Agrarminister auf der Flucht vor wütenden Bauern

Foto: kadr you tube / farmer .pl

Bei der Eröffnung der Internationalen Landwirtschafts-Messe im südpolnischen Kielce ist Polen Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk von Hunderten wütender Bauern bedrängt worden. Unter dem Schutz von Sicherheitspersonal und Polizei musste er aus der Messehalle in Sicherheit gebracht werden. Seit Monaten fordern die Bauern in Polen von ihrer Regierung und der EU entschiedene Maßnahmen gegen den Preisverfall ihrer Produkte infolge der Überschwemmung des Landes mit billigen ukrainischen Getreide.

Die Eröffnung der XXVIII. Internationalen Landwirtschaftsmesse mit Teilnehmern aus 15 Ländern lief diesmal anders ab als ihre Vorgänger-Veranstaltungen. Beim Eröffnungsrundgang durch die Messehallen sah sich Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk, der auch stellvertretender Ministerpräsident ist, plötzlich von einer immer größer werdenden Menge von wütenden Bauern umringt, die ihn auspfiffen. Wie die Gelbwesten in Frankreich trugen sie gelbe Warnwesten mit der Aufschrift (in polnisch) ,,Betrogenes Dorf“. Lauthals ,,Judas“ skandierend“ bedrängten mehrere Hundert Bauern den Minister und seine Regierungsdelegation. Als es zu Rangeleien mit den Personenschützern kam, musste der Minister unter dem Schutz von Sicherheits-Personal und Polizei, verfolgt von den wütenden Bauern aus der Messehalle evakuiert werden.

Statt im Transit zu den Weltmärkten landet ukrainisches Getreide in Polen

Die Bauern haben die Nase voll von den Versprechungen der Regierung und der Ignoranz der EU-Instanzen gegenüber der Realität, sagte der Vertreter einer Bauern-Organisation aus der Grenzregion zur Ukraine, die den Protest organisierte, dem Informations-Portal für die Landwirtschaft Farmer.pl. Polen werde von ukrainischen Getreide überschwemmt. Anstatt über die polnischen Ostseehäfen auf die Weltmärkte nach Afrika und Asien ausgeführt, wird es auf dem Binnenmarkt verkauft, was zum einem massiven Preisverfall geführt habe. Dies wird auch durch die Daten der polnischen Landwirtschaftskammer für Getreide und Futtermittel bestätigt. Laut ihrem jüngsten Marktbericht wird Weizen für Konsumzwecke gegenwärtig in einer Preisspanne von nur noch 950 Złoty bis 1220 Złoty (~200 bis 260 Euro) pro Tonne gehandelt. Vor einem Jahr waren es noch 2000 Złoty pro Tonne. Einen ähnlichen Preisverfall gibt es bei Mais, Raps und anderen Getreidesorten. Laut amtlichen Angaben des polnischen Landwirtschaftsministeriums wurden im zurückliegenden Jahr 3,27 Mio. t Getreide nach Polen eingeführt, davon über 75 Prozent aus der Ukraine.
Im Vergleich zu den rund 35 Mio.t , die im vergangenen Jahr von polnischen Feldern geerntet wurden, erscheint dies nicht besonders viel. Die Preis-Unterschiede sind jedoch gewaltig. Im Unterschied zur ukrainischen Landwirtschaft haben die Bauern in der EU im Zusammenhang mit den erfüllenden hohen Qualitäts-Parametern und Sanitärvorschriften der EU sowie zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln viel höhere Kosten. Durch den durch das billige Getreide aus der Ukraine ausgelösten Preisverfall , der den Verkauf ihrer eigenen Produkte zu einem den Kosten angemessenen Preise nahezu unmöglich macht, fürchten viele Bauern jetzt um ihre Existenz.

Verplombung ukrainischer Getreide-Transporte

Seit Ende des vergangenen Jahres hat es immer wieder Gespräche und Verhandlungen zwischen den landwirtschaftlichen Interessenvertretungen und der Regierung ohne substanzielle Ergebnisse gegeben. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben die Bauern am 16. März begonnen, Grenzübergänge zur Ukraine zu blockieren. Wie ein Sprecher der ,,Solidarność der Kleinbauern“ (Solidarność) informierte, sei dies in Absprache mit den Bauernverbänden in der Slowakei, Rumänien und Ungarn erfolgt, damit Brüssel endlich die Realität zur Kenntnis nehme. Die gleichen Probleme, die die Bauern in Polen haben, treten auch in den anderen EU-Ländern auf, die an der Ukraine angrenzen.
Das polnische Landwirtschaftsministerium hatte selbst in Absprache mit dem ukrainischen Landwirtschaftsressort die Vereinbarung getroffen, dass ab 8.März alle Transporte von ukrainischen Getreide und Ölfrüchten auf dem Straßen- und Schienenweg im Transit durch Polen verplombt werden. Im Fall des Schienentransports ist der Frachtführer verpflichtet, die Zollplomben an jedem Zug-Waggon anzubringen. An dem polnisch-ukrainischen Grenzübergängen werden die Plomben von den Beamten der polnischen Finanz-Administration KAS, zu der der Zoll gehört, überprüft. Falls es keine Übereinstimmung zwischen dem deklarierten und dem faktischen Ort der Warenentladung gibt, wollen die ukrainischen Behörden Spediteure, die dies ermöglicht haben, vom weiteren grenzüberschreitenden Verkehr ausschließen. Insofern die Transporte verplombt sind, führen die polnischen Veterinärämter keine Kontrollen auf die Einhaltung der EU-Vorschriften für Agrarprodukte beim Transit ukrainischer Getreide-Exporte zu den polnischen Häfen oder in andere EU-Länder durch.

Forderung nach wirksamen EU-Mechanismen zu ukrainischen Einfuhren

 

Die Bauernverbände halten die Regelungen für wenig wirkungsvoll. Sie kritisieren insbesondere, dass die Verplombung der Getreide-Transporte auf ukrainischen Gebiet erfolgt und polnischen Behörden darauf überhaupt keine Kontrolle haben. Sie fordern, dass die gesamt Einfuhr und der Transit von ukrainischen Getreide-Lieferungen auf dem europäischen Binnenmarkt unter die Kontrolle der EU gestellt wird. Es müssen langfristig und dauerhafte wirkende Mechanismen zur Warenzufuhr aus der Ukraine ausgearbeitet werden, betonte der Sprecher der Solidarność KI.
Bislang sieht es danach nicht aus. Während die Bauern die Wiedereinführung der Verzollung fordern, hat die EU-Kommission schon die Absicht verkündet, den zollfreien Export aus der Ukraine in die EU um ein weiteres Jahr zu verlängern.

© André Jański / infopol.PRESS

Klima-Aktivisten kleben sich in der Partei-Zentrale fest

Klima-Aktivisten haben jetzt erstmals auch in Polen eine Klebe-Aktion durchgeführt. Anders als die ,,Letzte Generation“ in Deutschland haben sie dafür aber nicht die Öffentlichkeit mit Straßen-Blockaden in Anspruch genommen. Sie haben sich dort angeklebt, wo Politik gemacht wird: in der Parteizentrale der PiS-Regierungspartei. Dort schaltet und waltet auch PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński.

Gewöhnlicher weise wird die Partei-Zentrale aussen von Polizei abgeschirmt. Im Innenbereich sorgt ein privater Sicherheitsdienst mit ausgewählten Spezialisten für Ordnung. Dennoch konnten Aktivisten der .Bewegung Klima-Solidarität (Ruch Solidarności Klimatycznej) in die Zentrale der nationalkonservativen PiS-Regierungspartei eindringen. Um ihrer Forderung nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Nachdruck zu verleihen, klebten sie sich an den Wänden, Heizkörpern und Tür-Glascheiben fest. Ihr in den sozialen Medien eingestellter Film zeigt auch einen ihrer Vertreter, der sich mit Handschellen an einer Tür angekettet hatte. Medienvertreter hatten keinen Zugang zur Parteizentrale, die sofort abgesperrt wurde.
Die Blockade-Aktion dauerte nicht länger als eine Stunde. Der Sicherheitsleute machten von ihrem Hausrecht Gebrauch. Lag es an der Qualität des Klebstoffes oder an der Unkenntnis der Kleber, dass die Werkstoffe Glas und Metall in Verbindung mit Polymer-Klebstoffen geringe Haftvermittlungseigenschaften haben? Der Film zeigt jedenfalls, dass die Sicherheitsleute ohne aufwändiges Prozedere und Rücksichtnahme die Hände der Aktivisten von den Klebestellen herunterzogen und die Vertreter der Umwelt-Initiative der Polizei übergaben.

Drohende Haftstrafe bis zu drei Jahren

Nach Angaben der Warschauer Polizeibehörde wurden acht Personen verhaftet. Auf Grundlage einer Anzeige der Parteizentrale wird gegen sie ein Verfahren nach Art. 191 des Strafgesetzbuches eingeleitet. Der Artikel beschreibt die Anwendung von Gewalt oder deren Androhung gegenüber einer anderer Person zur Erzwingung einer bestimmten Handlung als Straftat. Bei einer Verurteilung nach diesem Artikel droht eine Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren.
Die Umwelt-Initiative Klima-Solidarität hat in einer Pressemitteilung dem widersprochen. Die Aktion in der PiS-Parteizentrale sei eine Form des friedlichen Protestes gewesen ohne Zerstörung von Eigentum oder aggressiven Absichten. Sie verweist darauf, dass sie schon vor einigen Wochen einen offenen Brief an Ministerpräsident Morawiecki gerichtet hat, der unbeantwortet blieb. Darin fordert sie die gesellschaftliche Kontrolle über die Energie-Unternehmen, ,,weil unsere Wirtschaftspolitik sich die ganze Zeit auf fossile Brennstoffe stützt“.
Eine weitere Forderung der Umwelt-Initiative ist die Entwicklung von lokalen Energie-Genossenschaften, die den Bürgern vor Ort den Zugang zu Erneuerbaren Energiequellen in Form von kleinteiligen Wind- und Solaranlagen sichern.
In den sozialen Medien hat die Aktion ein große, überwiegend negative Resonanz, untermalt von Hohn und Spott, gefunden. Ohne inhaltlichen Ansatz werden die Umwelt-Aktivisten in den meisten User-Kommentaren als ,,Agenten Putins“ oder ,,gesponsert von der Regierung in Berlin“ beschimpft.

© Magda Szulc / infopol.PRESS

Politische Demontage des Denkmals Papst Johannes Paul II.

Foto. Kanzlei des Staatspräsidenten Twitter

In gut sechs Monaten sind in Polen Wahlen. Nach einer als ,,beschämenden“ interpretierten ,,medialen Hetzjagd“ hat Kaczyńskis PiS-Partei die Verteidigung des polnischen National-Heiligtums, des Andenkens an seine Heiligkeit des früheren Papstes Johannes Paul II zu dem bestimmenden Wahlkampfthema gemacht. Der Bericht des privaten Fernsehsenders TVN, wonach der Papst in seiner Zeit als Erzbischof von Kraków vom sexuellen Kindes-Missbrauch in seiner Kirche gewusst und vertuscht habe, wertete die PiS-Regierungsmaschinerie als einen Angriff auf Polen. Dessen Auswirkungen seien identisch ,,mit den Zielen eines hybriden Krieges“ und des brutalen Krieges in der Ukraine . Jenseit von jeglicher Rationalität politischen Denkens und Handels wurde deshalb der US-Botschafter ins Außenministerium einbestellt, um sich zu dem Bericht des Fernsehsenders zu erklären. Dessen Eigentümer ist der US-Konzern Warner Bros.

Der Fernsehsender TVN hatte in seiner Recherche-Dokumentation berichtet, dass Karol Wojtyła vor seiner Weihe zum Papst Johannes Paul II in seiner Zeit als Kardinal und Bischof von Kraków von Fällen des sexuellen Kindes-Missbrauchs wusste, die von Priestern in seiner Diözese begangen wurden. Konkret werden in der Reportage namentlich drei Priester genannt, die der Papst durch Versetzungen im kirchlichen Amt beließ, obwohl er von deren pädophilen Neigungen und Handlungen wusste. So wurden sogar zwei der Geistlichen von der damaligen Justiz zu kurzen symbolischen Haftstrafen wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt. Neben Quellen-Bezügen zu Polizei-, Justiz- und Geheimdienst-Dokumenten aus kommunistischen Zeiten fußt der Enthüllungsbericht von TVN auch auf Aussagen von Zeugen, die Wojtyła in den Siebzigerjahren über den Missbrauch informiert haben wollen. Der spätere Papst haben jedoch keinen Priester seines Amtes enthoben.

Vertuschung von sexuellen Missbrauchs-Fallen

In dem TVN-Bericht wird auch der bekannte Fall des Priesters Bolesław Saduś dokumentiert. Laut Informationen eines Priesters aus der Diozöse an die polnische Stasi soll Saduś mehrfach von empörten Müttern ihrer von ihm sexuell missbrauchten Kinder in der Öffentlichkeit angegangen worden sein. Dies haben ihn laut verflucht. Um einen weiteren öffentlichen Skandal zu vermeiden, habe der spätere Papst Saduś aus dem Schussfeld genommen. TVN zitiert dazu aus einem Empfehlungsschreiben, in dem Saduś dem früheren Erzbischof von Wien, Franz König, bat, dem Priester aus seiner Gemeinde aufzunehmen. Dem Erzbischof von Wien soll er dabei verschwiegen haben, dass Saduś bereits in Polen minderjährige Kinder missbraucht hatte. So konnte der mutmaßliche Kinderschänder unbeschadet im österreichischen Weinviertel seinen Dienst aufnehmen.

,,Hybrider Angriff – Einbestellung des US-Botschafters

Nahezu zeitgleich mit der ausgestrahlten Investigativ-Recherche des Fernsehsenders TVN ist jetzt auch ein Buch des niederländischen Publizisten Ekke Overbeek in polnischer Sprache unter dem Titel ,,Maxima culpa“ erschienen. Darin werden auch die von TVN thematisierten Missbrauchs-Fälle mit detaillierten Beschreibungen bestätigt, wie Kinder zu sexuellen Handlungen unter der Kirchen-Soutane gezwungen wurden. Noch pointierter als bei TVN gibt Overbeck dem späteren Papst eine Mitschuld an dem sexuellen Kinder-Missbrauch.
Die jetzt erhobenen Vorwürfe sind nicht neu. Daher überrascht der plötzlich aufgebrachte Sturm der Entrüstung im Regierungslager, der den Verdacht einer politischen Inszenierung erweckt. So setzte Regierungschef Mateusz Morawiecki (PiS) bei Twitter einen mit klassischer Musik unterlegten Film mit Aufnahmen vom Papst ab. Morawiecki selbst im Bild neben einer polnischen Flagge legt das Narrativ vor, das der russischen Angriffs-Krieg in der Ukraine auf der gleichen Vergleichsebene liegt wie in ,,hybrider Angriff“ auf den Papst.

Ein Tag später wurde der US-Botschafter ins polnische Außenministerium mit der Erklärung einbestellt, dass „die potenziellen Auswirkungen dieser Aktionen identisch mit den Zielen eines hybriden Krieges sind, der darauf abzielt, zu Spaltungen und Spannungen in der polnischen Gesellschaft zu führen“.

Mit den Aktionen ist die Veröffentlichung des Fernsehsenders TVN über den Papst gemeint. Eigentümer des Sender ist der US-Medienkonzern Warner Bros. Bis zu Ende gedacht führt die Erklärung in letzter Konsequenz zu dem jegliche politische Rationalität vermissenden Vorwurf, die USA würden einen hybriden Krieg gegen Polen führen. Vor dem Hintergrund des Besuchs von US-Präsident Joe Biden vor einigen Tagen in Warschau und dass die USA Polens strategischer Partner sind, ist dies politisch völlig absurd. Und auch zynisch. Die polnische Gesellschaft ist durch die Politik von PiS-Parteichef Kaczyński mit seiner Klassifizierung von ,,guten und schlechten Polen“ schon seit Jahren gespalten.

Politisch inszenierter Protest-Sturm

Der inszenierte Proteststurm fand seine Fortsetzung mit einer von der PiS-Partei eingebrachten Resolution gegen die „beschämende mediale Hetzjagd“ zur Verteidigung des guten Rufs des Papstes. Von einem Angriff auf Polen war da die Rede. In dem einem Kreuzzug gleichenden Spektakel zogen Kaczyński und die meisten Abgeordneten der nationale-konservativen PiS-Partei einheitlich mit dem gleichen Foto des Papstes in der Hand in das Parlament ein. In der Parlaments-Resolution werden die TVN-Publikation und das Buch von Ekke Overbeek als Versuch gewertet, ,, Johannes Paul II. mit Material zu kompromittieren, das nicht einmal die Kommunisten zu verwenden wagten“. Deren Recherchen aus anderen Quellen ausblendend, verurteilen die eifernden Papstverteidiger im Regierungslager wie auch der vielfach offen seine Unterstützung für die PiS-Politik ausdrückende Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki die Veröffentlichungen als unglaubwürdig, weil sie sich auf Dokumente aus der kommunistischen Zeit stützen.

Zumindest in diesem Punkt ist die Kritik berechtigt. Gerade in den 80er Jahren ist der polnische Stasi-Dienst SB massiv gegen die Kirche und ihre Würdenträger vorgegangen. Ein eindeutiger Beleg dafür ist die Ermordung des Priesters Jerzy Popiełuszko durch drei Beamte der polnischen Stasi im Oktober 1984 und die Ertränkung seines Leichnams.

Juliusz Paetz – ,,Die Antwort war ein langes Schweigen“

Dagegen setzt sich die Vertuschungs-Praxis von Karol Wojtyła als Johannes Paul II. weit über diesen Zeitraum hinaus fort. So ernannte er 1996 Juliusz Paetz zum Erzbischof von Poznań. Auf die Vorwürfe, dass der Kleriker sich massiv an den ihm Untergebenen und insbesondere an den Jungs im Priester-Seminar sexuell vergriffen habe, reagierte Johannes Paul II. nicht. Anna Karoń-Ostrowska, eine langjährige Vertraute des Papstes berichtete später in einem Presse-Interview, dass sie den Pontifex gefragt habe, weshalb er nicht auf die Angelegenheit des Erzbischofs Paetz in Poznań reagiert. ,,Die Antwort war ein langes Schweigen. Um so länger er schwieg, um so mehr drängten mich die Fragen: Weshalb reagiert er nicht? Weshalb trifft er bei den sich anhäufenden Beweisen der Opfer von Paetz keine Entscheidungen? Aus seinem langen Schweigen habe ich gelernt, dass ist die Welt, in der du kein Recht hast, einzutreten.“

Übrigens war zu der Zeit von Paetz als Erzbischof der heutige Vorsitzende der polnischen Bischofs-Konferenz und offene Fürsprecher der PiS-Politik, Jędraszewski, sein damaliger Weihbischof in Poznań!

Ein weiteres prominentes Beispiel für die sexuellen Übergriffe von Geistlichen in der katholischen Kirche Polens ist der Fall des legendären Prälaten der Solidarność Henryk Jankowski. Vorwürfe, dass er Kinder in seinem Gemeindehaus sexuell missbraucht habe, wurden von den Kirchenoberen gedeckelt. Das ihm zu Ehren aufgestellte Denkmal nach seinem Tod wurde in Danzig (Gdańsk) wieder abgebaut, nachdem sich die Vorwürfe durch Zeugen-Aussagen erhärteten. Der Abbau erfolgte im Übrigen nicht auf Initiative der Kirche, sondern auf Grundlage eines Mehrheits-Beschlusses im städtischen Parlament gegen die Stimmen der PiS-Abgeordneten.

Tatsache ist, dass sich die katholische Kirche in Polen im Unterschied zu anderen Kirchen, z.B. in den USA, Irland oder zuletzt auch in Deutschland, einer gründlichen öffentlichen Aufarbeitung der sexuellen Missbrauchs-Fälle verweigert und sich nicht auf die Seite der Opfer stellt. Nach wie vor herrscht das Doktrin Verschweigen und Vertuschen sowie die Anmaßung, für sich besondere Rechte in Anspruch zu nehmen.

Instrumentalisierung des Papstes für den PiS-Wahlkampf

Die jetzt gegen den Papst erhobenen Vorwürfe sind im Grunde genommen nicht neu. Bereits in der Vergangenheit erschienen Artikel mit ähnlichen Inhalt in der Presse, ohne dass sie von der regierenden PiS-Partei besonders zur Kenntnis genommen oder bewertet wurden. Das jetzt politische Spektakel lässt ein gezielt kalkuliertes Planspiel von Kaczyńskis Regierungspartei erkennen, Papst Johannes Paul II. für den Wahlkampf der PiS-Partei zu vereinnahmen.

In allen Wahl-Prognosen für die im Herbst anstehenden Parlamentswahlen liegt die PiS-Partei zwar vorne. Ihre Stimmen-Mehrheit reicht jedoch nicht aus, um im Herbst eine Regierung zu bilden. Mit der zum Kulturkampf erhobenen Verteidigung des Papstes sieht die Kaczyński-Partei ein probates Mittel, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren und die potenzielle Wählerschaft der Opposition zu spalten. Denn noch immer genießt der polnische Papst bei der Mehrheit der polnisches Bevölkerung für seine historischen Verdienste als Nationalheiliger ein hohes Ansehen. Wer also für seine Verteidigung eintritt, wählt die PiS-Partei. Wer deren Politik kritisiert, greift den Papst an, so die Kalkulation in der PiS-Parteizentrale.
Politische Beobachter sehen die Vereinnahmung des Papstes in die Wahlkampfstrategie der PiS-Partei ein durchaus wirkungsvolles Mittel. Die jetzt inszenierte moralische Entrüstung um den Papst macht jedoch jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und eine Aufarbeitung unmöglich. Langfristig wird die schmerzende Diskussion wieder auf die Tagesordnung treten. Durch die parteipolitische Instrumentalisierung wird der Papst und das Gedenken an seine historischen Leistungen dann das gleiche Schicksal erleiden wie die ihn vereinnahmende Partei. Die auf diese Weise politische Beschädigung des Papst-Denkmals wird den Flurschaden der seit Jahren schleichenden Abwendung von der Katholischen Kirche, insbesondere bei den jüngeren Generationen, nur noch beschleunigen.

© André Jański / infopol.PRESS

Polen sperrt weiter die Grenze zu Belarus ab

Foto: KAS

Nach der Schließung des Grenzübergangs Bobrowniki zu Belarus hat Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki eine weitere Blockierung des Grenzverkehrs zum Nachbarland nicht mehr ausgeschlossen. Für den Lkw- und Pkw-Personenverkehr zwischen Polen und Belarus ist jetzt jeweils nur noch ein Grenzübergang geöffnet.

Freitag, 10. Februar. Es war 11.59 Uhr, als am Grenzübergang Bobrowniki die letzte Person abgefertigt wurde. Wer danach kam, wurde vom polnischen Grenzschutz abgewiesen. Den Tag zuvor hatte Polens Innenminister Mariusz Kamiński auf Twitter bekanntgegeben, dass der Grenzübergang Bobrowniki aus Gründen der nationalen Sicherheit bis auf Weiteres geschlossen wird. Nähere Angaben zu den Gründen machte er nicht.
Die Schließung erfolgte unmittelbar nach der Verkündung des Urteils gegen den Systemkritiker Andrzej Poczobut in Belarus zu acht Jahren Gefängnis. Poczobut ist ein in Belarus bekannter Journalist mit polnischen Wurzeln. Als Vorstands-Mitglied des Verbandes der Polen in Belarus (ZPB) hatte er sich immer für die vollständige Unabhängigkeit der Organisation der polnischen Minderheit von dem Regime in Minsk eingesetzt. Er gehört zu den Gegnern von Machthaber Lukaschenko , dessen Regime er in seinen Artikeln mehrfach kritisierte.

Polnische Minderheit in Belarus

In dem politischen Prozess wurde Poczobut Hass-Hetze und eine Tätigkeit zur Kultivierung des Polentums in Belarus vorgeworfen. In den Fußspuren von Putins Rechtfertigungs-Muster in der Ukraine wertet das Lukaschenko-Regime die von Poczobut veröffentlichten Artikel zur Geschichte des Landes als ,,Rehabilitierung des Faschismus“.
Die polnische Minderheit in Belarus beträgt laut Schätzungen rund 300 000 Menschen. Sie leben vorrangig in dem westlichen Teil des Landes, der wie der Westen der Ukraine und Litauens in der polnischen Geschichtsschreibung als ehemalige Ostgebiete Polens mit dem Begriff ,,Kresy“ bezeichnet wird.
,,Unser Landsmann ist politischer Gefangener im Herzen Europas im 21.Jahrhundert“, kommentierte in Warschau der Regierungsbeauftragte für die Polonia (Auslandspolen), Jan Dziedziczak, in einer offiziellen Regierungserklärung das Urteil. Gleichzeitig rief er zu Protestaktionen vor den Botschaften von Belarus auf.

Sicherheits-Maßnahme für Besuch des US-Präsidenten am 20. Februar

Ungeachtet der politischen Erklärungen scheint die mit der nationalen Sicherheit begründete Grenzschließung jedoch einen anderen Grund zu haben. Wahrscheinlich gehört sie bereits zu dem Maßnahmen-Bündel zur sicherheitspolitischen Absicherung eines Ereignisses von weltpolitischer Bedeutung. Sowohl das Weiße Haus wie auch die polnische Staatskanzlei haben jetzt offiziell bestätigt, dass US-Präsident Joe Biden vom 20. bis zum 22. Februar nach Polen kommen wird. Genau ein Jahr nach Beginn der russischen Aggression in der Ukraine soll Biden auch zu Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij zusammentreffen, wird in der polnischen Öffentlichkeit spekuliert. Nahezu zeitgleich hat der Kreml für den 21. Februar eine Rede von Putin an die Nation angekündigt. Zeitgleich Biden in Warschau und Putin in Moskau mit Botschaften an die Welt zum Ukraine-Krieg – das bedeutet Hochspannung. Warschau hat alle Hände voll zu tun, dass es nicht zu Störungen und zu einer Entladung kommt.
An der 418 Kilometer langen Grenze zu Belarus ist der Lkw-Verkehr zwischen beiden Länder jetzt nur noch über den Grenzübergang Koroszczyn oder über Litauen möglich. Für den Pkw-Verkehr bleibt nur noch der Grenzübergang Terespol (bei Brest) offen. Die anderen Straßen-Übergänge wurden bereits schon Monate vorher geschlossen. Nach den vom Lukaschenko-Regime organisierten Ansturm von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten hat Polen auch im vergangenen Jahr ein 5,50 Meter hohes stählernes Bollwerk an der Ostgrenze errichtet. Er riegelt das polnische Territorium auf einer Länge von über 200 Kilometern vom Nachbarland ab.

 

Belastung für Anwerbung von Fachkräften aus Belarus

Schwerwiegende Auswirkungen auf den Wirtschaftsverkehr sind durch die Schließung des Grenzübergangs Bobrowniki aus polnischer Sicht nicht zu erwarten. Ohnehin hat sich der Lkw-Verkehr zwischen beiden Ländern durch die nach Beginn der russischen Aggression in der Ukraine eingeleiteten Sanktionen gegen Belarus bereits im vergangenen Jahr halbiert. In die EU dürfen keine in Belarus und Russland registrierte Lkw mehr einreisen. Von den rund 1000 polnischen Transportfirmen, die auf diese Verbindung spezialisiert waren, sind nach Angaben des Branchen-Verbandes ZTiLP gegenwärtig nur noch rund 200 tätig. Dessen Vorsitzender Maciej Wroński weist jedoch auf ein anderes Problem hin. Jeder zehnte Lkw-Fahrer in Polen ist ein Bürger aus Belarus. Insgesamt arbeiten rund 28 000 Belarussen in polnischen Transportfirmen, sagte Wronski dem Radiosender RMF FM. Durch die Grenzschließung in Bobrowniki haben die Fahrer jetzt viel größere Probleme, ihre Familien in der Heimat zu besuchen und nach Polen zurückzukehren. Auch werde es viel schwieriger mit der Anwerbung von Fahrern und anderen Fachkräften aus Belarus.
Bürger aus Belarus haben im vergangenen Jahr nach den Ukrainern auch die meisten Kapitalgesellschaften (z.B. GmbH/ Sp.z o.o.) gegründet, insgesamt 1700. In der Gründungsstatistik nahmen sie damit noch vor den Deutschen den zweiten Platz ein.

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Ukrainische Flüchtlinge in Polen müssen jetzt selbst Kosten tragen

Foto: PL-Agentur

Ukrainische Flüchtlinge in Polen, die keiner Arbeit nachgehen, müssen künftig selbst einen Teil der Unterhaltskosten tragen. Die polnische Regierung will mit dieser neuen Regelung den Druck auf die Migration in den Arbeitsmarkt erhöhen und Sozial-Mißbrauch verhindern.

Nach offiziellen Angaben des polnischen Sozial-und Familienministeriums gehen über 766 000 Ukrainer in Polen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit in Polen nach (Stand Dezember 2022). Das sind nahezu 10mal so viel wie nach Registrierung des großen Flüchtlingsstroms im April vergangenen Jahres. Nimmt man den neusten Bericht Eurostat zur Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen in den einzelnen EU-Ländern zur Grundlage, der die Zahl für Polen mit 939 865 angibt, dann gehen rund 80 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge in Polen einer Arbeit nach. Verglichen mit Deutschland ist dies eine außerordentlich hohe Zahl. Deutschland hat nach Polen die meisten Kriegsflüchtlinge in der EU aufgenommen. Laut Eurostat 901 930 – das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gibt in seiner Statistik die Zahl mit etwa 1.044.000 Menschen deutlich höher an. Doch egal welche Zahl man als Vergleichs-Grundlage nimmt, sind es nicht einmal 10 Prozent der ukrainischen Kriegsflüchtlinge, die in Deutschland eine Arbeit gefunden haben. ,,Die Integrationsbereitschaft ist hoch“ , lobte Anfang Dezember die ehemalige Bundesarbeitsministerium und heutige Chefin der Bundesarbeits-Agentur Andrea Nahles bei der Präsentation der Zahl der Geflüchteten, die in Deutschland einer Arbeit nachgehen. Doch verglichen mit Polen nimmt sich die Zahl mit 59 000 Ukrainern, die in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, sehr bescheiden an.
Natürlich sind bei der Bewertung die fehlenden oder mangelhaften Sprachkenntnisse der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland in Rechnung zu stellen. Ukrainer haben es mit der polnischen Sprache viel leichter. Auch die kulturelle Nähe spielt eine Rolle. Jedoch sind nicht  nur die Verwaltungen, auch die Unternehmen bei der Einstellung von ukrainischen Flüchtlingen in Polen viel flexibler. Befürchtungen, die Personalverantwortliche in deutschen Unternehmen plagen, dass Flüchtlinge aus der Ukraine bald in ihr Heimatland zurückkehren wollen, teilen sie nicht. Ohnehin hat man in Polen mit ukrainischen Arbeitskräften langjährige Erfahrungen. Bereits vor Ausbruch des Ukraine-Krieges haben über eine Million Ukrainer in Polen gearbeitet, insbesondere auf dem Bau, in der Transportbranche und der Landwirtschaft. Als Arbeits-Migranten verschaffte ihnen das ein viel höheres Einkommen als in der Ukraine.

Ukrainer gründen über 13 000 Firmen in Polen

Dass ukrainische Kriegsflüchtlinge den Schutz-Aufenthalt in Polen nicht nur als Übergangslösung betrachten, belegen auch die Zahlen der Firmengründungen. Nach Angaben des Polnischen Wirtschaftsinstituts PIE haben sich in den ersten drei Quartalen des zurückliegenden Jahres 10 207 ukrainische Bürger mit einer Firmengründung selbständig gemacht. Dazu kommen 3600 Unternehmens-Gründungen mit ukrainischen Kapital Laut PIE entfielen damit fast die Hälfte aller Unternehmensgründungen mit ausländischen Kapital in Polen auf ukrainische Bürger. Weit über ein Drittel aller ukrainischen Firmengründungen entfiel auf 2 Branchen – auf den Bau und im weitesten Verständnis des Begriffes auf die Transport- und Lagerbranche. Aus polnischer Sicht ist besonders hervorhebenswert, dass 13 Prozent der Firmengründungen auf die IT-Branche mit hochklassifizierten Fachkräften entfiel.

Besonders markant ist der Schwerpunktbereich bei den Frauen. Mit knapp 90 Prozent entfiel dabei nahezu jede Firmengründung auf Kosmetik- und Friseur-Dienstleistungen.
Wie aus den Untersuchungen des Polnischen Wirtschaftsinstituts hervorgeht, zieht die Mehrheit der ukrainischen Firmengründer eine Fortsetzung der Firmentätigkeit unabhängig von der Situation in der Ukraine in Betracht. Gleichzeitig gaben über 75 Prozent der befragten Firmen an, dass ihre Firmengründung darauf ausgerichtet ist, Einkommen für die Gründer und ihre Familien zu erzielen. Dies entspricht ganz den jüngsten Leitlinien der polnischen Regierungspolitik. Wie in den anderen EU-Ländern können ukrainische Kriegsflüchtlinge in Polen nicht nur Arbeit ohne Beschäftigungsbewilligung aufnehmen. Mit ihrer Anmeldung und Registrierung erhalten sie auch sofort die polnische Personenidentifizierungs-Nummer PESEL, die ihnen neben dem Zugang zum polnischen Gesundheits- und Bildungssystem (Kinder) bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen, wie z.B. bei der monatlichen Auszahlung von Geldern aus dem Sozialprogramm 300 +, 500 + u.a., die gleichen Rechte sichert wie polnischen Bürgern.

Druck auf Migration in den Arbeitsmarkt

Anders als in Deutschland sind die Maßnahmen der politischen Regierungspolitik jedoch stringent auf eine Migration in den Arbeitsmarkt ausgerichtet, auch um die Finanzierung der Sozialausgaben zu stabilisieren. Dem dienen auch die gerade beschlossenen gesetzlichen Änderungen zur Beteiligung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen an den Kosten für ihre Unterbringung.. Danach müssen ukrainische Kriegsflüchtlinge, die keiner Arbeit nachgehen und sich länger als 120 Tage in einer Sammel-Unterkunft aufhalten, zu 50 Prozent an den Unterbringungskostenkosten beteiligen. Ukrainische Bürger, die nicht arbeiten und sich mehr als 180 Tage in einer Sammelunterkunft aufhalten, tragen dagegen schon 75 Prozent der Kosten. Davon ausgenommen sind all jene Personen, die aus gesundheitlichen Gründen oder dem Lebensalter, Schwangerschaft oder wegen Kinderbetreuung keine Arbeit in Polen aufnehmen können.

Maßnahmen gegen Sozial-Missbrauch

Zu den jetzt vom polnischen Parlament beschlossenen Änderungen gehören auch Maßnahmen zur Unterbindung von Fällen des Sozial-Missbrauchs. Dabei geht es in der Sache um das, was der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Herbst vergangenen Jahres als ,,Sozialtourismus“ bezeichnete, wofür er sich nach heftiger veröffentlichter Kritik in Deutschland sofort entschuldigte. In den von der PiS-Regierung eingeleiteten und vom polnischen Parlament beschlossenen gesetzlichen Änderungen wird dagegen der polnische Grenzschutz angewiesen, die Daten von ein- und ausreisenden Ukrainern die Sozialversicherungsanstalt ZUS zu übermitteln. Dies soll den sofortigen Stopp der Auszahlungen von Sozialleistungen an Ukrainer bewirken, die Polen wieder verlassen.
In einer Mitteilung der Staatskanzlei wird dazu Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit der Aussage zitiert, dass die Maßnahmen darauf ausgerichtet sind, die polnischen Steuerzahler so gering wie möglich mit den Kosten an den staatlich zugesicherten Hilfsleistungen für ukrainische Flüchtlinge zu belasten.

,,Die Polen lieben die Ukraine, aber  nicht die Ukrainer“

Mit dieser Aussage lässt der Regierungschef eine Wahrnehmung des zunehmenden Stimmungswandels in der polnischen Bevölkerung im Verhältnis zu den ukrainischen Flüchtlingen erkennen. Wie soziologische Studien belegen, ist von der großen Welle der spontanen Hilfsbereitschaft und Solidarität in der polnischen Bevölkerung gegenüber den Ukrainern in den ersten Wochen nach Beginn der russischen Aggression nicht mehr viel übriggeblieben. ,,Die Polen lieben die Ukraine, aber nicht die Ukrainer“ , heißt es in einer Studie, die in der Autorenschaft des Soziologen PrzemysławSadura von der Warschauer Universität erarbeitet wurde. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass sich in allen sozialen Schichten unabhängig vom Bildungsstand, Alter und Wohnort starke negative Gefühle gegenüber den Ukrainern breit gemacht haben. Darin äußern die Befragten ihren Unmut, dass die ukrainischen Kriegsflüchtlinge die gleichen Sozial-Hilfeleistungen bekommen wie polnische Bürger, beim Zugang zur medizinischen Betreuung, den Bildungseinrichtungen und Kitas bevorzugt behandelt werden und überhöhte Ansprüche stellen. Die wachsende Missgunst gegenüber den Ukrainern wird getragen durch die Ängste um das Absinken des eigenen Lebensstandards infolge der in Polen außerordentlich hohen Inflation, der rasanten Preis-Entwicklung und Energiekrise. All diese Probleme, die die Menschen belasten, hatte die Regierung bisher immer mit dem Krieg in der Ukraine erklärt. Die Regierungs-Propaganda wird jetzt auf die Flüchtlinge reflektiert und die Ukrainer sind zu Opfern der Unzufriedenheit der Polen über die sich verschlechternde wirtschaftliche und finanzielle Situation geworden. Der Soziologe Sadura warnt davor, dass durch das Verschweigen der Ängste und Sorgen in den Mainstream-Medien und den politischen Eliten in Polen eine ähnliche Situation wie in Deutschland im Jahre 2015 eintreten könnte, als die AfD dadurch zur drittstärksten politischen Kraft aufstieg.

© André Jański / infopol.PRESS

Polens Staatsoberhaupt erneut von russischen Trollen vorgeführt

Foto: M.Ch./ Kancelaria Prezydenta

Nach einem Fake-Telefongespräch mit UN-Generalsekretär António Guterres ist Polens Staatspräsident Andrzej Duda erneut von russischen Komikern hereingelegt worden. Diesmal gaben sie sich als Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron aus und entlockten Duda Details zu dem Raketeneinschlag im polnischen Grenzgebiet. In der polnischen Öffentlichkeit hat der Vorfall, der die Frage nach der nationalen Sicherheit aufwirft, scharfe Kritik an den Sicherheitsdiensten in der polnischen Staatskanzlei ausgelöst.

Polens Staatspräsident Andrzej Duda scheint für die russischen Komiker Vovan (Wladimir Kusnezow) und Lexus (Alexej Stoljarow) ein lohnenswerter Partner für gefakte Gesprächs-Situationen per Telefon zu sein. Bereits im Juli vor zwei Jahren ließen die russischen Trolle Duda per Telefon glauben, mit UN-Generalsekretär António Guterres zu sprechen. Das Gespräch drehte sich seinerzeit nicht nur um Wodka, Dudas Wahlsieg und seine Opponenten in Polen. Schon damals auffällig das Interesse des angeblichen UN-Generalsekretärs an den Beziehungen Polens zur Ukraine und dessen Präsidenten Selenskij.

Diesmal gaben sich die die russischen Komiker bei Andrzej Duda telefonisch als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aus. Und das an dem Tag, als die Welt am Rande eines Dritten Weltkrieges stand. Im polnischen Grenzgebiet zur Ukraine war eine Rakete eingeschlagen. Der Präsident hatte den polnischen Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen. Die Nachrichtenagentur AP meldete, dass russische Raketen in Polen eingeschlagen sind und der polnische Sicherheitsrat erörterte, ob man die Einleitung des Verfahren nach Art. 4 oder gar nach Art. 5 des NATO-Vertrages einleiten sollte. Letzterer sieht den Beistand aller NATO-Verbündeten vor, wenn ein NATO-Mitgliedsland angegriffen wird. Es fällt schwer an einen Zufall zu glauben, dass in dieser angespannten Situation zwei russische Komiker den polnischen Staatspräsidenten anrufen.

Duda verrät brisante Details an vermeintlichen Macron

Duda war jedenfalls zu Anfang des Gesprächs überzeugt, mit dem französischen Präsidenten zu sprechen. In dem Gespräch berichtete er den vermeintlichen Macron im klapprigen Englisch von der Explosion im polnischen Grenzgebiet. ,,Es war ohne Zweifel eine Rakete. Wer sie abgefeuert hat, wissen wir nicht“, sagte Duda. Es sei aber eine Rakete aus russischer Produktion. Er habe darüber bereits mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und US-Präsident Joe Biden gesprochen. ,,Und was sagt er? Beschuldigt er Russland?“, will der Anrufer wissen. Duda verneint und erzählt auch, dass ihm der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versichert habe, dass die Rakete nicht von den ukrainischen Streitkräften , sondern von Russland abgefeuert wurde.
Auf die Frage des vermeintlichen Macron, wie er darüber denkt, sagte Duda, dass er sehr vorsichtig mit der Zuweisung von Beschuldigungen sei. ,,Emmanuel, das ist Krieg. Ich denke, dass beiden Seiten sich gegenseitig beschuldigen“. Als der vermeintliche Macron sagt, dass man keine Eskalation zwischen der NATO und Russland brauche, antwortet Duda: ,,Denkst Du, dass ich Krieg mit Russland will? Du kannst mir glauben, ich will das nicht“.
Als Duda dann durch die ungewöhnliche Gesprächsführung im Verlauf des siebenminütigen Gesprächs langsam und zunehmend schwant, dass man ihn mit der Täuschung hereinlegen will, bricht er das Telefongespräch ab.

Sieben Tage nach dem Raketeneinschlag hat nun das russische Komiker-Duo, das Gespräch auf You Tube hochgeladen. Die polnische Staatskanzlei hat in einer knappen Erklärung offiziell die Existenz eines solchen Gesprächs bestätigt und auf deren Begleit-Umstände verwiesen. In der Nacht vom 15. zum 16.November hatte sich Duda mit zahlreichen Politikern telefonisch konsultiert, u.a. auch mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem britischen Premierminister Rishi Sunak.


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Das Täuschungs-Manöver der russischen Komiker hat in der polnischen Öffentlichkeit eine breite Wille der Kritik ausgelöst. Diese richtet sich insbesondere gegen die Beamten der Staatskanzlei, die schon einmal eine Vorführung ihres Präsidenten durch das gleiche russische Komiker-Duo im Gespräch mit dem vermeintlichen UNO-Generalsekretär vor zwei Jahren zuließen. ,,Der Akzent ist deutlich russisch und nicht französisch . und Andrzej Duda verrät den russischen Witzbolden Einzelheiten der Gespräche mit den US-Präsidenten, den ukrainischen Präsidenten und dem NATO-Generalsekretär. In einem solchen Wiederholungsfall würde ich in Erwägung ziehen, die Hälfte der Mitarbeiter der Staatskanzlei zu entlassen oder sogar ihn selbst“, twitterte Ex-Außenminister Radosław Sikorski. Für den früheren Europa-Abgeordneten Marek Migalski ist ,,das beschämende Englisch-Niveau von Duda“ das geringste Problem. An dem Tag, an dem zwei polnische Bürger durch eine Rakete aus russischer Produktion ums Leben kommen, lassen die Sicherheitsdienste der Staatskanzlei zu, dass ,,Andrzej Duda russischen Hackern die Kulissen von geheimen Gesprächen mit Biden und Selenskyj verrät. Das ist ein Drama des polnischen Staates „schreibt Migalski.
Die beiden Komiker Wladimir Kusnezow und Alexej Stoljarow, die seit zehn Jahren als Vovan und Lexus mit Fake-Anrufen bei Politkern auf sich aufmerksam machen, stehen international in Verdacht, im Auftrag von Putin zu handeln. Beide streiten dies energisch ab.

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Rakete auf Polen kam aus der Ukraine geflogen

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Polens Staatspräsident Andrzej Duda hat jetzt in einer offiziellen Erklärung eingeräumt, dass die Raketen-Explosion auf polnischen Territorium mit Todessopfern auf einen von den ukrainischen Streitkräften abgeschossenen Geschoss-Irrläufer zurückzuführen sei. In der polnischen Öffentlichkeit wird unterdessen Kritik laut, dass die polnische Bevölkerung über den Zwischenfall im eigenen Land zuerst von amerikanischen Medien informiert wurde und nicht von der eigenen Regierung.

Es war gegen 15.30 Uhr als ein Bauer mit seinem Traktor und Hänger auf die Beton-Waage vor dem Getreide-Trockensilo am Rande des kleinen Örtchen Przewodów fuhr. Dorfbewohner berichteten später, dass der Explosion ein stark pfeifendes Geräusch in der Luft vorausging. Der 50jährige Bauer und ein Mitarbeiter des Trockensilos waren sofort tot.
Przewodów ist ein kleines Dorf im Südosten Polen mit knapp 600 Einwohnern. Zu Zeiten der Zweiten Polnischen Republik gehörte es zur Wojewodschaft Lwów , dem heutigen Lwiw in der Ukraine, das nur 70 Kilometer entfernt ist.

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Es waren nicht polnische Medien, sondern die amerikanische Nachrichtenagentur AP, die wenig später als erste davon berichtete, dass zwei russische Raketen auf polnisches Territorium aufgeschlagen sind. AP berief sie dabei auf amerikanische Geheimdienstkreise ohne Namen zu nennen. Daher ist es nur eine Spekulation, ob es sich um den CIA-Direktor William Burns handelt. Der hielt sich nämlich laut CNN gerade im Moment des massiven russischen Raketen-Angriffs auf die Ukraine zu Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimyr Selenskij in Kiew auf.
Am Abend rief dann Regierungschef Mateusz Morawiecki in Absprache mit Präsident Duda Polens Nationalen Sicherheitsrat ein. Gründe dafür wurden nicht genannt. Auch nach der Sitzung des Sicherheitsrates als schon weltweit über einen mutmaßlichen russischen Raketen-Angriff auf Polen berichtet wurde, informierte Regierungssprecher Piotr Müller in einer Mitteilung lakonisch, dass es in Przewodów zu einer Explosion gekommen sei, bei der zwei polnische Staatsbürger ums Leben gekommen sind. Gleichzeitig teilte er mit, dass die polnische Regierung erwägt, das Verfahren nach Artikel 4 des NATO-Vertrages in Gang zu setzen, das enge Konsultationen der NATO-Mitgliedsstaaten vorsieht, wenn die Sicherheit eines der Mitgliedsstaaten bedroht ist.
Noch in den Nachtstunden teilte Präsident Duda mit, dass der ukrainische Präsident Wolodimyr Selenskij ihm in einem Telefongespräch versichert hatte, dass der Raketen-Einschlag in Polen nicht auf eine von den ukrainischen Streitkräften abgefeuert Rakete zurück zuführen sei. Sein Außenminister Dmytro Kuleba erklärte auf Twitter, Russland verbreite die Verschwörungstheorie, dass es angeblich eine Rakete der ukrainischen Luftabwehr war, die auf Polen niederging. Der ukrainische Außenminister forderte eine harte und prinzipienfeste Reaktion auf den Raketeneinschlag in Polen sowie einem „sofortigen“ Nato-Gipfel.

Fakten sprechen gegen Raketen-Start aus Russland

Dazu ist es nicht gekommen. Zur Deeskalation der eine bedrohliche Weltkriegsgefahr auslösenden Situation erklärte US-Präsident Joe Biden am frühen Morgen: Es sei wegen deren Flugbahn unwahrscheinlich, dass die Rakete auf Polen von Russland abgefeuert wurde.
Bei der Rakete soll es sich nach Einschätzung von Militärexperten um eine Rakete des Abwehrsystems S-300 handeln. Diese ist bereits seit Sowjet-Zeiten bei vielen Armeen im Einsatz. Auch die ukrainischen Streitkräfte benutzen sie. In der Basis-Version hat die Rakete eine Reichweite von 70 Kilometer, in spezifizierten Varianten max. 200 Kilometer. Damit ist ausgeschlossen, dass sie von Russland auf Polen abgefeuert wurde. Da sie zum Abschuss von anfliegenden Raketen eingesetzt wird, ist nur eine vergleichsweise relativ niedrige Sprengkraft nötig. Dies macht auch die Detonationsstelle in Przewodów deutlich, wo Reste von Raketenteile aus russischer Produktion gefunden wurden.

Wie der Chef des Büros des Sicherheitsrates General Polko gegenüber dem Sender Radio Zet jetzt erklärte, ist aber kaum anzunehmen, dass Russland wegen der Zerstörung eines Traktors auf dem polnischen Land das Risiko eines Krieges mit dem NATO-Bündnis eingeht.

Duda: Unglücklicher Zufall

Nach einem Telefongespräch mit US-Präsident Biden hat der polnische Staatspräsident Duda nun auch öffentlich eingeräumt, dass es mit ,,hoher Wahrscheinlichkeit“ eine Rakete der ukrainischen Luftabwehr bei der Abwehr des russischen Raketenangriffs gewesen sei, die in Polen eingeschlagen ist. Die Untersuchungen vor Ort weisen darauf hin, dass es nicht zu einer klassischen Explosion der Sprengladung einer Rakete gekommen sei, sondern zu einer Explosion des Raketentreibstoffes. Duda sprach von einem unglücklichen Zufall. Hinweise auf einen gezielten Angriff auf Polen gebe es nicht. Die Schuld für den tragischen Zwischenfall mit polnischen Todesopfern trage aber allein  Moskau.
Inzwischen sieht sich die polnische Regierung aber auch im eigenen Land einer Kritik an ihrer Informationspolitik ausgesetzt. Für stolze nationalbewusste  Polen ist  es  schon eine Schmach,  dass sie über einen derartig ernsten Zwischenfall im eigenen Land zuerst von amerikanischen Medien informiert werden, und nicht von der eigenen Regierung. Der Chef des Sicherheitsbüros Polko warnte denn auch davor, dass eine derartige Geheimnis-Krämerei der russischen Propaganda in die Hände spielt. Dies dürfte sich nicht noch einmal wiederholen.

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Atom-Deal – Polen hat mehr als zwei Kernkraftwerke im Visier

Foto: PL-Agentur / ZEPAK

Unmittelbar nach der Entscheidung zum Bau des ersten polnischen Atomkraftwerkes durch den US-Konzern Westinghouse hat Polen einen weiteren Atom-Deal eingeleitet. Mit dem südkoreanischen Konzern KHNP wurde eine Absichtserklärung über den Bau ein Kernkraftwerkes unterzeichnet. Für seinen Standort soll das Braunkohle-Revier Pątnów östlich von Poznań erschlossen werden. Das Kraftwerk mit koreanischen Atom-Reaktoren soll eine Ergänzung und Erweiterung zum staatlichen polnischen Atomenergieprogramm sein. Das sieht den Bau von nur zwei Kernkraftwerken vor.

Der staatliche polnische Energiekonzern PGE und das private Braunkohle-Kraftwerk ZE PAK haben in Seoul mit dem südkoreanischen Konzern KNHP eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit beim Bau eines Atomkraftwerkes in Pątnów östlich von Poznań unterzeichnet. Gleichzeitig haben Polens Vizepremier Jacek Sasin und der koreanische Industrie- und Energieminister Lee Chang-Yang ein Memorandum zur Unterstützung des Projekts mit koreanischer Atomtechnologie in Polen unterzeichnet.
Auf die politischen Feinheiten der Prozessierung zum Kraftwerks-Bau mit koreanischen Atom-Reaktoren in Polen wird in Warschau größten Wert gelegt, um die US-amerikanischen Vertragspartner für den Atomkraftwerksbau in Polen nicht zu verprellen. Polens Vizepremier legte deshalb nach Vertragsunterzeichnung in Südkorea größten Wert auf die Feststellung, dass Polen das koreanische Projekt völlig getrennt vom staatlichen Atomenergie-Programm behandelt, dieses aber dennoch als halbstaatliches kommerzielles Projekt die Unterstützung der polnischen Regierung habe. De facto ist es aber ein über die Zielstellung des polnischen Atomenergie-Programms hinausgehendes drittes Atom-Großkraftwerk. Das polnische Regierungsprogramm zur Energiepolitik sieht den Bau von sechs Atom-Reaktoren mit einer Gesamtleistung von bis zu 9 GW bis zum Jahre 2040 vor.

Koreaner Konkurrenz für Westinghouse

Für deren Bau hatten der französische Energie-Konzern EDF, südkoreanische Konzern KHNP und der US-Kernkraftwerksausrüster Westinghouse in den vergangenen Monaten ihre Angebote abgegeben. Westinghouse galt von Anfang an in Warschau als uneingeschränkter Favorit bei der Auftragsvergabe. Die politischen Rahmenbedingungen wurden dazu bereits 2020 mit der damaligen US-Administration unter Donald Trump mit dem Abschluss eines polnisch-amerikanischen Vertrages über die strategische Partnerschaft bei der Entwicklung der Atomenergie Polen besiegelt. Wie im polnischen Atomenergie-Programm vorgesehen, umfasste das Angebot von Westinghouse den Bau von zwei Kernkraftwerken mit sechs Druckwasser-Reaktoren vom Typ APR 1000 der neuesten Generation. Wie das Nachrichtenportal money.pl unter Berufung auf nicht benannte Informationsquellen aus Regierungskreisen berichtete, lag das Angebot der Amerikaner jedoch bezüglich des Preises und der Kompensationsleistungen unter den Erwartungen der polnischen Regierung. In der polnischen Regierung gab es daher die Überlegung, den Bau der beiden im polnischen Energie-Programm geplanten Kernkraftwerke auf zwei Partner aufzuteilen. Dabei kam dem Angebot des südkoreanischen Konzerns KHNP eine besondere Bedeutung zu. Es schließt auch Offset-Möglichkeiten, also Kompensationsleistungen wie den Technologie-Transfer nach Polen ein.
Die polnischen Planungen mit der Konkurrenz aus Fernost hatten in Washington Unruhe ausgelöst. Am 21.Oktober reichte Westinghouse als Bieter für die beiden im polnischen Atomenergie-Programm geplanten Kernkraftwerke vor einem US-Gericht Klage gegen den koreanischen Konzern ein. Diese beruht darauf, dass KHNP für seine Atom-Reaktoren ein Reaktor-Design benutze, dass geistiges Eigentum von Westinghouse sei. Das US-Unternehmen teilte mit, es habe Kenntnis davon erhalten, dass KHNP im Begriff sei, eine Absichtserklärung mit der polnischen Regierung zur Lieferung von APR1400-Reaktoren an Polen zu unterzeichnen. Für einen solchen Prozess sei die Zustimmung von Westinghouse und eine Genehmigung des US-Energieministeriums erforderlich.

,,Polnische Atom-Diplomatie“

Noch in der letzten Oktoberwoche eilten Vizepremier Jacek Sasin und Klimaministerin Anna Moskwa nach Washington, um im amerikanischen Energie-Ministerium die Wogen des Konflikts zu glätten. Zur Austarierung der Balance in der polnische ,,Atom-Diplomatie“ gab Ministerpräsident Mateusz Morawiecki danach bekannt, dass die polnische Regierung den US-Konzern Westinghouse für den Bau des ersten Atomkraftwerks an der polnischen Ostsee-Küste ausgewählt hat. 48 Stunden später wurde der Atom-Deal mit den Koreanern mit der ausdrücklichen Akzentuierung vermeldet, dass nicht der polnische Staat, sondern die polnischen Unternehmen PGG und ZE PAK die Vertragspartner des südkoreanischen Konzerns KHNP sein werden.

Kernkraftwerk im Braunkohle-Revier?

PGG ist Polens größter Stromerzeuger. Der staatliche kontrollierte Energie-Konzern untersteht direkt den von Vizepremier Sasin geleiteten Ministerium. ZE PAK ist dagegen ein Privatunternehmen, dessen Hauptaktionär der Unternehmer Zygmunt Solorz ist (u.a. Haupteigentümer des TV-Senders Polsat und des Mobilfunks Plus).
Zu ZE PAK gehörten ursprünglich drei Braunkohle-Kraftwerke. Das Unternehmen hatte bereits in der Vergangenheit mit der Stilllegung von über 1 Gigawatt Kraftwerkskapazität den Ausstieg aus der Braunkohle-Verstromung eingeleitet. Ende 2024 soll auch das letzte seiner drei Braunkohle-Kraftwerke im Braunkohle-Revier Pątnów stillgelegt werden. In dem jetzt in Seoul unterschriebenen Memorandum ist Pątnów als Standort für den Bau des Kernkraftwerkes mit den koreanischen Atom-Reaktoren vorgesehen. Pątnów befindet sich gut 80 Kilometer östlich der westpolnischen Metropole Poznań.
Ursprünglich hatte der Hauptaktionär von ZE PAK gemeinsam mit dem Milliardär Michał Sołowow (Eigner des Synthos-Konzerns) in Pątnów ein Atomkraftwerk auf der Basis von kleinen modularen Kernreaktoren vom Typ BWRX-300, die von General Electric und Hitachi entwickelt worden, geplant. Dazu wurde im vergangenen Jahr mit der Innovation Impulse GMBH in Wien, deren alleiniger Eigentümer Sołowow ist, eine Vertrag abgeschlossen. Dieser wurde jetzt zeitgleich mit der Vereinbarung mit dem koreanischen KHNP-Konzern annulliert. «Das Angebot der Koreaner war von allen das beste», erklärte Solorz, Haupt-Aktionär von ZE PAK, nach Abschluss des Deals mit den Koreanern.
Einzelheiten der Vereinbarung sind bislang noch nicht bekannt, nur soviel, dass das Kernkraftwerk zeitlich versetzt mit vier koreanischen Atom-Reaktoren vom Typ AP 1400 ausgestattet werden soll.
De facto bedeutet dies, dass in Polen nicht nur die zwei im staatlichen Atomenergieprogramm geplanten Kernkraftwerke, sondern darüber hinaus auch ein drittes Atomkraftwerk gebaut werden.
Dabei wird es nicht bleiben, wenn man dazu die kleinen modularen Kernreaktoren BWRX-300 berücksichtigt, die Synthos (Sołowow), der Polnische Mineralölkonzern PKN Orlen sowie der Kupferkonzern KGHM vor den Toren von Sachsen planen.

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Amerikaner bauen erstes Atomkraftwerk in Polen

 

Die Entscheidung ist gefallen: Der US-Konzern Westinghouse wird das erste Kernkraftwerk in Polen bauen. Es soll bis 2033 nahe des Ostsee-Bades Lubiatowo-Kopalino in Betrieb gehen. Die Entscheidung der polnischen Regierung ist überschattet von einer Klage des US-Konzerns gegen den koreanischen Mitwettbewerber KHNP um den Kraftwerksbau in Polen.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat auf Twitter bekanntgegeben, dass die polnische Regierung den US-Konzern Westinghouse für den Bau des ersten Atomkraftwerks in Polen ausgewählt hat. Die  Investition werde die europäische Energie-Sicherheit stärken und die amerikanisch-polnischen Beziehungen vertiefen, begrüßten US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Außenminister Blinken in einer ersten Stellungnahme die Entscheidung der polnischen Regierung..
Entsprechend dem polnischen Programm zur Energiepolitik bis zum Jahre 2040 soll der erste Atomenergie-Block im Jahre 2033 mit einer Leistung von rund 1 bis 1,6 GW in Betrieb gehen. Danach sollen im Zeitraum von zwei bis 3 Jahren weitere Blöcke folgen. Insgesamt sind im polnischen Kernenergie-Programm der Bau von sechs Atom-Reaktoren  mit einer Gesamtleistung von bis zu 9 GW geplant.
Mit dem Bau des ersten Kernkraftwerkes soll 2026 begonnen werden. Als Standort wurde bereits die Region um die Ostsee-Badeorte Lubiatowo-Kopalino festgelegt, in westlicher Richtung rund 60 Kilometer von Danzig (Gdańsk) entfernt.
Westinghouse wird dafür drei Druckwasser-Reaktoren vom Typ APR 1000 liefern und aufbauen.
Für den Bau der zwei im polnischen Energie-Programm geplanten Atomkraftwerke hatten sich auch der französische Energie-Konzern EDF und der südkoreanische Konzern KHNP beworben. Beide Angebote wurden von ihren jeweiligen Regierungen massiv beworben. Dessen ungeachtet galt der US-Konzern Westinghouse von Anfang an in Warschau als uneingeschränkter Favorit bei der Auftragsvergabe. Die politischen Rahmenbedingungen wurden dazu bereits 2020 mit der damaligen US-Administration unter Donald Trump mit dem Abschluss eines polnisch-amerikanischen Vertrages über die strategische Partnerschaft bei der Entwicklung der Atomenergie in Polen besiegelt.
Als im September der US-Konzern Westinghouse sein 2000 Seiten umfassendes Angebot abgab, ließ Klima- und Umweltministerin Anna Moskwa auch deutlich werden, wo die Präferenzen bei der Entscheidungsfindung liegen. Die Amerikaner zeigten sich bereits siegessicher. «Polen wird keine besseren Partner als Westinghouse finden.» teilte der US-Botschafter in Polen Brzezinski mit.

Die Amerikaner drängten darauf , dass die polnische Regierung Warschau bis zum 12.Oktober ihre Entscheidung zur Auswahl des Partners für den Bau der Kernkraftwerke treffen soll. Dieser Termin verstrich jedoch ohne Ergebnis.
Die polnische Regierung wollte ihre Entscheidung davon abhängig machen, dass der Partner für das polnische Atomenergie-Programm 49 Prozent der Anteile an der Gesellschaft PEJ (Polnische Atomkraftwerke) übernimmt, eine entsprechende Finanzierung liefert. und sich nicht nur am Bau, sondern auch am späteren Betrieb der Atomkraftwerke beteiligt. Das Angebot der Amerikaner war jedoch weit von diesen Werten entfernt, berichtete das Nachrichtenportal money.pl unter Berufung auf nicht benannte Informationsquellen aus Regierungskreisen.

Günstigeres Angebot aus Korea

In der polnischen Regierung gab es daher die Überlegung , den Bau der beiden im polnischen Energie-Programm geplanten Kernkraftwerke auf zwei Partner aufzuteilen. Dabei spielte nicht nur der im Angebot des koreanischen KHNP-Konzern unterbreitete Preis eine Rolle. Nach Angaben des Nachrichtendienstes Business Korea , ist KHNP in der Lage, sechs Reaktoren mit einer Gesamtleistung von 8,4 GW mit einem Kostenaufwand von 26,7 Mrd. Dollar zu bauen, «während die Kosten der Vereinigten Staaten und die von Frankreich für die gleiche Anzahl von ähnlichen Atom-Reaktoren 31,3 Mrd. Dollar und 33 Mrd. Dollar betragen». Von noch größerer Bedeutung für die polnische Regierung ist die im koreanischen Angebot unterbreitete Möglichkeit des Transfers von Atom-Technologie nach Polen. In Polen könnte eine Fabrik gebaut werden, die Elemente für Kernreaktoren baut. Nachdem die polnische Regierung bereits im Sommer Milliardenschwere Verträge für die Lieferung von koreanischen Kampfflugzeugen, Panzern und Haubitzen sowie deren Bau in Polen unterzeichnet hatte, ist man in Warschau zu der Überzeugung gelangt, dass ein Atom-Deal mit den Koreanern ein weiterer wichtiger Schritt für eine engere wirtschaftliche Kooperation mit dem asiatischen Land wäre.

Klage von Westinghouse gegen koreanischen Konzern KHNP

Dies hatte Unruhe in Washington ausgelöst. An die polnische Regierung wurde die Warnung gesendet, dass der Export von koreanischer Atom-Technologie einer Genehmigung von Westinghouse und Zustimmung durch die amerikanische Regierung bedarf. Der Warnung folgten Taten. Am 21.Oktober reichte Westinghouse beim US-Bezirksgericht für den District of Columbia Klage gegen den koreanischen Konzern ein. Diese beruht darauf, dass KHNP für seine Atom-Reaktoren ein Reaktor-Design benutze, dass geistiges Eigentum von Westinghouse sei. Das US-Unternehmen teilte mit, es habe Kenntnis davon erhalten, dass KHNP im Begriff sei, eine Absichtserklärung mit der polnischen Regierung zur Lieferung von APR1400-Reaktoren an Polen zu unterzeichnen. Die Bereitstellung der technischen Informationen für ein solches Memorandum würde die Genehmigung des US-Energieministeriums und die Zustimmung von Westinghouse erfordern, so Westinghouse. Der amerikanische Konzern forderte Gericht auf, KHNP zu untersagen, diese technischen Informationen mit Polen zu teilen.

Der Streit ist nicht neu. Bereits beim Bau von vier Kern-Reaktoren von KHNP in den Vereinigten Arabischen Emiraten hatte er sich entzündet. Unbestritten ist, dass die Entwicklung der Kern-Technologie in Korea ähnlich wie in Japan auf die Zusammenarbeit mit den Amerikanern beruht. KHNP besteht jedoch darauf, im Laufe der Jahre eine eigene unabhängige Kerntechnologie entwickelt zu haben.
Für Westinghouse ist der koreanische Konzern jetzt bei der Entwicklung des polnischen Atomenergie-Programms ein Konkurrent. Westinghouse verspricht sich vom Bau der Atomkraftwerke in Polen Folge-Aufträge in der Tschechischen Republik und mittelfristig auch in der Ukraine, um in den dortigen Kernkraftwerken die russische Technologie durch die eigene Atomtechnologie zu ersetzen.

Interesse an Kernenergie neu belebt

Westinghouse hat von seinen Druckwasser-Reaktoren der neuesten Generation APR 1000, die auch in Polen zum Einsatz kommen, weltweit bisher vier in Betrieb genommen, alle in China. In den USA selbst war Westinghouse dagegen mit massiven Problemen konfrontiert. Aufgrund der Schwierigkeiten bei den Neubau-Projekten für die Kernkraftwerke Vogtle und Virgil C. Summer in den USA hatte der Mutterkonzern Toshiba die Westinghouse Electric nach Insolvenz 2018 an die kanadische Brookfield Business Partners, einschließlich mit deren Schulden, verkauft. Für den Bau der beiden Westinghouse-Reaktoreinheiten AP 1000 für das Kernkraftwerke Vogtle im US-Bundesstaat Georgia, die in den nächsten Monaten in Betrieb gehen sollen, waren ursprünglich 16 Mrd. Dollar Baukosten geplant. Diese sind inzwischen auf 34 Mrd. Dollar gestiegen.
Anfang Oktober gaben nun die Brookfield Renewable Partners und die Cameco Corp bekannt, dass sie die Westinghouse Electric im Rahmen eines 7,9-Milliarden-Dollar-Deals einschließlich deren Schulden, übernehmen würden. Die Übernahme wird mit einem wieder sprunghaft gestiegenen Interesse an der Kernenergie infolge der Energie-Krise in Europa und gestiegener Energiepreise in Verbindung gebracht.

Ist das französische Angebot noch im Rennen?

Um die Wogen in den USA  wegen eines möglichen polnischen Deals mit den Koreanern zu  zu glätten, waren Polens Vizepremier Jacek Sasin und Klimaministerin Anna Moskwa noch Ende Oktober  in Washington mit der US-Energieministerin Jennifer Granhol zusammengekommen.  Nach Angaben von Sasin habe man die strittigen Fragen geklärt. Die jetzt bekanntgegebene Entscheidung zugunsten des US-Konzerns Westinghouse ist offensichtlich das Ergebnis. Allerdings ist bislang weiter offen, wer das zweite Atomkraftwerk in Polen bauen wird.  Das EDF-Angebot des EU-Partners Frankreich, für das sich Staatspräsident Macron zuletzt massiv eingesetzt hatte, scheint aus dem  Rennen zu sein. Die polnische Regierung hatte ursprünglich kalkuliert, dass Frankreich Druck auf Brüssel und Berlin bei der Freigabe der wegen der in Polen umstrittenen Rechtsregelungen zurückgehaltenen 36 Mrd. Euro aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds ausübt. Dies ist offensichtlich nicht geschehen.

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Kohlekumpel drohen mit Zumauerung des Premierminister-Büros

 

Foto: infopol.Press/ Screenshort Silesia24

Aus Protest gegen die Kohle-Politik der Regierung haben Kohle-Gewerkschafter versucht, den Eingang zum parlamentarischen Verbindungsbüros von Polens Regierungschef Morawiecki in Katowice zuzumauern.

Der Mörtel war schon im Betonmischer angerührt. Die Mauersteine bereitgelegt. Schon seit September hatten Mitglieder der Branchengewerkschaft Sierpien 80 (zu deutsch August 80) jede Woche vor dem parlamentarischen Verbindungsbüro von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in Katowice gegen die Kohle-Politik der Regierung protestiert. Ihre Proteste richten sich vor allem dagegen, dass im ,,Kohle-Land“ Polen die Kohle fehlt und statt Investitionen in den heimischen Kohle-Abbau Millionen Tonnen Steinkohle vom anderen Ende der Welt nach Polen eingeführt werden, die für viele Privathaushalte viel zu teuer ist.
Zu einem Gespräch mit dem Regierungschef sei es nicht gekommen. «Wir haben Morawiecki hier nie angetroffen» berichtet der Chef der Gewerkschaft Sierpien 80 dem örtlichen Nachrichtenportal Silesia24. «Das Büro, das leer steht, braucht niemand, aber es kostet uns Tausende Złoty im Monat». Also wurde der Beschluss gefasst, Morawieckis parlamentarischen Sitz in Katowice zuzumauern.
Die Absichten der Gewerkschafter nahm die Polizei, die den Büroeingang abriegelte, sehr ernst. Schließlich hat die Gewerkschaft Sierpien 80 ja Erfahrungen mit dem Zumauern von Gebäude-Eingängen. Mehrfach hat sie in den vergangenen Jahren als Protestaktion die Eingänge von Vorstands- und Direktionsgebäuden von Kohlegesellschaften zugemauert.
Die Sierpien 80 ist eine von mehr als 20 Gewerkschaften, die die Interessen der polnischen Kohlekumpel vertreten oder vorgeben, deren Interessen zu vertreten. Ihre Aktionen und Methoden sind oft rabiat und wenig konform mit dem, was man im Westen unter Gewerkschaftsarbeit versteht. Während z.B. in Deutschland auf Pfeifen trillernde Gewerkschaftsmitglieder diszipliniert ihren Warnstreik beenden, um wieder pünktlich nach der betrieblichen Mittagspause an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, wird bei Sierpien 80 schon ´mal ein Betriebsdirektor, der Entlassungen angekündigt hatte, unfreiwillig aus seinem Büro geholt und in der Schubkarre verfrachtet vor die Tür befördert.
Im Fall von Morawieckis Büro konnte die Polizei eine Zumauerung verhindern.
Die Gewerkschafter werfen den Ministerpräsidenten und seiner Regierung vor, monatelang die Bevölkerung mit der falschen Behauptung betrogen zu haben, Polen habe genügend Kohlevorräte, um sie zu erschwinglichen Preisen bereitzustellen und viel zu spät Maßnahmen gegen die Kohlekrise ergriffen zu haben.

4,5 Mio. t ausländische Steinkohle zum Höchstpreis

Erst im Juli nach Enthüllungen eines Nachrichten-Portals, dass der Regierung bereits unmittelbar nach Ausbruch des Ukraine-Krieges ein in Polen bestehendes Millionen-Tonnen Defizit an Heizkohle bekannt war, hatte Regierungschef Morawiecki die staatlichen Energie-Unternehmen PGE und Węglokoks angewiesen, im ,,Eilverfahren” 4,5 Mio. t ausländische Kohle zu kaufen. Zu dem Zeitpunkt lag der Marktpreis für Heizkohle an Endverbraucher bereits schon bei über 2500 Złoty pro Tonne. Die Morawiecki-Regierung versprach dagegen der Bevölkerung einen staatlich regulierten Festpreis von knapp 1000 Złoty (~220 EUR) pro Tonne Heizkohle. Kohlehändler, die zu diesen Preis ihre teure eingekaufte Importkohle verkaufen, sollten dafür eine Ausgleichszahlung erhalten. Der dazu festgelegte Betrag war jedoch viel zu gering, um die Preisdifferenz auszugleichen. Kein Kohle-Händler war daher bereit, seine Kohle zu diesem Festpreis zu verkaufen.

3000 Zloty Finanzzuschuss an Privat, aber keine bezahlbare Kohle

Statt des Festpreises begann die Regierung dann im August mit der Auszahlung eines direkten Kohle-Zuschusses in Höhe von 3000 Złoty an alle Privat-Haushalte, die mit Kohle heizen. Das grundsätzliche Problem – die Verfügbarkeit von bezahlbarer Steinkohle – war und ist jedoch nicht gelöst.

 

Wegen geologischer Probleme bei der Erschließung einer neuen Förderwand hat das Bergbau-Unternehmen Bogdanka im September gleich zweifach seine Förderleistung reduziert. Foto: Bogdanka / Werkfoto

Nach Angaben der Agentur für Industrieentwicklung (ARP) in Katowice betrugen die bei den Steinkohle-Bergwerken angelegten Kohle-Vorräte Ende August nur 1,024 Mio. t. Das sind knapp 80 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Dazu kommen die von den Kohle-Kraftwerken angelegten Kohle-Vorräte von insgesamt 5,3 Mio. t. In einem speziell erstellten Bericht der Bank Pekao weisen deren Analysten darauf hin, dass diese Vorräte nur für 53 Tage ausreichen. Im Einklang mit den Kohle-Vorräten stehen die Kohle-Förderquoten. Nach Angaben der ARP-Agentur wurden im August lediglich 3,83 Mio. t Steinkohle gefördert. Mit nahezu der gleichen Förderquote hat sich diese rückläufige Entwicklung laut dem Statistikamt ZUS auch im September fortgesetzt, was das schlechteste Förderergebnis seit dem Nachkriegsjahr 1946 bedeutet.

Kohle ist jedoch nicht gleich Kohle. Dies machen auch die Zahlen deutlich, die die staatliche Kohlegesellschaft Węglokoks kürzlich vorlegte. Von den 4,5 Mio. t Steinkohle, die Ministerpräsident Morawiecki der Węglokoks und Polens größter Kohlegesellschaft PGG anwies, im Ausland für polnischen Privathaushalte zu kaufen, hatte die Węglokoks bis Mitte Oktober rund 2,7 Mio. t vertraglich gesichert. Nach Angaben von deren Pressesprecher sind davon nur 400 000 bis 450 000 t Steinkohle mit einer Granulierung von über 10 mm, also Kohle, die für die Verbrennung in Öfen und Heizanlagen von Privathaushalten geeignet ist.

Regierungs-Versprechen: Bis Weihnachten 11 Mio. t Kohle aus dem Ausland

Vor diesem Hintergrund hat Vizepremier Jacek Sasin Anfang Oktober auf einer Pressekonferenz angekündigt, dass die Weglokoks und PGG den Import von Steinkohle erhöhen sollen und bis zum Jahresende 11 Mio. t Steinkohle aus dem Ausland nach Polen eingeführt werden. Mengen dieser Größenordnung vom anderen Ende der Welt – aus Kolumbien, Südafrika, Botswana, Indonesien, Australien und anderen Ländern – innerhalb eines kurzen Zeitraums nach Polen einzuschiffen, ist transporttechnisch und logistisch eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Schon jetzt sind die polnischen Ostsee-Häfen mit Steinkohle überfrachtet. Dabei handelt es sich aber nur um ein klassisches Halbprodukt. Die Steinkohle muss zur Eignung als Heizkohle für Privathaushalte verarbeitet, ausgesiebt und sortiert werden. Dies ist allerdings ein zeitaufwendiger Prozess mit dem Ergebnis, dass nur 20 Prozent der verarbeiteten Steinkohle für Privathaushalte geeignet sind. Und dann muss noch die Steinkohle an den Endkunden gebracht werden.

Kommunalverwaltungen als ,,Kohleträger“

Mit dieser Aufgabe als ,,Kohleträger“ will die Regierung jetzt die Städte und Gemeinden betrauen. Die Kommunalverwaltungen sind allerdings nicht davon begeistert, dass die Verantwortung für den Vertrieb von Steinkohle an den Endverbraucher auf sie abgewälzt wird. Der von der Regierung vorbereitete Gesetzentwurf sieht deshalb eine administrativ reglementierte Deckelung der Einkaufs-Preise für die Kommunen vor. Die Importeure, die die Kohle für gegenwärtig rund 2400 bis 2600 Złoty pro Tonne einführen, müssen dann durch die Intervention des Staates diesen Preis auf 1500 Złoty senken. Zu diesem Preis könnte dann jede Kommunalverwaltung die Kohle kaufen und zuzüglich ihrer eigenen operativen Kosten für den Transport und die Lagerung an die Endverbraucher in ihrem Verwaltungsgebiet vertreiben, erklärte Regierungschef Morawiecki. Ziel sei es, dass der Endverbraucher nicht mehr als 2000 Złoty pro Tonne Steinkohle bezahlt.
Ob jedoch ein solches provisorisches Vertriebsnetz innerhalb kürzester Zeit bis zum Jahresende die erwünschten Effekte bringt, darüber scheint es wohl selbst in der Regierung Zweifel zu geben. So erklärte Klima- und Umweltministerin Anna Moskwa im Privatsender Polsat, dass nach Schätzungen ihres Ministeriums 600- bis 700 000 Privathaushalte noch keine Kohle für den Winter gebunkert habe und etwa 60 Prozent der Polen in diesem Winter die Steinkohle durch Holz in ihren Öfen und Heizanlagen ersetzen werden.

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