpolitik der PiS bei weiterer Belastungen der öffentlichen Finanzen toppt.
Bei den vielen harten Worten wegen der sogenannten Justizreform in Richtung EU scheint PiS-Parteichef Kaczyński nun eine Lösung gefunden zu haben, wie man aus dem Dilemma herauskommt, ohne das Gesicht zu verlieren. Zeitlich genau abgestimmt, ließ er von der polnischen Nachrichtenagentur PAP ein Gespräch mit ihm veröffentlichen, in dem er die Auflösung der Disziplinarkammer ankündigte. Dabei liegt die Betonung der Ankündigung allerdings auf die Formulierung ,,die Auflösung der Disziplinarkammer in der Gestalt, wie sie gegenwärtig funktioniert“. Man habe sowieso schon lange von dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes seit Monaten eine Reform des Disziplinarsystems geplant, da die Kammer nicht gut ihre Aufgaben erfüllt habe, so Kaczyński. Erste Änderungsvorschläge zu einer erneuten Justizreform werden im September vorgelegt.
Angesprochen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes betonte Kaczyński: ,,Ich erkenne solche Urteile nicht an, weil sie entschieden den EU-Grundlagenvertrag überschreiten“. Kaczyński benutzte dabei aus der Para-Psychologie den Begriff der ,,Fernwahrnehmung“, der den Urteilen des EuGH zugrunde liege. Unzweifelhaft sei jedoch der Gegenstand des Streites mit der EU, der Disziplinarkammer.

Ungarisches Vorbild steht Pate

Mit seiner Ankündigung zur Auflösung der Kammer in ihrer jetzigen Form, würde jetzt jedoch dieses Streitthema verschwinden. Kaczyński ließ allerdings auch durchblicken, dass im Zuge der geplanten Änderungen im Justizsystem anstelle der Kammer andere Instrumente der Disziplinierung der Richter treten könnten. Damit scheint er offensichtlich auf die bewährte ungarische Salami-Taktik seines Verbündeten Viktor Orban zurückzugreifen, mit dem er sich erst kürzlich in Warschau zu vertrauten Konsultationen getroffen hat: Der EU ein Einlenken mit der Auflösung der Disziplinarkammer signalisieren, um die Auszahlung der EU-Gelder in voller Höhe freizubekommen und gleichzeitig auf Zeit spielen. Schließlich müssten die vage für September – wahrscheinlich viel später -angekündigten ersten Änderungen der Gesetzgebung zum Justiz-Apparat erst einmal wieder von der EU-Kommission begutachtet werden. Das entsprechend der EU-Ordnung möglichweise vor dem Europäischen Gerichtshofs eingeleitete Verfahren würde sich dann wieder wie im Fall der Disziplinarkammer mindestens über zwei Jahre hinziehen. In dem Zeitraum hätte sich Polen dann schon alle dem Land zustehenden Milliarden-Beträge gesichert.

Koalitionspartner droht mit Austritt aus der Regierung

Doch kaum scheint das EU-Ultimatum mit dem vorgegebenen Einlenken abgewehrt, da droht Polens mächtigsten Mann vier Stunden nach Abgabe seiner Erklärung schon das nächste Ultimatum. Diesmal aus dem eigenen Lager. Der Vorstand der Partei ,,Porozumienie“ (Verständigung) als kleiner Koalitionspartner der PiS-Partei droht mit den Austritt aus der Regierungskoalition der ,,Vereinigten Rechten“, wenn die PiS-Partei nicht auf deren Forderungen eingeht. Die innerhalb der Regierungskoalition als gemäßigt geltende Koalitionspartei will von Kaczyński, dass u.a. die im Programm ,,Polnischer Deal“ vorgesehenen steuerlichen Belastungen und Abgaben für den besser verdienenden Mittelstand zurückgenommen werden. Eine weitere wesentliche Forderung in dem Ultimatum ist die Rücknahme der Attacken auf den privaten Fernsehsender TVN, den die PiS seit Jahren versucht unter ihre Kontrolle zu bekommen. Der Fernsehsender ist mit seiner unabhängigen kritischen Berichterstattung, die auch Oppositionspolitikern Platz einräumt, ein Dorn im Auge der PiS-Führung und insbesondere ihres Parteichefs Kaczyński. Die PiS-Partei hatte einen Gesetzentwurf zur Änderung des Medien-Gesetzes eingereicht, der Polens Rundfunkbehörde nur noch die Erteilung von Sende-Lizenzen an Sender erlaubt, die sich im Besitz von polnischen Eigentümern oder von Eigentümern mit Sitz im europäischen Wirtschaftsraum EWR befinden. Dies trifft den Sender TVN, der sich im Besitz des US-Medienriesen Discovery befindet und sich seit über einem Jahr ergebnislos um eine Verlängerung seiner im September auslaufenden Lizenz bemüht.
Für viele politische Beobachter ist das Ultimatum der kleinen Koalitionspartei bereits der Anfang vom Ende der gegenwärtigen Regierungskoalition. Ohne die Parlamentarier der ,,Porozumienie“ wäre die PiS nicht mehr in der Lage weiter zu regieren.

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Ferienwohnungen an der Ostsee – Kaufpreise im Höhenflug

Foto: PL-Agentur

Die Preis-Entwicklung beim Kauf von Ferienwohnungen und Appartements an der polnischen Ostseeküste hat auch in der Corona-Krise keine Pause gemacht und neue Rekordhöhen erreicht.
Nach Angaben des auf die Preisentwicklung spezialisierten Immobilien-Consulters Cenatorium wurden im vergangenen Jahr für den Kauf von Ferienwohnungen an der polnischen Ostseeküste abhängig von der Lage im Durchschnitt zwischen 8 900 bis 11 735 Złoty pro Quadratmeter (1970 bis 2600 Euro) bezahlt. Der höchste Verkaufspreis für ein Appartement mit 56 700 Złoty pro Quadratmeter (rund 12 600 Euro) wurde in Jurata notiert. Das Strandbad liegt auf der Halbinsel Hel, die in der Wahrnehmung des polnischen Tourismus-Gewerbes einen hohen Prestige-Wert hat. Bereits im Jahr zuvor wurden hier für eine 62 Quadratmeter große Ferienwohnung mit Blick auf die Danziger Bucht 3,5 Mio. Złoty gezahlt.
Der etwas abseits der üblichen Rummel- und Basar-Atmosphäre polnischer Ostseebäder gelegene Ort gilt als besonders nobel und ist auf ein gehobeneres Klientel ausgerichtet. Einst war die Halbinsel Hel nur von kleinen kaschubischen Fischerdörfern besiedelt. In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts erfolgte dann dort der touristische Aufschwung, als in Jurata Villen und mondäne Hotels mit Tennisplätzen und Spielhallen gebaut wurden, die auf die wohlhabenden Schichten aus Warschau und bekannte Persönlichkeiten aus Politik und dem Kulturleben ausgerichtet waren. Von diesem Image lebt noch heute der Ort, dessen Prestige-Wert auch noch dadurch verstärkt wird, dass der polnische Staatspräsident hier seine Sommer-Residenz hat.
Ähnliche Rekordpreise wie in Jurata hat Cenatorium auch in dem rund 50 Kilometer entfernten Sopot registriert. Das inmitten der Dreistadt (Gdynia-Sopot-Danzig) gelegene Seebad hat noch weitgehend seinen mondänen Charme bewahrt. Für den Kauf von Ferienwohnungen im Umfeld des zur Mole führenden Monciuk-Boulevards wurden als Rekord-Wert 51 000 Złoty pro m² notiert. Allerdings sind dies absolute Rekordwerte, die durch die Lage und die Ausstattung geprägt sind. Jedoch sind auch die Durchschnitts-Preise für den Kauf von Ferienwohnungen auch seit Beginn der Corona-Krise im vergangenen Jahr weiter um 16 Prozent gestiegen. Dieses Wachstum ist doppelt so hoch wie der Anstieg der Preise für Eigentumswohnungen in den polnischen Großstädten (7,4 Prozent).

Größte Preis-Unterschiede in Kołobrzeg

Das wichtigste Kriterium, was die Preis-Höhe beeinflusst, ist die Lage der Ferienwohnung oder des Appartements am Meer. Für Standorte in der Entfernung von bis zu 500 Metern zum Meer notierte Cenatorium einen durchschnittlichen Verkaufspreis von 11 735 Złoty. Bei einer Entfernung von mehr als 500 Metern bis 1500 Metern zum Meer lag der Durchschnittspreis mit 8 900 Złoty bereits deutlich niedriger.
Die größten Preisunterschiede treten dabei in den wegen seiner Sole-Quellen besonders auch bei deutschen Senioren beliebten Kołobrzeg (Kolberg) auf. Dort muss man für den Kauf von Ferienwohnungen, die am Meer liegen, im Durchschnitt bis zu 60 Prozent mehr bezahlen als für Immobilien, die mehr als 500 Meter davon entfernt sind. Der geringste Unterschied trat in Swinemünde (Świnoujście ) auf der Insel Usedom auf. Ohnehin liegen die Durchschnittspreise in Swinemünde mit 8000 bis 8300 Złoty pro m² (1770 bis 1840 Euro) am unteren Preis-Level beim Kauf von Ferienwohnungen an der gesamten polnischen Ostsee-Küste. Dies mag daran liegen, dass sich das Interesse der polnischen Inlandstouristen mehr auf die Ostseebäder zwischen Ustronie Morskie und Władysławowo fokussiert als auf das westlich entferntest gelegene Swinemünde mit seiner gegenwärtig noch umständlichen Anfahrt über die Autofähre mit langen Wartezeiten. Auch das weitaus größere Angebot der Immobilien-Entwickler und der intensivere Wettbewerb im Umfeld der deutschen Kaiserbäder dürften dabei eine Rolle spielen.

Einkauf in Condohotels im Trend

Das wachsende Interesse an privaten Investitionen in die Ostseebäder führen Immobilien-Experten auf den gestiegenen Wohlstand des sich herausbildenden polnischen Mittelstands und dem Interesse an sicheren Kapital-Anlagen bei anhaltenden Niedrigzinsen zurück. Ferienwohnungen werden sowohl für den Eigennutz gekauft wie sie auch als Investition betrachtet werden. Deutlich zugenommen hat dabei das Interesse an sogenannte Condohotels, also der Kauf von Wohnungen, Studios und Appartements in Immobilien, die als Hotel geführt werden. In den zumeist hochwertigen Anlagen müssen sich die Käufer nicht selbst um Vermietung, Service und Reinigung kümmern, aber auch den Gewinn teilen.

In diesem Segment treten auch verstärkt Ausländer, insbesondere Deutsche, als Kauf-Interessenten auf. Das Interesse richtet sich dabei besonders auf den Ostsee-Kurort Kołobrzeg. Zu den größten Entwicklungsprojekten im Premium-Segment gehört dort das unter der Marke Crown Plaza projektierte 5-Sterne-Hotel ,,Baltic Wave“, in dem Appartements in der Größenordnung von 29 bis 130 m² zum Kauf angeboten werden oder das ,,Solny Ressort“. In dem hochmodernen Komplex mit Spa- und Beautyzone, der integraler Bestandteil des in die in die Jahre gekommenen ,,Solny-Hotel“ werden soll, werden 150 Appartements zum Verkauf angeboten.

Geplante Beton-Türme am Strand von Międzyzdroje. Projektfoto: Siemiaszko

In das Condohotel-Modell steigen immer mehr Immobilienentwickler auch in anderen Küstenorten ein. Das umstrittenste Projekt sind dabei die zwei 112 Meter hohen Betontürme mit 33 Etagen, für die der Stettiner Bau-Unternehmer Siemaszko die Baugenehmigung in Międzyzdroje (Misdroy) erhalten hat. Eine ,,atemberauschende Aussicht“ verspricht der Bau-Unternehmer auch in seinem deutschsprachigen Werbeprospekt für die 345 zum Kauf angebotenen Wohnungen in den zwei gigantischen Türmen. Diese liegen direkt am Strand und überragen das benachbarten Landschaftsschutzgebiet mit einen der imposantesten Küstenwälder Europas um ein Vielfaches.

Eine ganz andere Niveauklasse in Międzyzdroje ist die Baltic Luxury Residence, mit der eine ehemalige architektonische Perle an der westpommerschen Küste wieder ihren alten Glanz erhält. Das 1870 erbaute und als Hotel ,,Seeblick“ genutzte Objekt war die Visitenkarte von Misdroy, das im Schatten der Kaiser-Bäder auf Usedom um wohlhabende Kundschaft warb. Nach dem Krieg zunächst als Offiziers-Casino und später als Hotel „Bałtyk“ verfiel das nur 50 Meter vom Strand entfernte Objekt zusehends. In den vergangenen 25 Jahren vielfach zum Verkauf angeboten, hatten sich mehrere Interessenten, darunter auch aus Spanien, erfolglos um das Objekt bemüht. 2017 wurde schließlich das völlig baulich heruntergekommene Objekt für rund 3 Mio. Złoty von der polnischen Gesellschaft Meritum aus Stettin (Szczecin) gekauft. Seitdem wird das Objekt einer aufwändigen und originalgerechten Sanierung unterzogen. Die Fertigstellung ist 2023 geplant. Die das Objekt verwaltende Asset Investment bietet hier 37 hochwertige individuell gestaltete Appartements an.

Risiko-Faktor Atomkraftwerk an der Ostseeküste

Generell ist auch in den nächsten Jahren an der polnischen Ostsee-Küste mit einem weiteren Anstieg der Kaufpreise zu rechnen. Allerdings gibt es auch Risiko-Faktoren. Dazu zählen auch die von der Regierung forcierten Wirtschaftsprojekte in Tourismus-Regionen wie der Bau eines Container-Hafens in Swinemünde auf Usedom. Bereits vor Jahren hat sich dort eine Bürger-Iniative gebildet, die gegen eine Abholzung des Küstenwaldes und eine industrielle Verödung der Küstenlandschaft protestiert, wenn Tausende Lkw künftig das an den Container-Hafen angeschlossene Logistik-Center anfahren werden.
Proteste gibt es auch in Lubiatowo, einem Örtchen mit einer vorgelagerten idyllischen Küstenlandschaft. Lubiatowo ist als Standort für das erste polnische Atomkraftwerk in der Ostsee-Region in die engere Auswahl genommen worden. Eine endgültige Standort-Entscheidung ist noch nicht getroffen worden. Sie soll bis Ende kommenden Jahres fallen. Fest steht jedoch, dass kaum jemand im Schatten eines Atomkraftwerks seinen Ostsee-Urlaub verbringen will. Entsprechend werden dann auch die Preise für Immobilien fallen.

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